Wasserstoff und erneuerbare Gase: Der Energieträger der Zukunft
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Wasserstoff – Zahlen und Fakten
- Kapitel 2 Wasserstoff und erneuerbare Gase diversifizieren und stärken unsere Versorgungssicherheit
- Kapitel 3 Die Europäische Union setzt auf Wasserstoff
- Kapitel 4 Die Schweiz kann und muss aufholen
- Kapitel 5 Wo brauchen wir wie viel Wasserstoff und erneuerbare Gase?
- Kapitel 6 Forderungen der Wirtschaft
Wo brauchen wir wie viel Wasserstoff und erneuerbare Gase?
Ergänzung und Alternative zur Elektrifizierung
Wasserstoff und erneuerbare Gase können grundsätzlich in fast allen Bereichen einen Beitrag zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft leisten, sei es für die Stromspeicherung und -produktion im Winter, in der Mobilität oder bei der Prozesswärme in der Industrie bzw. bei der zentralen Wärmebereitstellung für Areale oder thermische Netze. Entscheidend ist die technische und wirtschaftliche Sinnhaftigkeit im Vergleich zur Elektrifizierung. Aktuell zeichnen sich folgende Anwendungsbereiche und Potenziale ab:
- Mobilität: Im Schwerverkehr auf langen Strecken, auf der Schiene oder auf dem Wasser könnte Wasserstoff als Energieträger in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Potenziale werden sehr unterschiedlich eingeschätzt. Im Landverkehr dürfte der Endenergieverbrauch 2050 bei rund 36,4 TWh liegen. Davon könnten bis zu 19,5 TWh aus Wasserstoff und erneuerbaren Gasen stammen. In der Luftfahrt sind wasserstoffbasierte, synthetische Treibstoffe eine zentrale Innovation. Das neue CO2-Gesetz sieht im Gleichschritt mit der EU steigende Beimischquoten vor (beginnend mit zwei Prozent ab 2025). Das Marktvolumen dürfte ab 2030 exponentiell steigen.
- Komfortwärme: Im Wärmebereich werden erneuerbare Gase dort eingesetzt, wo Wärmepumpen oder thermische Netze technisch oder wirtschaftlich nicht einsetzbar sind. Gleichzeitig werden sie andere erneuerbare Wärmequellen unterstützen und ergänzen (Spitzenlastabdeckung, WKK).
- Strom: Wasserstoff, erneuerbare Gase und die Grosswasserkraft sind entscheidend für die saisonale Stromspeicherung der Zukunft. Die Schweiz verfügt zwar gegenwärtig über keine eigenen Gasspeicher für einen «Wintervorrat». Dennoch ist der Zugang zu europäischen Reserven künftig für die Stromversorgungssicherheit im Winter entscheidend.
- Industriewärme: Die Industrie benötigt fossile Brennstoffe heute vor allem zur Wärmeerzeugung. Im tiefen und mittleren Temperaturbereich (200 bis 300 Grad) sind die Prozesse wahrscheinlich weitgehend mit Strom betreibbar. Im hohen Temperaturbereich (ab 700 Grad) ist dies nicht der Fall. Dort braucht es Wasserstoff und erneuerbare Gase künftig als klimaneutrale Brennstoffe. Eine aktuelle Studie besagt, dass rund 73 Prozent der heutigen industriellen Energienachfrage technisch gesehen elektrifizierbar seien. Unter dieser Annahme brauchen wir folglich etwa 27 Prozent der heutigen Energienachfrage in Form von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen, eher 30 Prozent, um sicher zu sein. Die Schweizer Industrie verbraucht aktuell etwa 46 TWh Endenergie. Es braucht also mindestens 15 TWh erneuerbare Energie in Molekülform pro Jahr. Das wären etwa 50 Prozent der gesamten Schweizer Gasnachfrage (circa 30 TWh) und etwa ein Drittel mehr als die heutige Gasnachfrage der Industrie (rund 10 TWh).
Woher kommen Wasserstoff und erneuerbare Gase in Zukunft?
Wasserstoff und seine Derivate sind heute sehr teuer. Dies hat vor allem mit der noch ungenügenden Skalierung zu tun. Für eine kostengünstige Produktion wird es in Zukunft viel günstigen erneuerbaren Strom und viel günstiges CO2 brauchen. Doch auch skaliert wird Wasserstoff preislich nicht mit fossilem Erdgas konkurrenzieren können. Aktuelle Schätzungen gehen für das Jahr 2050 von Preisen für grünen Wasserstoff in der Grössenordnung von 0,3 bis 1 USD/kWh aus. Dies entspricht etwa dem Dreifachen des heutigen Gaspreises.
Diese wirtschaftlichen Faktoren machen eine skalierte Produktion in der Schweiz oder in Mitteleuropa unwahrscheinlich. Vielmehr dürften bei uns künftig geringe Mengen an Wasserstoff hergestellt werden, während der Grossteil des Bedarfs aus Regionen mit konstant hoher Sonneneinstrahlung oder Wind kommt. Pläne für grosse Produktionsanlagen existieren an vielen Orten, in Nordafrika, im Mittleren Osten oder in Australien. Die Schweiz sollte sich frühzeitig mit langfristig orientierten Investitions- und Beschaffungsoptionen auseinandersetzen.
Begrenztes Produktionspotenzial in der Schweiz
Die Idee, überschüssigen erneuerbaren Strom im Sommer zur Herstellung von Wasserstoff zu nutzen, wird oft diskutiert. Sie stösst jedoch auf erhebliche Hindernisse:
- Die Stromüberschüsse in der Schweiz werden begrenzt sein. Laut einer aktuellen Studie könnten damit im Jahr 2030 zwei TWh und bis 2050 fünf TWh Wasserstoff produziert werden.
- Um wettbewerbsfähige Preise gewährleisten zu können, müssen die Kosten für den Strom, der zur Herstellung von Wasserstoff verwendet wird, so niedrig wie möglich sein. Sie machen nämlich den grössten Teil der gesamten Produktionskosten aus.
- Die zur Herstellung von Wasserstoff verwendeten Elektrolyseure müssen laut dem Bund mindestens 3000 Stunden pro Jahr laufen, um eine rentable Produktion zu gewährleisten. Für AXPO muss der Nutzungsgrad sogar mindestens 85 Prozent betragen.
Abtransport von CO2 aus Punktquellen – den Wasserstoffkreislauf schliessen
Der Import von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen könnte künftig nur die Hälfte eines Kreislaufs sein. Die andere Hälfte ist der Abtransport von CO2 aus industriellen Punktquellen (bspw. Zementwerke oder Kehrrichtverbrennungsanlagen) in der Schweiz und Europa. Dieses CO2 entsteht auch 2050 noch aus der Verbrennung von erneuerbaren Gasen und Treibstoffen. Um mit Netto-Null kompatibel zu sein, müssen diese Emissionen entweder eingefangen und langfristig eingelagert werden. Oder das CO2 wird stattdessen wieder der Produktion von erneuerbaren Brenn- und Treibstoffen zugeführt (CO2, das sonst teuer und aufwendig via «direct air capture» gewonnen werden müsste). Für den Abtransport von CO2 aus Europa gibt es bereits handfeste Projekte. In einer Schweizer Wasserstoffstrategie sollte diese «Schliessung des Kreislaufs» vollständig mitgedacht werden.