Was der Gotthard mit der Kündigungsinitiative am Hut hat
Der Abstimmungssonntag vom 27. September naht. Entsprechend kurioser werden die Behauptungen im Abstimmungskampf aufseiten der Befürworter der Kündigungsinitiative. Unter anderem soll das bilaterale Landverkehrsabkommen insbesondere der EU nützen. Das stimmt aber nicht. Die Fakten zeigen das Gegenteil auf. Dank des Vertrags werden heute 70 Prozent des alpenüberquerenden Güterverkehrs auf der Schiene transportiert. Auch die Erhöhung der Gewichtslimite von Lastkraftwagen auf 40 Tonnen brachte der Schweiz Vorteile. Bei einer Annahme der Kündigungsinitiative würde folglich einiges auf dem Spiel stehen. Da das Landverkehrsabkommen Teil der Bilateralen I ist, würden wir es bei einer Annahme der Initiative an der Urne verlieren.
Immer wieder höre ich aufseiten der Befürworter der Kündigungsinitiative (sogenannte «Begrenzungsinitiative) denselben Satz auf Podien: Das Landverkehrsabkommen nütze vor allem der Europäischen Union (EU). Als Beispiel nennen sie, dass die Schweiz auf Druck der EU die Gewichtslimite für Lastwagen von 28 auf 40 Tonnen erhöhen musste. Es kommt noch besser: Es wird oft das Argument in den Raum geführt, die Schweiz müsse nur den Gotthard schliessen und dann würde die EU unserem Land schon bessere Bedingungen anbieten.
Mythen sind per se nichts Schlechtes. Aber Fakten bleiben Fakten. Das gilt auch für einen politischen Abstimmungskampf.
Hier soll offensichtlich der Mythos «Gotthard» zum Klingen gebracht werden. Der Mythos steht für die strategische Bedeutung als Verkehrsweg seit dem Mittelalter, für die Unbezwingbarkeit des «Réduit» im Zweiten Weltkrieg oder auch für die technischen Meisterleistungen im Schienen- und Tunnelbau. Ich finde Mythen nichts Schlechtes, im Gegenteil. Aber der mythische Bezug der Initianten zum Gotthard kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Argumentation den Fakten nicht standhält. Denn im Zusammenhang mit dem Landverkehrsabkommen liegen diese auf dem Tisch. Es öffnet nicht nur die Märkte für den Strassen- und Schienenverkehr, sondern schafft auch die rechtliche und finanzielle Grundlage für die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Auch die Anhebung der Gewichtslimite für Lastkraftfahrzeuge (LKW) von 28 auf 40 Tonnen brachte Vorteile. Es ist an der Zeit, dass eben diese Fakten den Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern vorgelegt werden.
Das Landverkehrsabkommen förderte die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene.
Bei der Abnützung des Strassenbelags zählt der sogenannte Achsdruck. Bei einem LKW zählt somit das Gewicht in Tonnen, das auf einer Achse lastet. Da ein 40-Tönner nun mal mehr Achsen hat als ein 28-Tönner, ist der Achsdruck beim 40-Tönner meist geringer. Damit auch die Abnützung der Strasse. Zudem weist ein 40-Tönner ein besseres Verhältnis zwischen Nutzlast, also der Ladung, und dem Leergewicht auf. Fazit: LKW mit 40 Tonnen können mit weniger Fahrten mehr Tonnage über den Gotthard transportieren als 28-Tönner und haben eine geringere Abnützung der Strasse zur Folge.
Das Landverkehrsabkommen ist im Interesse unseres Landes.
Dieser positive Effizienzeffekt reicht aber nicht. Das Landverkehrsabkommen mit der EU baute auch noch ein Instrument zur Verkehrsumlagerung auf die Schiene ein. Das ist wichtig, denn sonst hätte die Effizienzsteigerung der LKW zu einer starken Zunahme des transalpinen Güterverkehrs über die Gotthardautobahn geführt. Zur Güterverlagerung auf die Schiene brauchte es die Schwerverkehrsabgabe (LSVA). Diese setzt einen starken Anreiz zur Nutzung der Bahn für Gütertransporte. Beide Elemente sind im bilateralen Landverkehrsabkommen enthalten. Die Einnahmen aus der LSVA der LKW-Transporte werden wiederum zur Quersubventionierung des Güterverkehrs eingesetzt. Jährlich trägt der Transitverkehr auf der Strasse rund 500 Millionen Franken an die Bahninfrastruktur bei. Dieser Mechanismus hat dazu geführt, dass rund 70 Prozent des transalpinen Güterverkehrs in der Schweiz auf der Schiene transportiert werden. Der Schwerverkehr auf der Strasse deckt über die LSVA mehr als 100 Prozent seiner Kosten – das ist kein Mythos, sondern eine Feststellung des Bundesgerichts am 17. Dezember 2011. All dies zeigt, dass das Landverkehrsabkommen sehr wohl im Interesse der Schweiz ist. Und die Behauptungen der Initianten nicht wahr sind.
Der Gotthard ist nicht nur ein wichtiger Teil unserer Identität, sondern auch ein Symbol für die verbindende Rolle unseres Landes im Herzen Europas.
Wahr ist jedoch, dass die EU zu Beginn der Verhandlungen gegen eine Schwerverkehrsabgabe zur Güterverlagerung auf die Schiene war. Ebenfalls stimmt, dass es alt Bundesrat Adolf Ogi war, der während der schwierigen Verhandlungen über ein Landverkehrsabkommen die damaligen Verkehrsminister der EU-Länder an den Fuss des Gotthards brachte. Er zeigte ihnen vor Ort, wie eng die Platzverhältnisse sind und welche Bedeutung die Verlagerung auf die Schiene hat – und namentlich die heutige Neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT die Lösung sein wird. Er hat offensichtlich überzeugt.
Der Gotthard ist nicht nur ein wichtiger Teil unserer Identität, sondern auch ein Symbol für die Verbindung von Nord und Süd in unserem Land und in Europa, für die verbindende Rolle unseres Landes im Herzen Europas. Das ist für mich der wichtigere Mythos. Alt Bundesrat Ogi hat diesen Mythos damals gut genutzt, finde ich.