Von Kli­mak­le­bern und Kli­mak­lä­gern

Nach den Kli­mak­le­bern kom­men die Kli­mak­lä­ger. Bei­den ist die di­rek­te De­mo­kra­tie zu schwer­fäl­lig. Nun stützt der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te die Klage der Kli­ma­se­nio­rin­nen.

Die Auf­ruhr war gross, als Kli­mak­le­ber an Os­tern 2023 den Gott­hard­tun­nel blo­ckier­ten. Dass in den Augen der Be­völ­ke­rung der Zweck eben nicht die Mit­tel hei­ligt, wurde spä­tes­tens dann klar, als in einer Nach­be­fra­gung zu den Par­la­ments­wah­len im letz­ten Jahr fast ein Drit­tel der Wäh­len­den, wel­che die Grü­nen nicht mehr un­ter­stütz­ten, die Kli­mak­le­ber als Grund an­ga­ben. Trotz all der Frus­tra­ti­on, die ihnen ent­ge­gen­schlug, kleb­ten sich Ak­ti­vis­tin­nen und Ak­ti­vis­ten auf die Stras­se, weil sie einen Not­stand gel­tend ma­chen: Die Po­li­tik re­agie­re an­ge­sichts der dro­hen­den Kli­ma­kri­se nicht ge­nü­gend schnell. Darum müsse nun zu dras­ti­sche­ren Mit­teln ge­grif­fen wer­den.

Ähn­lich ar­gu­men­tie­ren die «Kli­ma­se­nio­rin­nen», wel­che die Schweiz vor dem Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) ver­klagt haben. Die Schweiz tue trotz der Pa­ri­ser Kli­ma­zie­le 2030 und ge­setz­li­chen Kli­ma­zie­len noch viel zu wenig, um äl­te­re Men­schen vor kli­ma­be­ding­ten Hit­ze­wel­len zu schüt­zen. Sie ver­lan­gen, dass Kli­ma­schutz als Men­schen­recht an­er­kannt und schnel­ler und mehr CO2 ein­ge­spart wird. Mit den Kli­mak­le­bern haben sie eines ge­mein­sam: Die po­li­ti­schen Müh­len mah­len ihnen zu lang­sam. Aber statt zum Se­kun­den­kle­ber grei­fen die Kli­ma­se­nio­rin­nen zum An­walt - mit fi­nan­zi­el­ler Un­ter­stüt­zung durch glo­bal tä­ti­ge Um­welt­lob­by­is­ten wie Green­peace.

Den Men­schen­rech­ten wird mit sol­chen Ur­tei­len nicht ge­dient.

Wir schau­en be­sorgt auf diese Ent­wick­lung. Ei­ner­seits ist die Ar­gu­men­ta­ti­on der Kli­ma­se­nio­rin­nen – Schutz vor Hit­ze­wel­len würde pri­mär bes­se­re Resi­li­enz­mass­nah­men ge­bie­ten – ziem­lich aben­teu­er­lich. An­de­rer­seits wird damit auch dem welt­wei­ten Schutz der Men­schen­rech­te nicht ge­hol­fen, wenn sie von Um­welt­lob­by­is­ten ge­nutzt wer­den, In­ter­es­sens­po­li­tik durch die Hin­ter­tü­re zu be­trei­ben. An­statt nun aber den be­schwer­li­chen Weg der De­mo­kra­tie über Volks­rech­te und Ge­set­ze­ber zu gehen, wird die Ab­kür­zung durch die Ge­rich­te ver­sucht. Das Ziel einer strin­gen­ten Dekar­bo­ni­sie­rung ist ein heh­res und al­ter­na­tiv­los. Doch wer Ab­kür­zun­gen zum (zu­ge­ge­be­ner­mas­sen lang­sa­men) po­li­ti­schen Pro­zess sucht, der ris­kiert, in der Sack­gas­se zu lan­den.

Es mag sogar stim­men, dass die Um­set­zung des Kli­ma­schut­zes mo­men­tan der Am­bi­ti­on hin­ter­her­hinkt. Gross war das Kopf­krat­zen, als das Volk 2021 das CO2-Ge­setz an der Urne ver­senk­te. Aber es be­steht auch Grund zur Hoff­nung, hat doch das Volk das neue Kli­ma­ge­setz letz­ten Juni mit gros­ser Mehr­heit an­ge­nom­men und den Weg frei für einen am­bi­tio­nier­ten Kli­ma­schutz ge­macht. Auch gibt es kon­kre­te Fort­schrit­te: So hat die In­dus­trie bei­spiels­wei­se ihre Wert­schöp­fung seit 1990 fast ver­dop­pelt, mit über einem Drit­tel we­ni­ger Emis­sio­nen. Wich­tig ist, dass diese Fort­schrit­te (und Rück­schlä­ge) in­ner­halb des po­li­ti­schen Sys­tems ge­macht wur­den, denn das ver­leiht ihnen Le­gi­ti­mi­tät und Nach­hal­tig­keit. Wird Ver­än­de­rung er­presst oder auf­ge­drängt, ist die Chan­ce gross, dass der «Back­lash» umso här­ter wird – ein Blick nach Deutsch­land oder auch ins Ver­ei­nig­te Kö­nig­reich ver­deut­li­chen dies. Nach­hal­ti­ge Kli­ma­po­li­tik ist mit einem Berg­lauf ver­gleich­bar: Mit ste­tem Schritt kommt man eher zum Ziel, als wenn man has­tig vor­aus­läuft und dann stol­pert.

Be­son­ders au­gen­fäl­lig wird dies an­ge­sichts der Frage, die nach Strass­burg an den EGMR ge­tra­gen wurde. Die Rich­ter soll­ten Ver­let­zun­gen von Men­schen­rech­ten be­ur­tei­len und nicht selbst Po­li­tik ma­chen. Tun sie es den­noch, so schwä­chen die Rich­ter das Ver­trau­en in die In­sti­tu­ti­on, die sie ge­ra­de ver­tre­ten soll­ten.

Jede Blume, die zu hoch her­aus­wächst, wird ab­ge­schnit­ten.

Auch aus wirt­schaft­li­cher Sicht ist das Phä­no­men des po­li­tisch mo­ti­vier­ten Kla­gens schwie­rig. Denn oft trifft es vor allem die­je­ni­gen Un­ter­neh­men, die im Be­reich Nach­hal­tig­keit be­son­ders en­ga­giert sind. Sei es, weil sie in einer ex­po­nier­ten In­dus­trie tätig sind – und somit so oder so ein gros­ses Au­gen­merk auf die Nach­hal­tig­keit legen – oder weil sie sich in der De­bat­te be­son­ders ein­brin­gen. Das führt zum Mohn­blu­men-Ef­fekt: Jede Blume, die zu hoch her­aus­wächst, wird ab­ge­schnit­ten. Für nicht we­ni­ge Un­ter­neh­men wurde in­zwi­schen Nach­hal­tig­keit von einer Op­por­tu­ni­tät zu einem Ri­si­ko-Ma­nage­ment Thema mit dem Ef­fekt, dass sie mög­lichst unter dem Radar zu flie­gen ver­su­chen, statt sich be­son­ders zu en­ga­gie­ren. «Green si­len­cing» nennt sich diese Pro­ble­ma­tik und Kli­mak­la­gen tra­gen viel dazu bei, dass sich immer we­ni­ger Un­ter­neh­men – auch nicht mit po­si­ti­ven Kli­ma­bot­schaf­ten - ex­po­nie­ren wol­len.

Wir wol­len keine Po­li­ti­sie­rung der Ge­richt­sä­le.

Aus die­sen Über­le­gun­gen ist es be­dau­er­lich, dass der EGMR die Klage der Kli­ma­se­nio­rin­nen ge­stützt hat. Damit wird ein ge­fähr­li­cher Trend be­stä­tigt. Denn ein auch nur kur­zer Blick ins Aus­land zeigt, dass immer öfter Ge­rich­te für po­li­ti­sche Ein­fluss­nah­me in­stru­men­ta­li­siert wer­den und diese das auch zu­las­sen. Das Schwei­zer Par­la­ment hat es aus­ge­rech­net diese Woche jetzt in der Hand, ein kla­res Votum gegen die Po­li­ti­sie­rung der Jus­tiz zu set­zen. Am Don­ners­tag berät die Rechts­kom­mis­si­on des Na­tio­nal­ra­tes über das Ein­tre­ten auf die bun­des­rät­li­che Vor­la­ge zu den Sam­mel­kla­gen. Mit einem kla­ren Nein zu die­ser Vor­la­ge kann klar­ge­macht wer­den, dass die Po­li­ti­sie­rung der Ge­richt­sä­le in der Schweiz Gren­zen ge­setzt kriegt und das Par­la­ment als Ge­setz­ge­ber seine Ho­heit über die Rechts­set­zung be­hal­ten will.