Zweitwohnungsinitiative trifft strukturschwache Regionen ins Mark
Die Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen» will für die ganze Schweiz eine starre Quote einführen. Mit ihren Forderungen schiesst die Initiative jedoch weit übers Ziel hinaus. Sie kostet Arbeitsplätze und verlagert das Problem, statt es zu lösen. Gerade in der Raumplanung sind regional ausgewogene Lösungen gefragt. Zudem würde die Autonomie der Kantone und Gemeinden beschnitten. Besonders betroffen von einer Annahme der Initiative wären die Tourismusregionen. Vor diesem Hintergrund setzen sich Vertreter aus den Kantonen Graubünden, Wallis, Bern und Tessin vehement gegen die Zweitwohnungsinitiative ein. An einer gemeinsamen Medienkonferenz am Freitag haben sie ihre Gründe für ein NEIN präsentiert.
Der Zweitwohnungsanteil soll in allen Gemeinden der Schweiz auf maximal 20 Prozent beschränkt werden. In Regionen, die vom Tourismus leben, ist der Anteil jedoch weit höher. Ein sofortiger Baustopp würde die Tourismuskantone Wallis, Graubünden, Tessin und Bern empfindlich treffen. 136 der 175 Bündner Gemeinden – davon 80 in strukturschwachen Regionen – dürften keine Zweitwohnungen mehr errichten. Davon wäre nicht nur das Baugewerbe, sondern die gesamte Wirtschaft betroffen. Das Wirtschaftsforum Graubünden hat einen Verlust von 15 Prozent der Arbeitsplätze und damit auch einen entsprechenden Rückgang der Bevölkerung prognostiziert, falls die Initiative angenommen wird. «Dies werden auch der Coiffeur, der Bäcker, der Garagist, die Lehrerschaft und vor allem die Gemeinden massiv zu spüren bekommen», sagt Marco Ettisberger, Sekretär Handelskammer und Arbeitgeberverband Graubünden. Das Volksbegehren trifft aber auch alle weiteren Kantone. Die gesamte Volkswirtschaft – nicht nur das Baugewerbe, sondern auch Zulieferbetriebe – ist auf den Zweitwohnungsbau und den damit verbundenen Tourismus in den Bergregionen angewiesen.
Der grosse Anteil von «kalten Betten» missfällt allen – auch der Bergbevölkerung. Die Kantone und Gemeinden sind sich zudem bewusst, dass unsere Landschaft ein wichtiges Kapital ist und einen sorgfältigen Umgang verdient. «Zu viele Zweitwohnungen können durchaus zu unerwünschten Effekten führen», räumt Werner Luginbühl ein. So zum Beispiel zu überhöhten Liegenschaftspreisen, Belastungsspitzen der Infrastrukturanlagen oder hohem Baulandverbrauch. Bisher sind die Gemeinden und Kantone dieses Problem zu wenig konsequent angegangen. Der Berner Oberländer Ständerat fährt fort: «Umso wichtiger ist es nun aber, dass sie ihre Hausaufgaben machen und das neue Raumplanungsgesetz rasch umsetzen.» Seit dem 1. Juli 2011 ist das revidierte Raumplanungsgesetz in Kraft. Das Parlament hat dieses im Sinne eines indirekten Gegenvorschlags zur Zweitwohnungsinitiative verabschiedet. Die Kantone müssen bis 2014 Massnahmen zur Beschränkung des Zweitwohnungsbaus in ihren Richt- und Nutzungsplänen verankern. Zudem müssen preisgünstigere Erstwohnungen sowie die Hotellerie gefördert und bestehende Zweitwohnungen besser ausgelastet werden. Bleiben die Kantone untätig, dürfen sie nach Ablauf dieser Frist keine Zweitwohnungen mehr bewilligen.
Erstwohnungen fördern, statt Zweitwohnungen mit einer starren Quote bekämpfen
Die betroffenen Gemeinden haben jedoch bereits zahlreiche Massnahmen getroffen. Dass jede Gemeinde auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Lösungen ergreifen kann, ist Bestandteil des föderalen Systems und trägt mehr zur Lösung bei als ein Bundesdiktat. Jon Domenic Parolini, Gemeindepräsident von Scuol, führte in seiner Gemeinde eine Erstwohnungsanteilsregelung ein. «Wir müssen Erstwohnungen fördern und nicht Zweitwohnungen mit einer starren Quote bekämpfen», sagt er. «Wir sind auf gutem Weg zu einem ausgewogeneren Verhältnis von Erst- und Zweitwohnungsbauten, die Initiative hingegen schafft viel mehr Probleme als sie löst. Leider müssen schon genug Bündner das Engadin verlassen. Ihre Zweitwohnung ist für sie eine wichtige Bindung zu den Wurzeln und für die Gemeinde eine wesentliche Einnahmequelle.»
In Arosa wurden Hotelzonen und Zonen für Einheimische geschaffen. Die Hotelzone ist für Gastgewerbetreibende, Erholungsheime und Wellnessbetriebe bestimmt. In der Wohnzone für Einheimische dürfen nur Wohnbauten für Ortsansässige erstellt werden. Ausserdem erhebt die Gemeinde für Zweitwohnungen bei Baubeginn eine Lenkungsabgabe. Crans-Montana will den Zweitwohnungsbau mit einer Quotenregelung und einer Kontingentierung eindämmen. Mit einem Anreizsystem zur Vermietung bestehender Zweitwohnungen will die Walliser Gemeinde zudem für eine bessere Auslastung sorgen. Die Tessiner Gemeinde Minusio gewährt in dichteren Bauzonen einen Ausnützungsbonus für Hotels. Sie dürfen ihr Grundstück besser nutzen, wenn sie neu bauen oder Renovationsarbeiten vornehmen.
Rückfragen:
Dr. Marco Ettisberger, Sekretär Handelskammer und Arbeitgeberverband Graubünden: 079 610 45 91
René Imoberdorf, Ständerat Wallis: 079 437 91 88
Werner Luginbühl, Ständerat Bern: 079 481 07 69
Marco Solari, Präsident Ticino Turismo: 079 405 60 61
Dr. Jon Domenic Parolini, Gemeindepräsident Scuol: 079 280 72 92
Weitere Informationen:
Medienmitteilung