Industriepolitik ist ein Griff in den politischen Giftschrank

Das Wichtigste in Kürze:

  • Unser nördliches Nachbarland Deutschland erlebt eine gefährliche Deindustrialisierung. Subventionsversprechen der Politik führen zu Abhängigkeiten und Innovationsverlusten.
  • Die Schweiz hat bisher auf gute Rahmenbedingungen gesetzt: Infrastruktur, offene Märkte, moderate Steuersätze, exzellente Bildung und günstige Energieversorgung. Dies hat zu einem hohen Industrieanteil am BIP geführt.
  • Um unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten und den Stillstand abzuwenden, muss die Politik nun handeln und bereit sein, rote Linien zu überdenken.

Ronald Reagan hat die Logik der Politik einmal so zusammengefasst: «Wenn es sich bewegt, besteuere es. Wenn es in Bewegung bleibt, reguliere es. Und wenn es aufhört sich zu bewegen, subventioniere es.» Wir laufen Gefahr, in der Industriepolitik genau dieser Logik zu folgen.

Der Blick nach Deutschland sollte für die Schweiz ein Weckruf sein: Bei unserem nördlichen Nachbarland, welches sich zurecht als Exportweltmeister bezeichnete, findet seit einiger Zeit eine Deindustrialisierung statt. Die deutsche Politik reagiert mit Subventionsversprechen. Die Unternehmen werden so dazu gedrängt, sich vermehrt am Räuspern der Politik zu orientieren. Eine solche aktivistische Industriepolitik hat aber eine gravierende Kehrseite: Die Unternehmen vergessen, sich voll und ganz auf den Markt auszurichten. Die Innovation bleibt auf der Strecke. Sie werden immer abhängiger von der Politik und gehen schliesslich trotzdem ein. In der Schweiz kennen wir zum Glück nicht viele solcher Beispiele. Eines davon ist der Fahrzeughersteller Saurer, bei dem die Politik über Jahre das Sterben hinausgezögert hat.

Immerhin hat die Schweiz über weite Strecken eben keine Industriepolitik betrieben. Und der Erfolg ist beeindruckend: Der Industrieanteil am Schweizer Bruttoinlandprodukt liegt bei fast 20 Prozent, viel mehr als in anderen Ländern. In Frankreich beispielsweise, das über Jahrzehnte eine aktivistische Industriepolitik betrieben hat, ist dieser Anteil lediglich etwa halb so gross.

Weshalb konnte in der Schweiz die Industrie so erfolgreich bleiben? Weil sie bisher gute Rahmenbedingungen fürs Wirtschaften schuf: Gute Infrastruktur, offene Märkte, Moderate Steuersätze, ein ausgezeichnetes Bildungssystem, Top-Hochschulen wie die ETH, ein liberaler Arbeitsmarkt und eine günstige Energieversorgung.

Diese Voraussetzungen halfen, dem unaufhaltsamen Strukturwandel aktiv zu begegnen, Altes abzustossen, in neue Geschäftsbereiche zu expandieren und innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Nur so war es möglich, dass die Schweizer Unternehmen heute im internationalen Vergleich herausragende Löhne zahlen und weiterhin auf dem teuren Pflaster Schweiz produzieren können. Damit dies auch in Zukunft gelingt, müssten genau diese Faktoren gepflegt werden, doch passiert im Moment leider das Gegenteil.

Die Rahmenbedingungen in der Schweiz verschlechtern sich und die Gefahr einer Deindustrialisierung wächst. Hohe Energiepreise, verursacht durch Subventionen und unzureichende Netzplanung, sowie zunehmende Regulierung belasten die Unternehmen. Gleichzeitig schwindet die Investitionsbereitschaft und Debatten über Selbstverständlichkeiten wie Infrastruktur und Technologieoffenheit lähmen Fortschritte.

Klimaschutz, Verteidigung, Bildung, Forschung und Sozialausgaben haben etwas gemeinsam: Sie kosten Geld. Viel Geld. Um uns das leisten zu können, ohne die Bevölkerung mit noch höheren Steuern zu belasten, braucht es erhebliches Wachstum. Und das gelingt nur durch eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Die Politik muss handeln und bereit sein, rote Linien zu überdenken, um den Stillstand zu überwinden – frei nach einem anderen Präsidenten der USA, John F. Kennedy: Fragt nicht, was eure roten Linien sind, sondern welche ihr bereit seit aufzugeben, um vorwärtszukommen.

Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 2. Dezember 2024 im Tages-Anzeiger.