Der Wolf im Initiativpelz
Das Wichtigste in Kürze:
- Am 9. Februar 2025 stimmen wir über die Umweltverantwortungsinitiative ab.
- Die Initiative entbehrt jeglicher Realität: Die Schweiz ist bereits heute Vorreiterin im Umweltschutz, muss sich deswegen aber nicht selbst zum Entwicklungsland machen. Die Initiative ist nicht wünschbar und wäre ein massiver Eingriff in unseren Wohlstand.
- Statt Nachhaltigkeits-Luftschlösser zu bauen, sollten wir ein Standort für eine moderne, effiziente Wirtschaft werden. Dazu gehört eine ambitionierte Energiepolitik, schlanke Regulierung und ein guter Steuerstandort.
In der Politik macht sich eine Unsitte breit: Anstatt an tragfähigen Kompromissen zu arbeiten, werden immer grössere Ziele gesetzt. Jüngstes Beispiel ist die «Umweltverantwortungsinitiative» der Jungen Grünen, über die wir anfangs nächsten Jahres abstimmen. Sie fordert, dass die Schweiz bis in zehn Jahren innerhalb der planetaren Grenzen leben muss. Das heisst, dass die Schweizer Bevölkerung ihren ökologischen Fussabdruck soweit reduzieren muss, dass alle Menschen auf der Welt gleich viel Ressourcen verbrauchen könnten, ohne den Planeten zu überbeanspruchen. Die Initiative will damit «einen grundlegenden Wandel» erreichen, «weg vom Profitstreben» hin zu einer strikten Einhaltung der planetaren Grenzen in den Bereichen Biodiversität, Wasser, Bodennutzung sowie Stickstoff und Phosphor.
Auf den ersten Blick klingt das gut – gegen Verantwortung kann man ja irgendwie nicht sein. Aber die Initiative hält einem kritischen Blick nicht stand.
Die Schweiz muss sich nicht selbst zum Entwicklungsland machen
Zum einen ist es unrealistisch, innert zehn Jahren einen planetaren Fussabdruck von einer Erde in der Schweiz hinzuregulieren. Ein tiefer Ressourcenverbrauch ist ein Zeichen von Effizienz und Fortschritt. Und hier hat die Schweiz einiges vorzuweisen: Wirtschaftswachstum und Emissionen entkoppeln sich und die Schweiz belegt Europäische Spitzenplätze bei Energie- und Ressourcenverbrauch. Nimmt man beispielsweise den “Global Footprint” als Indikator, sind die einzigen Länder, die auch nur in die Nähe eines Fussabdrucks von einer Erde kommen, Länder wie Afghanistan, Haiti oder Madagaskar. Länder, die nicht Vorreiter der Nachhaltigkeit sind, sondern unter schlimmer Armut leiden. Die Schweiz hat zwar etwa einen etwa viermal höheren Fussabdruck wie diese Länder, aber dafür eine 100-mal höhere Wirtschaftsleistung.
Sie könnte die Initiative nur mit einer regelrechten Dekonstruktion ihres Wohlstands erfüllen. Umweltpolitische Ambitionen sind gut, aber die Schweiz muss sich deswegen nicht gleich selbst zum Entwicklungsland machen.
Zum anderen fusst die Initiative auch auf einem schwierigen ideologischen Fundament. Natürlich muss die gesamte Welt innerhalb ihrer Planetaren Grenzen leben, aber deswegen müssen nicht alle Länder auch den gleichen Ressourcenverbrauch haben. Das wäre, wie wenn man im Kampf gegen die Armut das Ziel setzt, dass jedes Land gleich viel Geld haben sollte. Das mutet vielleicht «fair» an, hat aber einen (öko-)kommunistischen Touch. Wer denkt, dieser Begriff überspanne den Bogen, dem sei das im letzten Jahr veröffentlichte Positionspapier der Jungen Grünen «Für eine postkapitalistische Wirtschaft» zur Lektüre empfohlen.
Es braucht sauberen Strom, smarte Regulierung und einen starken Standort
Also ablehnen und dann vergessen? Nein. Die Initiative trifft einen Punkt, nämlich das noch viel mehr punkto wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit in der Schweiz ginge. Das erreichen wir jedoch nicht mit überrissenen Zielen, sondern indem wir die grossen Bremsen einer nachhaltigen Entwicklung angehen:
Erstens brauchen wir schnell viel, sauberen und wettbewerbsfähigen Strom. Bis 2050 müssen wir für Wohlstand und Klima unsere Stromproduktion mehr als verdoppeln – eine Herkulesaufgabe. Dazu müssen wir die winterwirksamen Erneuerbaren prioritär ausbauen, die Netzkosten in den Griff bekommen und technologieoffen werden. Das betrifft auch die Kernkraft.
Zweitens braucht es smartere und schlankere Regulierung. Aktuell führen wir einen regelrechten Papierkrieg gegen den Klimawandel. Selbst der grüne deutsche Wirtschaftsminister Habeck hat kürzlich festgestellt, dass die ausufernde Regulierung «mit der Kettensäge weggebolzt» werden müsse.
Drittens müssten wir unseren Standort Punkto Bildung und Forschung sowie gesetzliche und steuerliche Rahmenbedingungen stärken, sodass grüne und effiziente Unternehmen eher zu- als abwandern.
Für eine gute Nachhaltigkeitspolitik kann man sich an unserem Volkssport, dem Wandern, orientieren: Mit einem guten Training und stetem Schritt kommt man eher zum Ziel, wie wenn man vorauseilt – und stolpert.
Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 16. Dezember 2024 in der NZZ.