Altersvorsorge 2020 bringt grosse finanzielle Zusatzbelastung für den Bund
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Ausgangslage: Die Reform der Altersvorsorge
- Kapitel 2 Die finanziellen Auswirkungen der Reform
- Kapitel 3 Zahlreiche weitere Gründe sprechen für ein Nein
- Kapitel 4 Fazit
Die finanziellen Auswirkungen der Reform
Wie wird die AHV heute finanziert?
Die AHV wird zu einem grossen Teil über die Lohnbeiträge der Versicherten und Arbeitgeber finanziert. Sie steuern 30,862 Milliarden Franken bei. Darüber hinaus leistet der Bund einen Beitrag an die AHV, der aktuell rund ein Fünftel der Einnahmen ausmacht (2016: 8,318 Milliarden Franken).
Seit 1999 erhält die AHV ausserdem einen Anteil an der Mehrwertsteuer, die dafür um einen Prozentpunkt erhöht wurde. Weil dieses Mehrwertsteuerprozent ausschliesslich zur Abfederung der finanziellen Konsequenzen der demografischen Entwicklung vorgesehen ist, wird es auch Demografieprozent genannt. Diese Mehrwertsteuereinnahmen in der Grössenordnung von 2,307 Milliarden Franken sind zweckgebunden. Das heisst, sie dürfen nur der AHV zukommen. 83 Prozent davon gelangen direkt in die AHV. Weil die demografische Entwicklung nicht nur die AHV, sondern auch den Bundeshaushalt betrifft, wurden dem Bund bei der Einführung des Demografieprozents 17 Prozent der zusätzlichen Einnahmen zugesprochen. Der Bund darf diese Mittel ausschliesslich zur Deckung seines eigenen Beitrags an die AHV verwenden.
Schliesslich kommt der AHV der gesamte Ertrag aus der Spielbankenabgabe (274 Millionen Franken) zugute.
Grafik 1
Rund drei Viertel der AHV-Kosten werden von den Versicherten und den Firmen getragen. Der Bund kommt für knapp 20 Prozent auf.
AHV-Statistik 2016, BSV
Bundesbeitrag an die AHV
Der Beitrag aus dem Bundeshaushalt beläuft sich auf 19,55 Prozent der jährlichen AHV-Ausgaben und ist somit unmittelbar an die AHV-Kosten gekoppelt. Der Bund hat im vergangenen Jahr 8,318 Milliarden Franken in die AHV einbezahlt.
Zwei Drittel des Bundesbeitrags an die AHV (2016: 5,489 Milliarden Franken) werden durch allgemeine Bundesmittel, sprich durch Steuereinnahmen finanziert. Der Rest wird durch eine Spezialfinanzierung gedeckt. In diese fliessen:
- Tabaksteuern (2016: 2,131 Milliarden Franken)
- Anteil Demografieprozent (2016: 476 Millionen Franken)
- Abgaben auf Alkohol (2016: 223 Millionen Franken)
Grafik 2
Der grösste Teil des Bundesbeitrags an die AHV wird durch allgemeine Bundesmittel finanziert, der Rest durch Spezialfinanzierungen.
Rechnung 2016, EFV
Der Bund wird aufgrund der Altersvorsorge 2020 mehr allgemeine Bundesmittel für die Finanzierung seines Beitrags an die AHV aufbringen müssen. Dies aufgrund von zwei Beschlüssen im Rahmen der Reform:
- Das Demografieprozent geht neu zu 100 Prozent direkt an die AHV. Dadurch fehlen Einnahmen, die der Bund bisher für die Finanzierung seines AHV-Beitrags zur Verfügung hatte.
- Durch den Leistungsausbau in der AHV nehmen die AHV-Ausgaben und somit auch der Bundesbeitrag an die AHV zu.
Per 2030 beträgt die finanzielle Mehrbelastung des Bundes bereits 700 Millionen Franken. Das sind Mittel, die in anderen Ausgabenbereichen kompensiert werden müssen.
Sinkende Einnahmen durch den Wegfall des Demografieprozents
Für die Reform der Altersvorsorge schlug der Bundesrat vor, die Zahlungsflüsse zwischen der AHV und dem Bundeshaushalt zu vereinfachen. Der Bundesanteil am Demografieprozent sollte aufgehoben werden. Die AHV hätte die gesamten Einnahmen des Demografieprozents direkt erhalten. Zum Ausgleich sollte der AHV-Beitrag des Bundes gesenkt werden. Statt 19,55 Prozent sollte der Bund nur noch 18 Prozent der jährlichen AHV-Ausgaben finanzieren. Diese Anpassung wäre für den Bundeshaushalt neutral ausgefallen.
In der Beratung stimmte das Parlament einem Teil dieser Anpassungen zu. Es beschloss, dass der Bund künftig auf AHV-Gelder aus der Mehrwertsteuer verzichten muss und das vollständige Demografieprozent direkt, ohne teilweisen Umweg über den Bund, der AHV zukommt. Auf den zweiten Teil der Anpassung – die Senkung des Bundesbeitrags – verzichtete das Parlament. Der Bund finanziert auch in Zukunft 19,55 Prozent der jährlichen AHV-Kosten. Weil diese Ausgaben fixiert sind (gesetzlich gebunden), dem Bund aber die Gelder aus der Mehrwertsteuer fehlen, muss der Bund zusätzliche Mittel von 610 Millionen Franken aus dem allgemeinen Bundeshaushalt einsetzen.
Steigende Kosten durch den Ausbau der AHV
Gleichzeitig hat das Parlament beschlossen, die Leistungen der AHV auszubauen. Für Neurentner werden die Renten um 70 Franken pro Monat erhöht. Die maximale Ehepaarrente wird um monatlich 226 Franken aufgestockt. Im Jahr 2030 betragen die Mehrkosten für die AHV bereits 1,4 Milliarden Franken. Mit jedem neuen Rentnerjahrgang steigt die Belastung weiter.
Die Koppelung des Bundesbeitrags an die Ausgaben der AHV hat zur Folge, dass dieser bei steigenden AHV-Kosten ebenfalls mitwächst. Grafik 3 zeigt die Entwicklung der finanziellen Mehrbelastung des Bundes aufgrund des Rentenausbaus von 70 Franken pro Monat. Dadurch werden die AHV-Ausgaben trotz finanzieller Entlastung durch das höhere Frauenrentenalter ab 2026 wieder ansteigen, und zwar Jahr für Jahr.
Ab 2030 ist das Wachstum der AHV-Ausgaben besonders stark. Entsprechend vervielfachen sich die Mehrausgaben für den Bund innerhalb von wenigen Jahren. Betragen sie 2030 noch 90 Millionen Franken, sind sie 2035 bereits doppelt, 2037 dreimal und 2042 fünfmal so hoch. Kurzfristig eine Entlastung für den Bundeshaushalt, entpuppt sich die Reform mittelfristig als eine enorme zusätzliche Belastung.
Genau wie der künftig fehlende Beitrag aus dem Demografieprozent müssen auch diese Mehrkosten aus dem allgemeinen Bundeshaushalt finanziert werden. Für andere Aufgaben stehen immer weniger Mittel zur Verfügung.
Grafik 3
Trotz finanzieller Entlastung der AHV durch das höhere Frauenrentenalter steigen die AHV-Ausgaben durch den Leistungsausbau bereits ab 2026 wieder, und zwar Jahr für Jahr.
AHV-Finanzhaushalte ohne und mit Reform, BFS (Zahlen bis 2030 Stand Juni 2017; Zahlen ab 2031 Stand März 2017)
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der zusätzlich durch die Reform für den Bund entstehenden Ausgaben. Die Mehrbelastung des Bundeshaushalts beträgt aufgrund des Leistungsausbaus und Wegfalls des Demografieprozents bereits 2018 rund eine halbe Milliarde Franken. Das Wachstum kann zwar dank der Erhöhung des Frauenrentenalters zunächst noch abgeschwächt werden. Mit der Pensionierungswelle der Babyboomer ab 2020 steigen die Mehrausgaben für die AHV jedoch markant und kontinuierlich an. 2030 wird die Bundeskasse mit insgesamt 700 Millionen , 2039 bereits mit einer Milliarde Franken zusätzlich belastet.
Grafik 4
Der AHV-Ausbau und die Kompensation des Demografieprozents führen dazu, dass der Bund bereits 2018 rund eine halbe Milliarde Franken zusätzlich in die AHV einschiessen muss.
AHV-Finanzhaushalte ohne und mit Reform, BFS (Zahlen bis 2030 Stand Juni 2017; Zahlen ab 2031 Stand März 2017)
Verdrängungseffekt wird verstärkt
Der AHV-Beitrag des Bundes gehört zu den gesetzlich gebundenen Ausgaben, da ein Gesetz fix festlegt, wie viel der Bund pro Jahr für die AHV ausgibt – nämlich 19,55 Prozent der jährlichen AHV-Kosten. Der Bund kann diesen Beitrag nicht senken (aber auch nicht erhöhen). Dafür würde es eine erneute Gesetzesänderung brauchen.
Gebundene Ausgaben sind ein bekanntes Phänomen beim Bund. Bereits heute sind insgesamt 57 Prozent der Bundesausgaben durch Gesetze oder andere Auflagen gebunden. Bis 2020 steigen die gebundenen Ausgaben auf deutlich über 60 Prozent. Im jährlichen Budgetprozess kann das Parlament diese Ausgaben nur beschliessen – in der Höhe kann es sie kaum ändern. In den Aufgabengebieten Soziale Wohlfahrt (AHV, IV, Vergünstigung der Krankenkassenprämien, Ergänzungsleistungen), Finanzen und Steuern sowie Verkehr sind gebundene Ausgaben verbreitet oder sogar die Regel. Eher weniger gebunden sind die Ausgaben in den Bereichen Bildung und Forschung, Armee, Landwirtschaft sowie Internationale Zusammenarbeit.
Weil die gebundenen Ausgaben für die AHV jedes Jahr zunehmen, beanspruchen diese immer mehr Bundesmittel. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben des Bundes nimmt zu. In der Folge stehen immer weniger Mittel für die übrigen, weniger stark gebundenen Aufgabengebiete zu Verfügung. Dieser innerhalb des Bundeshaushalts bereits bestehende Verdrängungseffekt durch stetig wachsende gebundene Ausgaben für die soziale Wohlfahrt wird durch die Reform noch verstärkt.
Der Bundesrat hat im Rahmen der Altersvorsorge 2020 auf die zunehmende Verdrängung anderer Aufgabengebiete infolge steigender Ausgaben für die AHV hingewiesen. Er hat deshalb vorgeschlagen, den Bundesbeitrag als Kompensation des wegfallenden Demografieprozents auf 18 Prozent zu senken. Damit sollte der Druck des demografiebedingten Ausgabenwachstums in der AHV auf den Bundesbeitrag und somit auch auf die übrigen Aufgaben des Bundes gemildert werden.
In der Botschaft sprach der Bundesrat basierend auf dem von ihm ursprünglich vorgesehenen tieferen Bundesbeitrag (18 statt 19,55 Prozent) von einem Verdrängungseffekt per 2030 von bereits 1,4 Milliarden Franken. Mit den Beschlüssen des Parlaments (vollständige Verlagerung des Demografieprozents in die AHV ohne gleichzeitige Reduktion des Bundesbeitrags sowie Leistungsausbau der AHV) dürfte der Verdrängungseffekt sogar noch deutlich höher ausfallen.
Dies hat bereits im nächsten Jahr unmittelbare Auswirkungen auf die Bundesfinanzen. 2018 machen die Mehrausgaben für die AHV fast eine halbe Milliarde Franken aus. Um diese Mehrausgaben zu kompensieren, muss der Bund bei den ungebundenen Ausgaben wie der Bildung und Forschung, Armee, Landwirtschaft und Internationale Zusammenarbeit Kürzungen vornehmen.
Grafik 5
Die Reform trägt dazu bei, dass bis 2020 bereits zwei Drittel der Bundesausgaben gebunden sind.
Avenir Suisse (2013), EFV (2017)