Corona-Pandemie: Aktuelle Umfrage zeigt gravierende Sorgen der Schweizer Wirtschaft
Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse hat in einer Mitgliederumfrage ein aktuelles Stimmungsbild der Schweizer Wirtschaft ermittelt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Unternehmen angesichts der Corona-Pandemie auf schwierige Monate einstellen. Viele kämpfen bereits mit Lieferengpässen, Absatzschwierigkeiten und einer verschlechterten Zahlungsmoral im B2B-Bereich. Die Massnahmen des Bundesrats kommen gerade noch rechtzeitig.
Die aktuelle Umfrage unter den Mitgliedern von economiesuisse zeigt, dass die gestern vorgestellten Notmassnahmen des Bundesrats zur Liquiditätsüberbrückung zielgerichtet und zweckmässig sind. Die Schweizer Wirtschaft erwartet eine deutliche Zunahme von Firmen, die in den nächsten zwei Monaten in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Während heute bereits rund ein Drittel der Unternehmen Schwierigkeiten haben, die Liquidität im Betrieb sicherzustellen, wird dieser Anteil auf sehr hohe rund 50 Prozent ansteigen. Die Massnahmen des Bundesrats kommen also zur rechten Zeit, um negative Kettenreaktionen in der Wirtschaft unterbrechen zu können. Das Liquiditätsproblem akzentuiert sich nicht nur aufgrund sinkender Absatzzahlen. Etliche Firmen berichten, dass sich die Zahlungsmoral insbesondere im B2B-Bereich drastisch verschlechtert hat. Insgesamt ist mit einem deutlichen Anstieg bei den Debitorenverlusten zu rechnen, was zusätzlich auf die Liquidität drückt.
Die Umfrage zeigt weitere interessante und gleichzeitig problematische Sachverhalte:
- Ein grosser Anteil an Unternehmen hat heute bereits Absatzschwierigkeiten für ihre Produkte und Dienstleistungen in der Schweiz. Die Umsatzeinbrüche im Vergleich zur Vorkrisenzeit werden in den nächsten zwei Monaten anhalten, sich aber nicht weiter verschärfen. Zulieferbetriebe für Gastrounternehmen, Hotels, Veranstalter, Coiffeursalons usw. sind stark von behördlichen Verboten betroffen. Die Textilindustrie kann einen grossen Teil der aktuellen Kollektion nicht mehr verkaufen. Die gleiche Problematik trifft auf weitere Lieferanten des Detailhandels zu. Dem Automobilhandel setzt der Produktionsstopp in Europa zu.
- In den nächsten zwei Monaten steigt der Anteil an Unternehmen, welche mit Absatzschwierigkeiten im Ausland konfrontiert sind, von unter einem Drittel auf über einen Drittel.
- Eine ganz ähnliche Entwicklung zeichnet sich beim Bezug von Vorprodukten ab. Auch hier erwarten die Unternehmen eine Zunahme der Schwierigkeiten. Lieferengpässe melden Firmen beispielsweise explizit bei folgenden Produkten: Aromen, Vitamine, Verpackungsmaterialien, Baumaterialien, Alkohol, Glycerin, medizinische Güter, Seltene Erden, Magnete.
- Diese Lieferengpässe betreffen Güter aus einer grossen Zahl von Ländern. Wie in den vergangenen Wochen treten nach wie vor Lieferverzögerungen von Produkten aus Asien (China, Japan, Südkorea, Thailand, Indien) auf. Zunehmend treten aber auch Lieferengpässe bei europäischen Importen auf, vor allem aus Italien, aber auch aus Polen, Serbien, der Türkei, Österreich, Frankreich und Deutschland. Und schliesslich sind teilweise auch Schweizer Lieferanten in Verzug.
- Besonders betroffen ist die Exportindustrie: Es wird erwartet, dass in zwei Monaten bis zu 85 Prozent aller Exportunternehmen in der einen oder anderen Form von Lieferengpässen betroffen sein werden.
- Eine Problematik, die bisher noch weniger im Fokus stand, stellt sich in der Pharma- und in der Biotechnologiebranche. Aufgrund der weltweiten Belastung der Spitäler sind klinische Studien derzeit kaum durchführbar. Die Entwicklung neuer Medikamente wird gebremst. Dies ist vor allem für zukunftsfähige Start-ups, die noch keinen Umsatz erzielen, problematisch.
- Sowohl der Anteil der Unternehmen, die Stellen abbauen, als auch derjenige, die Stellen aufbauen, werden zunehmen. Allerdings sind die Unternehmen, die in den nächsten zwei Monaten einen zu hohen Personalbestand erwarten, mit 56 Prozent deutlich stärker vertreten. Demgegenüber rechnen zehn Prozent der Firmen mit einem Personalmangel. Entsprechend schliessen fast zwei Drittel der Unternehmen nicht aus, zumindest teilweise auf Kurzarbeit zurückzugreifen. Entlassungen werden in den nächsten zwei Monaten von 30 Prozent der Unternehmen in Betracht gezogen. Gefragt sind jetzt Personen, die kurzfristig ihre Stelle wechseln bzw. in anderen Branchen aushelfen können, wo Personalengpässe bestehen. Vom Personalabbau sind sowohl die Binnenwirtschaft wie auch der Exportsektor gleichermassen betroffen.
- Die Eindämmung der Corona-Pandemie bewirkt grossen wirtschaftlichen Schaden. Die Unternehmen geben im Durchschnitt an, dass ihr Umsatz krisenbedingt um einen Fünftel eingebrochen ist. Es wird zudem erwartet, dass sich der Umsatzrückgang bis in zwei Monaten auf rund einen Drittel erhöht.
Unterstützung des Bundes wird positiv aufgenommen und zumeist als ausreichend betrachtet
Reichen nun die Massnahmen des Bundesrats aus, die akuten und grossen Probleme in der Schweizer Wirtschaft zu adressieren? Aufschlussreich ist die Reaktion auf die Bundesrats-Medienkonferenz vom 20. März 2020, an der ein neues Hilfspaket im Umfang von zusätzlich 32 Milliarden Franken angekündigt wurde. Da die Umfrage kurz davor gestartet wurde, haben rund zwei Drittel der Unternehmen ohne Kenntnis der neu getroffenen Unterstützungsmassnahmen Stellung bezogen. In einer ersten Phase stellte die Regierung nämlich erst 10 Milliarden Franken zur Verfügung. Die späteren Umfrageteilnehmer haben die Bewertung im Wissen um die massiv aufgestockten Hilfen des Bundes vorgenommen. Zwischen den zwei Gruppen zeigen sich signifikante Unterschiede: Etwa die Hälfte der Unternehmen bezeichnete die Massnahmen des ersten Hilfspakets der Landesregierung als ausreichend. Nach der Ankündigung des zweiten Pakets stieg dieser Anteil auf über drei Viertel. Die überwiegende Zahl der Unternehmen ist also der Meinung, dass die neuen Massnahmen des Bundesrats nun ausreichend sind, um die wirtschaftlichen Schäden im Zaum zu halten.
Allerdings rechnet die Schweizer Wirtschaft nicht mit einem baldigen Ende der Krise. Die Unternehmen schätzen, dass sich ihre wirtschaftliche Lage frühestens in einem halben Jahr normalisieren wird. Entscheidend für die aktuelle Einschätzung ist, dass es zu keinem weitreichenden «Shutdown» kommt. Ansonsten würden sich die negativen Entwicklungen potenzieren. Die Unternehmen fordern daher von der Politik, dass sie ihre Produktion weiterhin aufrechterhalten können.
Schub für Digitalisierungsprozesse
Schliesslich wurden die Unternehmen gefragt, ob sie nicht auch Positives zu berichten hätten. Häufig erwähnten sie, dass die Krise einen positiven Einfluss auf die Digitalisierungsanstrengungen von Unternehmen ausübe. Neben prozesstechnischen Verbesserungen wurde häufig erwähnt, dass Home Office durch die Krise salonfähig geworden sei. Vereinzelt profitieren auch Firmen, die für ausgefallene ausländische Lieferanten einspringen können. Und einige Unternehmen gehen davon aus, dass die Supply Chain nach der Krise überprüft wird und Redundanzen eingebaut werden, um nicht von einzelnen Zulieferern abhängig zu sein.
Informationen zur Umfrage Die Umfrage wurde am Donnerstagmorgen, 19. März, an alle Mitglieder von economiesuisse versandt und dauerte bis zum Dienstag, 23. März 2020. Teilgenommen haben 84 Personen. Die Umfrage deckt alle Landesteile der Schweiz ab. Einige Branchenverbände haben die Umfrage konsolidiert für ihre Branche ausgefüllt. Die Auswertung zeigt ein aktuelles Stimmungsbild in der Schweizer Wirtschaft. Werden Prozentangaben genannt, sind diese lediglich als grobe Richtschnur zu verstehen. Die Antworten wurden jeweils nicht gewichtet. |