Der Preis­de­ckel ist ein Re­zept aus dem Gift­schrank

Die letz­ten Mo­na­te waren in der En­er­gie­po­li­tik von der Angst um die Ver­füg­bar­keit von Strom im Win­ter ge­prägt. Nun do­mi­niert ein neues, mit der Strom­knapp­heit ver­wand­tes Pro­blem die Schlag­zei­len: die ex­plo­die­ren­den Strom­prei­se. Re­el­le Bei­spie­le il­lus­trie­ren die dra­ma­ti­sche Si­tua­ti­on für Wirt­schaft und Ge­sell­schaft. Da gibt es den Bä­cker, des­sen Strom­rech­nung vom sechs- in den sie­ben­stel­li­gen Be­reich springt. Ein Stahl­werk, das be­reits Kurz­ar­beit be­an­tragt, da seine Mo­nats­rech­nung höher ist als die letz­te Jah­res­rech­nung, oder die Ge­mein­de Saint-Prex, deren Haus­hal­ten eine Strom­preis­stei­ge­rung von 1600 Pro­zent zu­ge­mu­tet wird.

Wann immer es ans Ein­ge­mach­te geht, spries­sen in der Po­li­tik Ideen und Mass­nah­men, die nicht sel­ten er­ra­tisch und von Panik ge­trie­ben sind. Ak­tu­ell kommt er­schwe­rend hinzu, dass sie teil­wei­se auf einem man­geln­den Ver­ständ­nis des hoch kom­ple­xen Strom­mark­tes be­ru­hen. Als Il­lus­tra­ti­on dazu die­nen drei vi­ru­len­te Vor­schlä­ge aus dem öko­no­mi­schen Gift­schrank:

Preis­de­cke­lun­gen/Sub­ven­tio­nen. Sol­che Ein­grif­fe haben im eu­ro­päi­schen Raum ge­ra­de Hoch­kon­junk­tur. In­ter­es­san­ter­wei­se wer­den sie hier­zu­lan­de auch von Sei­ten ge­for­dert, die nor­ma­ler­wei­se durch eine schar­fe Ab­gren­zung von der Po­li­tik un­se­rer Nach­bar­län­der her­aus­ste­chen. Fakt ist: Sol­che schwer­wie­gen­den Ein­grif­fe sind in etwa so, wie wenn man sich beim Sport ver­letzt und unter Ein­nah­me von Schmerz­mit­teln wei­ter­läuft. Es geht viel­leicht noch ein paar Ki­lo­me­ter län­ger, aber man ver­ur­sacht nach­hal­ti­ge Schä­den. Preis­an­rei­ze sind ge­ra­de jetzt zen­tral, um An­ge­bot und Nach­fra­ge wie­der ins Gleich­ge­wicht zu brin­gen, sie zu un­ter­drü­cken ist fatal. Über­dies wür­den sie den Steu­er­zah­ler wohl bis zu 15 Mil­li­ar­den Fran­ken pro Jahr kos­ten und die In­fla­ti­on län­ger­fris­tig mas­siv an­hei­zen.

Rück­kehr in die Grund­ver­sor­gung. Die Idee ist sim­pel: Gross­ver­brau­cher, die auf dem frei­en Markt von ex­plo­die­ren­den Strom­prei­sen heim­ge­sucht wer­den, sol­len in die Grund­ver­sor­gung zu­rück wech­seln kön­nen, wo die Prei­se re­gu­liert sind und auf 2023 «nur» um 27 Pro­zent an­stei­gen. Diese Mög­lich­keit ist in der jet­zi­gen ge­setz­li­chen Lage ex­pli­zit aus­ge­schlos­sen – und zwar aus gutem Grund: Wer den Schutz der Grund­ver­sor­gung ver­lässt, geht be­wusst ein Ri­si­ko ein und konn­te über die letz­ten Jahre von tie­fe­ren Prei­sen pro­fi­tie­ren. Jetzt hat der Wind ge­dreht. Einen Wech­sel zu­rück zu­zu­las­sen ist, wie wenn man eine Glas­ver­si­che­rung ab­schlies­sen könn­te, wenn die Schei­be be­reits zer­bors­ten ist. Zudem wird oft fälsch­li­cher­wei­se an­ge­nom­men, dass der Staat oder die Strom­un­ter­neh­men für die Ze­chen auf­kom­men wür­den. In Rea­li­tät wür­den diese Kos­ten aber auf die an­de­ren Grund­ver­sorg­ten um­ge­la­gert, das heisst vor allem Haus­hal­te und Klein­un­ter­neh­men, die dann mit hö­he­ren Strom­prei­sen die Gross­ver­brau­cher quer­sub­ven­tio­nie­ren wür­den. Das ist nicht nur un­fair, son­dern auch un­zu­mut­bar.

«Über­ge­winn»-Ab­schöp­fung. In­tui­tiv ver­ständ­lich, aber des­we­gen nicht min­der hei­kel ist die Idee, Ge­win­ne di­rekt von Strom­ver­sor­gern ab­zu­schöp­fen. Tat­säch­lich kann es pa­ra­dox an­mu­ten, wenn Strom­un­ter­neh­men ei­ner­seits einen Not­kre­dit beim Bund be­an­tra­gen und zu­gleich hohe Ge­win­ne ein­fah­ren soll­ten. Je­doch ist es zu die­sem Zeit­punkt völ­lig un­klar, ob Strom­un­ter­neh­men tat­säch­lich hohe Ge­win­ne haben wer­den, haben sie ihre Pro­duk­ti­on doch in der Regel auf Jahre im Vor­aus ver­kauft. Doch selbst wenn, bleibt die Idee ge­fähr­lich: Wie Jan-Eg­bert Sturm der Kon­junk­tur­for­schungs­stel­le der ETH be­reits bei den hohen Ge­win­nen der Roh­stoff­un­ter­neh­men im Au­gust fest­ge­hal­ten hat, ist es kaum mög­lich zu ent­schei­den, was nun «Über­ge­win­ne» sind. Auch die Ge­fahr von stark aus­ge­präg­ten Fehl­an­rei­zen ist gross. Wenn man trotz Panik nicht alle recht­staat­li­chen Prin­zi­pi­en über Bord wirft, ist eine sol­che Ab­schöp­fung daher kaum zu be­werk­stel­li­gen. Zudem ist es ge­ra­de jetzt wich­tig, dass ge­nü­gend In­ves­ti­ti­ons­an­rei­ze für den Aus­bau der En­er­gie­pro­duk­ti­on zur Ver­fü­gung ste­hen. Nach der glei­chen Logik der «Über­ge­win­ne» müss­ten näm­lich Impf­stoff­for­scher und -her­stel­ler nach der Covid-Pan­de­mie be­steu­ert wer­den – auch sie pro­fi­tier­ten von einer glo­ba­len Krise –, mit dem Er­geb­nis, das bei der nächs­ten Pan­de­mie die Imp­fung wohl lange auf sich war­ten lies­se.

Diese Bei­spie­le sol­len il­lus­trie­ren: Es be­steht ein gros­ses Ri­si­ko, dass wir den Strom­markt so­zu­sa­gen mit dem Bade aus­schüt­ten. Statt ra­di­ka­ler Ideen und ge­wag­ter In­ter­ven­tio­nen braucht es jetzt eine ru­hi­ge, um­sich­ti­ge Po­li­tik. Das heisst:

  • Dia­log zwi­schen Strom­ver­sor­gern und deren Kun­den, um markt­wirt­schaft­li­che Lö­sun­gen «Bot­tom-Up» zu er­ar­bei­ten. Es liegt in nie­man­des In­ter­es­se (ins­be­son­de­re nicht deren staat­li­chen Eig­nern), dass ge­sun­de Fir­men und Strom­ver­brau­cher Kon­kurs gehen.
  • Wahr­neh­mung der Ver­ant­wor­tung öf­fent­lich-recht­li­cher Eig­ner und Di­vi­den­den­emp­fän­ger der Strom­un­ter­neh­men für das öf­fent­li­che In­ter­es­se wahr­neh­men.
  • Ef­fi­zi­enz- und Spar­mass­nah­men, um den Strom­preis zu sta­bi­li­sie­ren.
  • Prü­fung ge­ziel­ter Un­ter­stüt­zung mit be­währ­ten In­stru­men­ten in Här­te­fäl­len, nicht nach dem Giess­kan­nen­prin­zip: Für Haus­hal­te im Rah­men der So­zi­al­hil­fe, für Un­ter­neh­men bei­spiels­wei­se Kurz­ar­beit oder rück­zahl­ba­re Dar­le­hen.

Dies ist po­li­tisch zwar we­ni­ger at­trak­tiv als ra­di­ka­le­re Lö­sun­gen, aber eine Er­folg ver­spre­chen­de­re, nach­hal­ti­ge­re und nicht zu­letzt auch schwei­ze­ri­sche­re Lö­sung, als der hek­ti­schen und kurz­sich­ti­gen Po­li­tik an­de­rer Län­der in Eu­ro­pa nach­zu­le­ben.

 

Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Bei­trags er­folg­te am 23. Sep­tem­ber 2022 auf «han­dels­zei­tung.ch».