Geplante Zölle auf Schweizer Stahlprodukte: EU schneidet sich ins eigene Fleisch
Die EU schützt ihre Stahlindustrie und erhebt 25 Prozent Zoll nach einer bestimmten Importmenge. Schweizer Unternehmen sind von der Massnahme nicht ausgenommen, obwohl die Handelsströme zwischen der Schweiz und der EU äusserst stark verflochten sind. In Brüssel zeigten Unternehmensvertreter auf, dass die EU ihre eigene Auto-, Bau- und Möbelindustrie schädigt, wenn sie Zölle auf Schweizer Produkte erhebt.
«Die Zölle gefährden die europäische Wettbewerbsfähigkeit», sagt Serge Gaudin. Er ist Direktor Metall-Management von Novelis Switzerland AG, einem Unternehmen, das flachgewalzten Aluminium für die europäische Automobilindustrie produziert. Er sprach am letzten Mittwochabend an einem Runden Tisch der Schweizer Botschaft bei der EU in Brüssel und economiesuisse über «Integrated industrial value chains in Europe: can the European industry withstand trade tensions?». Hintergrund: Die Schutzmassnahmen der EU im Stahlbereich (Kontingente auf Stahlimporte und bei Überschreitung derselben 25 Prozent Zoll des Warenwerts) sowie Überwachungsmassnahmen bei Aluminiumimporten, auf die ebenfalls Kontingente und Zölle folgen könnten – und was sie für die europäische Industrie bedeuten.
Europäische Wertschöpfungsketten mit Schweizer Beteiligung
Die Schweiz wird bis anhin von den Schutzmassnahmen nicht ausgenommen. Dies, obwohl die Schweiz ihren Stahl zu 98 Prozent aus der EU importiert (2017: 2,4 Milliarden Franken an Warenwert) und den verarbeiteten Stahl zu 95 Prozent in die EU reexportiert (1,1 Milliarden Franken). Ihre Produkte sind nicht vergleichbar mit chinesischem, indischem oder türkischem Rohstahl. Stattdessen handelt es sich um spezialisierte, hochwertige Produkte. Sie stellen für die EU-Stahlproduktion keine Bedrohung dar, sondern stärken sie im Gegenteil.
Željko Pazin, Direktor Orgalime, und Martine Reynaers, CEO Reynaers Group, diskutieren mit Gerd Götz, Generaldirektor Europäischer Aluminiumverband, über die Frage «Can the European industry withstand trade tensions?». Fabian Zuleeg, Chefökonom beim European Policy Centre, moderiert das Panel.
Eine europäische Wertschöpfungskette im Stahlbereich mit Schweizer Beteiligung sieht typischerweise so aus: Das Schweizer Unternehmen kauft Stahl in einem europäischen Nachbarland, verarbeitet diesen etwa zu Rohren, die in einem EU-Unternehmen in eine bestimmte Form gebracht werden und in einer europäischen Autofirma als Stabilisatoren beim Fahrwerk den Rädern eingesetzt werden. Auch in Möbeln, Airbags oder Getränkedosen stecken Schweizer Stahlprodukte.
Schweiz muss von definitiven Schutzmassnahmen ausgenommen werden
Die Kontingente in den seit Juli laufenden provisorischen Schutzmassnahmen sind teilweise bereits ausgeschöpft. «Es ist sehr schwierig», sagt Christoph Jansen, Verwaltungsratsmitglied des Schweizer Stahlverarbeiters Jansen AG, «den EU-Kunden klarzumachen, dass die hochqualitativen Schweizer Stahlprodukte aus EU-Stahl auf einmal einen Viertel teurer werden können und die Bestellung folglich also nicht 100’000 sondern 125'000 Euro kostet.» Andere Schweizer Unternehmen warten mit der Ausfuhr bereits aufgenommener Bestellungen bis Februar. Dann will die EU die provisorischen durch definitive Massnahmen ablösen. Der Zähler der Kontingente wird dann erst mal wieder auf Null gesetzt.
Noch hat sich die EU über die Ausgestaltung der definitiven Massnahmen im Stahlbereich und eine Ergreifung von Schutzmassnahmen im Aluminiumbereich nicht entschieden. Vorgesehen ist aktuell, dass die Schweiz in bestimmten Stahlproduktekategorien eigene Kontingente hätte. Allerdings ignoriert auch diese die Dynamik der Marktwirtschaft, wo ein Wirtschaftszweig – etwa durch technologischen Fortschritt – auf einmal stark wächst und deshalb mehr Stahl benötigt würde. Die EU muss die Schweiz von den Schutzmassnahmen ausnehmen. Denn statt die EU-Stahlindustrie vor Dumpingpreisen zu schützen, würden Zölle auf Schweizer Stahlprodukte die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen EU-Kunden schädigen.