Heinz Karrer

«Der Markt­zu­gang in die EU wird schlech­ter»

Heinz Kar­rer, Prä­si­dent von eco­no­mie­su­is­se, warnt vor einem Schei­tern des Rah­men­ab­kom­mens mit der EU. Die Fol­gen für die Schwei­zer Wirt­schaft wären dras­tisch. Im In­ter­view mit Harry Büs­ser vom «Blick» er­klärt er die Grün­de.

Was ist der Vor­teil eines Rah­men­ab­kom­mens?
Nur mit einem Rah­men­ab­kom­men kön­nen Qua­li­tät und Ak­tua­li­tät der heu­ti­gen bi­la­te­ra­len Ver­trä­ge wei­ter­hin ge­si­chert und neue bi­la­te­ra­le Ab­kom­men ab­ge­schlos­sen wer­den.

Ohne neues Rah­men­ab­kom­men wird für Schwei­zer Un­ter­neh­men der Markt­zu­gang in die EU immer schlech­ter.
Ja, denn es wäre nicht ge­währ­leis­tet, dass die Prü­fung von In­dus­trie­pro­duk­ten ge­gen­sei­tig an­er­kannt wer­den, wenn sich Tech­no­lo­gi­en oder Rechts­la­ge wei­ter­ent­wi­ckeln.

Rund 20 Pro­zent der Wert­schöp­fung in der Schweiz ver­dan­ken wir dem Han­del mit der EU.

Kön­nen Sie das an einem kon­kre­ten Bei­spiel an­schau­lich ma­chen?
Für che­mi­sche Pro­duk­te wer­den Prüf­ver­fah­ren durch­ge­führt. Dabei wird etwa be­ur­teilt, ob sie be­stimm­ten Si­cher­heits­an­for­de­run­gen ge­nü­gen. Wenn sich diese Si­cher­heits­an­for­de­run­gen ver­än­dern, müs­sen unter Um­stän­den auch die Prüf­ver­fah­ren ge­än­dert wer­den. Gibt es kein Rah­men­ab­kom­men, ist es mög­lich, dass das Schwei­zer Prüf­ver­fah­ren eines Tages in der EU nicht mehr ak­zep­tiert wird.

Im Ex­trem­fall könn­ten diese Pro­duk­te dann nicht mehr in die EU ex­por­tiert wer­den.
Genau, der Markt­zu­gang in die EU ist für viele Bran­chen in der Schweiz sehr wich­tig. 50 Pro­zent un­se­rer Ex­por­te gehen in die EU. Also rund 20 Pro­zent der Wert­schöp­fung in der Schweiz ver­dan­ken wir dem Han­del mit der EU.

Nur mit einem Rah­men­ab­kom­men kön­nen Qua­li­tät und Ak­tua­li­tät der heu­ti­gen bi­la­te­ra­len Ver­trä­ge wei­ter­hin ge­si­chert und neue bi­la­te­ra­le Ab­kom­men ab­ge­schlos­sen wer­den.

Ein Fall, wo der Markt­zu­gang plötz­lich ver­wei­gert wer­den könn­te, be­trifft die Schwei­zer Börse. Diese ist min­des­tens so äqui­va­lent mit EU-Recht wie die ka­na­di­sche Börse. Trotz­dem hat sie im Un­ter­schied zur ka­na­di­schen Börse nur einen, auf ein Jahr be­fris­te­ten Zu­gang zum Markt der EU er­hal­ten.
Ja, in der EU wurde das ex­pli­zit auch damit be­grün­det, dass es mit dem Rah­men­ab­kom­men nicht vor­wärts­geht.

Die Schweiz könn­te Ge­gen­mass­nah­men er­grei­fen, wie etwa die Deut­sche Börse in der Schweiz nicht mehr zu­las­sen oder Ähn­li­ches.
Ein Han­dels­kon­flikt mit dem wich­tigs­ten Aus­sen­han­dels­part­ner ist kaum ziel­füh­rend und würde letzt­lich bei­den scha­den.

Es geht doch darum, einen mög­lichst guten Deal aus­zu­han­deln. Dazu kön­nen auch Ge­gen­mass­nah­men ein­ge­setzt wer­den.
Wir wol­len ein gutes Ab­kom­men, also kein Ab­kom­men um jeden Preis. Der EU-Markt mit 500 Mil­lio­nen Kun­din­nen und Kun­den ist sech­zig­mal grös­ser als der Schwei­zer Markt. Und ein Han­dels­kon­flikt würde nur Nach­tei­le brin­gen, das hat die Ver­gan­gen­heit schon immer ge­zeigt.

Dem­entspre­chend sind auch die Kräf­te­ver­hält­nis­se?
Wie ge­sagt: Ein Han­dels­kon­flikt ist nicht ziel­füh­rend. Es wäre für die Han­dels­part­ner bes­ser, wenn es ein Streit­bei­le­gungs­ver­fah­ren gäbe. Mit dem Rah­men­ab­kom­men ist ein Schieds­ge­richt vor­ge­se­hen, das die Ver­hält­nis­mäs­sig­keit von all­fäl­li­gen Mass­nah­men der EU oder auch von der Schweiz be­ur­tei­len würde.

Ein Han­dels­kon­flikt mit dem wich­tigs­ten Aus­sen­han­dels­part­ner ist kaum ziel­füh­rend und würde letzt­lich bei­den scha­den.

Die­ses Schieds­ge­richt wäre pa­ri­tä­tisch be­setzt, also ein Rich­ter aus der Schweiz und einer aus der EU.
Ein Streit­bei­le­gungs­ver­fah­ren mit einem pa­ri­tä­tisch zu­sam­men­ge­setz­ten Schieds­ge­richt würde die Rechts­si­cher­heit für Schwei­zer Un­ter­neh­men deut­lich ver­bes­sern.

Wer ver­liert, wenn ein Rah­men­ab­kom­men mit der EU ab­ge­schlos­sen wird?
Die Geg­ner des Ab­kom­mens be­haup­ten, dass die Schweiz Sou­ve­rä­ni­tät ver­lie­ren würde. Dem ist aber nicht so. Die Schweiz würde bei allen Ver­än­de­run­gen immer noch selbst be­stim­men, ob sie diese mit­ma­chen will oder nicht.

Gut, aber es gibt auch Ver­lie­rer, etwa die Ar­beit­neh­mer?
Nein, das Lohn­schutz­ni­veau soll auf dem glei­chen Ni­veau blei­ben. Das wol­len der Bun­des­rat, wir, die Ar­beit­ge­ber, und auch die Ge­werk­schaf­ten.

Aber die flan­kie­ren­den Mass­nah­men ste­hen plötz­lich zur Dis­kus­si­on, etwa die 8-Tage-Regel.
Das Lohn­schutz­ni­veau soll bei­be­hal­ten wer­den. Es geht hier also nur darum, wie der Lohn­schutz ge­währ­leis­tet wer­den kann, dass auch die EU damit leben kann.

Da schei­nen Bun­des­rat und Ge­werk­schaf­ten un­ter­schied­li­cher Mei­nung.
Eine Ge­sprächs­ver­wei­ge­rung ist un­ver­ständ­lich, re­spekt­los ge­gen­über dem Bun­des­rat, un­schwei­ze­risch und auch nicht so­zi­al­part­ner­schaft­lich. Ich gehe des­halb davon aus, dass die Ge­werk­schaf­ten das Ge­spräch wie­der auf­neh­men.

Die sahen an­schei­nend keine an­de­re Lö­sung mehr. Wenn es kein Rah­men­ab­kom­men gibt, könn­te die Schweiz ja ein­fach ein Frei­han­dels­ab­kom­men mit der EU ab­schlies­sen.
Wir haben be­reits ein Frei­han­dels­ab­kom­men mit der EU.

Das ist al­ler­dings schon etwas älter, aus dem Jahr 1972. Wir könn­ten ein neues aus­han­deln.
Da müss­te die EU mit­ma­chen. Er­fah­rungs­ge­mäss dau­ern sol­che Ver­hand­lun­gen viele Jahre. Zudem stellt sich die Frage, ob neuen Ver­trä­ge bes­ser wären als die heu­ti­gen bi­la­te­ra­len Ver­trä­ge. Da sind mehr als nur Zwei­fel an­ge­bracht.

Eine Ge­sprächs­ver­wei­ge­rung ist un­ver­ständ­lich, re­spekt­los ge­gen­über dem Bun­des­rat, un­schwei­ze­risch und auch nicht so­zi­al­part­ner­schaft­lich.

Alles Ver­hand­lungs­sa­che.
Das würde die Schweiz über eine lange Zeit enor­men Un­si­cher­hei­ten aus­set­zen, ver­gleich­bar mit den­je­ni­gen von Gross­bri­tan­ni­en seit dem Brex­it-Ent­scheid. Seit da­mals ist Gross­bri­tan­ni­en wei­ter hin­ter das ehe­mals für das Land pro­gnos­ti­zier­te Wirt­schafts­wachs­tum zu­rück­ge­fal­len. Dem soll­te sich die Schweiz nicht aus­set­zen.

 

Die­ses In­ter­view er­schien am 12. Au­gust 2018 im «Sonn­tags­Blick». Zur ge­kürz­ten On­line­ver­si­on geht es hier.