Entstehung einer neuen Weltordnung (Anja)

China als aufstrebendes Land, das mehr und mehr Einfluss auf der Welt-bühne gewinnt, steht häufig im Fokus der politischen Diskussion. Tatsächlich hat sich im «Reich der Mitte» seit den 1980er Jahren einiges getan. Dank Wirtschaftswachstum sank der Anteil von Menschen in extremer Armut von 66 Prozent im Jahr 1990 auf nur 0,5 Prozent im Jahr 2016. Eine Mittelschicht ist entstanden, und auch der Umweltschutz erhält mehr Gewicht.

Leider hat sich in den letzten Jahren die Situation bezüglich der Grundrechte generell verschlechtert. Das gilt insbesondere für Hongkong und für die uigurische Bevölkerung. Daneben ist auch die fehlende Anerkennung des internationalen Schiedsspruchs zu den Grenzen im südchinesischen Meer besorgniserregend. Zudem verlangt China Akzeptanz für seine Werte, ohne selbst Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu üben. Trotz dieser Verschlechterung kann das heutige China aber nicht mit dem Regime unter Mao Tsetung, das den Tod von rund 70 Millionen seiner Bürger verursachte, verglichen werden.

Nicht nur China selbst, sondern auch der Rest der Welt konnte von dieser Öffnung und Modernisierung profitieren. Das Wirtschaftswachstum dank des technologischen Fortschritts und wirtschaftlich offener Handelssysteme hat sich grösstenteils positiv auf die Weltbevölkerung ausgewirkt. Der Anteil in absoluter Armut lebender Personen sank zwischen 1981 und 2017 um über 75 Prozent. Die Integration Chinas und weiterer Schwellenländer in den internationalen Handel hat den durchschnittlichen Lebensstandard weltweit angehoben.

Wandel durch Handel

Trotz dieser Erfolge und Aussichten steht die Maxime «Wandel durch Handel» immer mehr am Pranger und der Protektionismus nimmt zu. China steht dabei im Zentrum der Debatte. Nach grossen Reformen seit der Zeit des WTO-Beitritts folgte ab 2010 ein Erstarken strukturkonservativer Kräfte als Gegenreaktion auf die Veränderungen. Der Staat hat die Kontrolle mit Instrumenten wie dem Social Credit System auf Private und Firmen ausgedehnt. Mitschuld an der Entwicklung trägt auch der Westen. Das Scheitern der Doha-Runde der WTO liess den aussenpolitischen Druck für Reformen wegbrechen. Seither hat sich ein regelrechter Systemwettbewerb entwickelt. Das verbreitete «China-Bashing» und der Handelskrieg mit den USA haben die nationalkonservativen Tendenzen im Innern noch verstärkt. Solches Ringen um globale Vorherrschaft endete in der Vergangenheit oft in Krieg, der für alle Seiten schädlich war.

Die letzten 75 Jahre zeigen die beste Alternative: eine Integration Chinas ins internationale System. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben der internationale Handel und friedliche Austausch zugenommen und weltweit konnte von dieser Entwicklung profitiert werden. Offene Handelsrouten, offene Märkte und ein friedlicher Interessensausgleich sind wichtige Pfeiler eines funktionierenden internationalen Systems. China soll zu dessen Sicherung beitragen.

Der Interessenausgleich geschieht vor allem in internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation WTO. Es ist unbestritten, dass diese Organisationen Fehler haben, häufig ineffizient und wenig entscheidungsfähig sind. Sie deshalb abzuschreiben, ist aber falsch und schwächt dieses zentrale Instrument globaler Stabilisierung. Mittels Reformen können diese Organisationen verbessert und damit auch der Reformprozess in einem Land wie China erneuert werden. Besonderer Reformbedarf besteht in der WTO beim Streitschlichtungsmechanismus, bei der Transparenz und in Bezug auf eine Beschränkung staatlicher Beihilfen. Zudem muss dem Fortschritt in China Rechnung getragen werden – die Einstufung durch die WTO als Entwicklungsland ist nicht mehr angebracht.

Der Erfolg einer Politik der Integration hängt wesentlich davon ab, wie glaubwürdig der Westen und die internationalen Organisationen sind. Der Westen sollte diese Organisationen deshalb grundsätzlich stützen und nicht verteufeln. Mittels Reformen und klarer Bekenntnisse zu diesen Organisationen kann ihre Wirkung gestärkt werden.

Die Schweiz als Vermittlerin

Die Schweiz soll in dieser zunehmend bipolaren Welt eine Vermittlungsfunktion wahrnehmen. Als Sitz vieler internationaler Organisationen ist sie in der idealen Lage, um eine Plattform für Reformen und Weiterentwicklungen anzubieten. Im Rahmen dieser Kooperation sollen Probleme, wie die Menschenrechtssituation, offen angesprochen und grosse Kooperationen beispielsweise im Umweltbereich ermöglicht werden.

Ein forcierter Rückzug aus China oder Sanktionen und Boykotte wären nicht zielführend. Leidtragende solcher Massnahmen ist die lokale Bevölkerung. Ausserdem zeigt die Erfahrung, dass Alleingänge bei Sanktionen kaum wirksam oder gar kontraproduktiv sind. Den laufenden Systemwettbewerb kann und muss der Westen gewinnen. Auch im Kalten Krieg war ein derartiger Wettbewerb im Gange. Er wurde nicht militärisch, sondern dank einer überlegenen Marktwirtschaft, dank Innovation und Unternehmertum, sowie der Attraktivität seines auf individueller Freiheit, Rechtstaatlichkeit, Fortschritt und Wohlstand basierenden Gesellschaftssystems gewonnen. Auf dieses Erfolgsrezept muss er sich wieder besinnen.

Das gilt insbesondere auch für die Schweiz. Auch hierzulande sind strukturkonservative Kräfte auf dem Vormarsch. In vielen Rankings fällt die Schweiz zurück. Protektionismus wird wieder salonfähig und Reformen scheinen immer schwieriger zu werden. Wenn der Systemwettbewerb mit China gewonnen werden soll, muss auf Innovation und Wettbewerb gesetzt werden. Durch Engagements auf multilateraler Ebene sowie Offenheit gegenüber China kann dazu beigetragen werden, China ins internationale System zu integrieren. So kann China auch besser dazu gebracht werden, international Verantwortung entsprechend seiner Grösse und seinem Einfluss zu übernehmen. Wandel durch Handel gilt auch heute – in China und der Schweiz.