Um­welt­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve: Immer grös­se­re Ziele statt kon­kre­te Mass­nah­men

Die Jun­gen Grü­nen haben die «Um­welt­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve» lan­ciert. Sie for­dert, dass die Schweiz bis in zehn Jah­ren in­ner­halb der pla­ne­ta­ren Gren­zen leben muss. Das heisst, dass Schwei­zer Be­völ­ke­rung und Un­ter­neh­men ihren Res­sour­cen­ver­brauch so­weit re­du­zie­ren müss­ten, dass alle Men­schen auf der Welt gleich viel Res­sour­cen wie sie ver­brau­chen könn­ten, ohne den Pla­ne­ten zu über­be­an­spru­chen.

Ein ef­fi­zi­en­ter Res­sour­cen­ver­brauch ist Zei­chen von Wohl­stand und Fort­schritt. Aber ein ex­trem tie­fer Res­sour­cen­ver­brauch, wie die In­itia­ti­ve ihn for­dert, ist vor allem Zei­chen von ex­tre­mer Armut. Ak­tu­ell haben 15 Län­der einen pla­ne­ta­ren Fuss­ab­druck von unter einer Erde und sind damit mit der In­itia­ti­ve kom­pa­ti­bel. In der Liste fin­det man vor allem Län­der wie Af­gha­nis­tan, Haiti und Ma­da­gas­kar. Diese Län­der leben nicht in­ner­halb der Pla­ne­ta­ren Gren­zen, weil sie Vor­rei­ter der Nach­hal­tig­keit sind, son­dern weil sie in einer pre­kä­ren Lage sind: Af­gha­nis­tan ist nach Jahr­zehn­ten Krieg von den Ta­li­ban be­herrscht, Haiti er­lei­det einen fast to­ta­len Staats­kol­laps (der Pre­mier­mi­nis­ter ist kürz­lich aus dem Land ge­flüch­tet) und Ma­da­gas­kar hat eine der höchs­ten Ar­muts­quo­ten der Welt. Mit einem nüch­ter­nen Blick muss man fest­stel­len: Es ist nicht mög­lich, die In­itia­ti­ve um­zu­set­zen, ohne eine re­gel­rech­te De­kon­struk­ti­on des Schwei­zer Wohl­stands vor­zu­neh­men.

Na­tür­lich soll­te die Schweiz ihren pla­ne­ta­ren Fuss­ab­druck wei­ter re­du­zie­ren – das ist ein Zei­chen von Fort­schritt und Stär­ke. Sie muss sich dabei aber nicht gleich selbst zum Ent­wick­lungs­land ma­chen. Im Ver­gleich zu den Län­dern, wel­che die pla­ne­ta­ren Gren­zen ein­hal­ten, hat die Schweiz im Durch­schnitt über 80-mal mehr Wirt­schafts­leis­tung pro Kopf. Ihr öko­lo­gi­scher Fuss­ab­druck be­trägt je­doch be­reits heute nur etwa das Fünf­fa­che. Wachs­tum und Um­welt­be­las­tung ent­kop­peln sich. Bei­spiel­wei­se hat die Schweiz ihre in­dus­tri­el­le Wert­schöp­fung seit 1990 mehr als ver­dop­pelt und dabei die Emis­sio­nen um fast die Hälf­te ge­senkt. Durch Fort­schritt und In­no­va­ti­on wer­den wir immer näher an die pla­ne­ta­ren Gren­zen rü­cken und damit eine Vor­bild-Funk­ti­on über­neh­men. Aber wir kön­nen diese Ent­wick­lung nicht in­nert we­ni­ger Jahre übers Bein bre­chen ohne gros­se Rück­schrit­te in Kauf zu neh­men.

 

Graphik
Fast 1 Mil­li­on Ton­nen we­ni­ger CO2 im In­dus­trie-Sek­tor 2022: Seit 1990 sind die Emis­sio­nen der Wirt­schaft um über 40% ge­sun­ken, trotz mehr als dop­pel­ter Brut­to­wert­schöp­fung.

 

Neben der feh­len­den Um­setz­bar­keit wäre die In­itia­ti­ve auch nicht wünsch­bar. Zum einen baut sie wei­te­re Luft­schlös­ser auf Kos­ten ech­ten Fort­schritts bei der Nach­hal­tig­keit. Die Schweiz hat sich am­bi­tio­nier­te Ziele in vie­len Be­rei­chen ge­setzt und es braucht noch gros­se An­stren­gun­gen und neue Mass­nah­men, sie zu er­rei­chen. Mo­men­tan bleibt aber viel in po­li­ti­schen Sack­gas­sen ste­cken, man denke nur an den Be­reich Klima oder En­er­gie. Lei­der ist es eine po­li­ti­sche Un­mo­de ge­wor­den, eine har­zi­ge Um­set­zung mit noch grös­se­ren Zie­len zu über­tün­chen. Eine An­nah­me der un­rea­lis­ti­schen Um­welt­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve wäre ein Pa­ra­de­bei­spiel dafür.

Zum an­de­ren ist die In­itia­ti­ve auf einem be­denk­li­chen ideo­lo­gi­schen Fun­da­ment er­rich­tet. Auf den ers­ten Blick klingt es nur fair: Nie­mand soll mehr Res­sour­cen brau­chen, wie sie jedem im Schnitt zur Ver­fü­gung ste­hen. Al­ler­dings leben wir nicht in einer Welt, in der alle genau gleich viel Res­sour­cen ver­brau­chen – und zu­min­dest ich will das auch nicht. Das wäre – man kann es nicht an­ders sagen – öko­kom­mu­nis­tisch. Wer denkt, ich rühre hier mit zu gros­ser Kelle an, dem sei ein Blick auf im Au­gust letz­ten Jah­res ver­öf­fent­lich­te Po­si­ti­ons­pa­pier der Jun­gen Grü­nen emp­foh­len: «Für eine post­ka­pi­ta­lis­ti­sche Wirt­schaft».

Vor zwei Jah­ren habe ich mich auf einen Berg­ma­ra­thon vor­be­rei­tet, wofür ich oft am Mor­gen vor der Ar­beit ren­nen gehen muss­te. Wenn ich wirk­lich keine Lust hatte, habe ich mich noch­mals im Bett um­ge­dreht und mir vor­ge­nom­men, am nächs­ten Tag die dop­pel­te Dis­tanz zu lau­fen. Wie oft das wirk­lich ge­klappt hat, sei da­hin­ge­stellt. Die zu­stän­di­ge Par­la­ments­kom­mis­si­on hat die Um­welt­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve nächs­te Woche auf dem Pro­gramm. Bleibt zu hof­fen, dass sie sich für den Weg ent­schei­det, die vie­len be­ste­hen­den Her­aus­for­de­run­gen an­zu­pa­cken, statt mit der Um­welt­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve sich noch­mals im Bett um­zu­dre­hen und von post­ka­pi­ta­lis­ti­schen Luft­schlös­sern zu träu­men.

Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Bei­trags er­folg­te am 8. Mai 2024 auf nau.​ch.