# 02 / 2019
17.01.2019

AHV-Steuervorlage – ein Schritt vorwärts bei zwei dringlichen Problemen

Unvermeidbare AHV-Zusatzfinanzierung

Alterung der Gesellschaft als akute finanzielle Herausforderung

Mit der AHV hat die Schweiz ein weiteres dringendes Problem. Das Sozialwerk steht vor einer gewaltigen finanziellen Herausforderung. Ursachen sind die steigende Lebenserwartung und die in Pension gehenden «Babyboomer»-Jahrgänge. Zwischen 2015 und 2040 erhöht sich die Zahl der Rentner von 1,5 auf 2,6 Millionen. Das Verhältnis von Beitragszahlern zur Anzahl Rentner wird sich damit dramatisch verschlechtern. Gab es bei der Einführung der AHV im Jahr 1948 noch 6,5 Beitragszahler pro AHV-Rentner, werden es 2035, wenn ein Grossteil der «Babyboomer» pensioniert ist, gerade noch 2,3 sein. Die finanzielle Situation der AHV verschlechtert sich stetig. Bereits 2025 beträgt das vom Bundesamt für Sozialversicherungen prognostizierte Betriebsdefizit der AHV 3 Milliarden Franken. Wenn nichts unternommen wird, ist der AHV-Fonds 2030 leer (siehe Grafik 5). 2035 schreibt die AHV ein voraussichtliches Betriebsdefizit von 13,7 Milliarden Franken innerhalb eines einzigen Jahres. Beim wichtigsten Sozialwerk der Schweiz lässt sich der heutige Zustand somit unmöglich aufrechterhalten.

Grafik 5

Mit der Pensionierung der grossen «Babyboomer»-Jahrgänge zahlt die AHV immer mehr Renten aus. Ohne Gegenmassnahmen führt dies zu stetig wachsenden Defiziten. Die Reserven im AHV-Fonds sind bereits 2030 aufgebraucht.

Die stetige Verschlechterung der AHV-Finanzen ist seit Langem absehbar. Zahlreiche Reformversuche misslangen jedoch. Die 11. AHV-Revision wurde 2004 vom Volk abgelehnt und scheiterte in einem zweiten Versuch 2010 im Parlament. Auch eine Erhöhung der AHV-Renten, wie sie die Volksinitiative «AHVplus» forderte, ist beim Volk 2016 nicht durchgekommen. 2017 wurde schliesslich mit der «Altersvorsorge 2020» der aktuellste Reformversuch in einer Abstimmung abgelehnt. 

Zur Sicherung der AHV-Renten auf heutigem Niveau stehen zwei Hebel zur Verfügung: strukturelle Massnahmen, etwa die Erhöhung des Referenzalters, sowie Zusatzfinanzierungen. Angesichts der politischen Ausgangslage und der gewaltigen Finanzierungslücke ist klar: beide Hebel müssen betätigt werden. Die Angleichung des Rentenalters der Frauen auf 65 würde im Jahr 2030 Einsparungen von 570 bis 950 Millionen Franken bringen (je nach Umfang der Ausgleichsmassnahmen gemäss Stabilisierungsvorlage AHV 21). Das prognostizierte Betriebsdefizit der AHV beträgt im gleichen Jahr aber 7'600 Millionen Franken. Eine zusätzliche Finanzierung der AHV ist neben weiteren strukturellen Massnahmen deshalb unvermeidbar.

AHV-Zusatzfinanzierung als sozialer Ausgleich zur Steuervorlage

2017 scheiterte die Unternehmenssteuerreform III vor dem Volk. Als Zugeständnis an die Referendums-Gewinner verknüpfte der Bundesrat die Nachfolgevorlage mit einem «sozialen Ausgleich». Vorbild war die mit 87 Prozent angenommene Waadtländer Reform. Die vorgeschlagene Erhöhung der Familienzulagen konnte jedoch politisch nicht überzeugen. Die von Links stattdessen geforderte deutlich höhere Besteuerung von Dividenden stiess auf breite Kritik bei Bürgerlichen und es wurden Referendumsdrohungen von Gewerbe und Familiengesellschaften lanciert. Bei Fehlen eines spürbaren sozialen Ausgleichs und höherer Dividendenbesteuerung wurde ein erneutes Referendum vonseiten SP und Gewerkschaften angedroht. Eine Beschränkung der Vorlage auf die Abschaffung der Sonderbesteuerung ohne Hilfspaket an die Kantone hätte den interkantonalen Steuerwettbewerb beim Gewinnsteuersatz drastisch verschärft. Für die kantonalen Finanzdirektoren war das nicht tragbar. Die politische Lösung fand das Parlament schliesslich in einer ohnehin notwendigen AHV-Zusatzfinanzierung. Eine Alternative mit vergleichbar breiter politischer Unterstützung wurde von keiner Seite vorgelegt.

Geringere Belastung der Haushalte dank Beitrag der Wirtschaft und des Bundes

Als Beitrag zur Stabilisierung des Sozialwerks beinhaltet die AHV-Steuervorlage eine Zusatzfinanzierung durch:

  • einen Arbeitgeber-Lohnbeitrag von 0,15 Prozent (600 Millionen Franken),
  • einen Arbeitnehmer-Lohnbeitrag von 0,15 Prozent (600 Millionen Franken),
  • und eine Erhöhung des Beitrags des Bundes (820 Millionen Franken).

Auch ohne AHV-Steuervorlage plant der Bundesrat eine substanzielle Zusatzfinanzierung der AHV. Im Rahmen der Stabilisierungsvorlage AHV 21 sollen zusätzliche 1,5 Prozentpunkte Mehrwertsteuer in die AHV fliessen (rund 5 Milliarden Franken). Ein Beitrag der Arbeitgeber oder des Bundes ist bei der Reform AHV 21 nicht vorgesehen.

Gemäss Bundesrat kann bei einem Gelingen der AHV-Steuervorlage die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,8 Prozentpunkte geringer ausfallen (über 2 Milliarden Franken). Die Privathaushalte würden bei AHV 21 also substanziell weniger belastet. Tabelle 2 zeigt auf, wie sich das konkret auf verschiedene Haushalte auswirkt. Die Entlastung der Privathaushalte bei AHV 21 ist durchwegs grösser als die Belastung durch die AHV-Steuervorlage. Grund ist der Beitrag von Arbeitgebern und Bund. Je nach Einkommensklasse beträgt die resultierende Entlastung 144 bis 390 Franken pro Jahr.

Die vorgesehene AHV-Zusatzfinanzierung ist für die Privathaushalte vorteilhaft. Für die Unternehmen bedeutet sie eine Belastung durch die Verteuerung der Lohnkosten, beim Bund eine zusätzliche Bindung bisher freier Mittel (für die AHV). Klar ist, die Wirtschaft kann diese Zusatzfinanzierung mittragen, weil gleichzeitig die Attraktivität des Steuerstandorts gesichert wird. Bei einem Scheitern der AHV-Steuervorlage könnte die Wirtschaft zusätzliche Lohnbeiträge und höhere Bundesgelder nicht akzeptieren.

Tabelle 2

Mit der AHV-Steuervorlage kann die AHV-Finanzierung im Rahmen der Stabilisierungsvorlage AHV 21 geringer ausfallen. Die Entlastung der Privathaushalte bei AHV 21 ist durchwegs grösser als die Belastung durch die AHV-Steuervorlage. Grund ist der Beitrag von Arbeitgebern und Bund.

Strukturelle Massnahmen weiterhin nötig

Die AHV-Steuervorlage leistet einen Beitrag an das akute Finanzierungsproblem der AHV. Klar ist jedoch: Für eine nachhaltige Stabilisierung sind strukturelle Massnahmen unabdingbar. Parallel läuft die Stabilisierungsvorlage AHV 21 weiter. Der erste Reformentwurf stützte sich noch zu 90 Prozent auf Zusatzeinnahmen. economiesuisse verlangt stattdessen einen ausgewogenen Mix aus finanzpolitischen und strukturellen Massnahmen. Die Botschaft des Bundesrates zu AHV 21 wird im Frühling 2019 erwartet.