# 8 / 2020
27.11.2020

Internationaler Wettbewerb um Jungunternehmen: Die Schweiz braucht Start-up-Visa

3. Zunehmender internationaler Wettbewerb um Start-up-Gründerinnen und -Gründer

Zugang zu Talenten als wichtiger Pfeiler einer florierenden Start-up-Landschaft

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die aufzeigen, unter welchen Bedingungen die Start-up-Szene am besten gedeiht. Als allgemein anerkannt gelten folgende fünf Kategorien: 

  1. Zugang zu Risikokapital
  2. Zugang zu ausländischen Märkten
  3. Eine innovationsfreundliche Fiskalpolitik
  4. Freies Unternehmertum mit wenig Regulierungen und funktionierendem Rechtssystem
  5. Zugang zu Talenten 

Der Fokus dieses Papiers liegt auf dem letztgenannten Punkt, dem Zugang zu Talenten. Es gibt diverse Massnahmen, die Regierungen ergreifen können, um ein fruchtbares Start-up-Ökosystem zu schaffen. Im Zentrum von erfolgreichen Start-ups stehen aber immer Personen mit einer besonderen Art von Talent: meist jüngere, gut ausgebildete, technisch versierte Menschen mit Kreativität, Ehrgeiz und Unternehmergeist. Diese Art von Talent ist selten und sehr mobil. Talentierte Unternehmer ziehen schnell an Orte, die ihnen den besten Mix aus Investitionen, steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen und Marktzugängen bieten. Die Schweiz steht daher im Wettbewerb mit konkurrierenden Volkswirtschaften, sowohl um ihre eigenen als auch um solche aus globalen Einzugsbereichen. 
 

Viele Länder machen vorwärts mit Start-up-Visa

Durch die fortschreitende Digitalisierung und den Aufstieg von Technologieunternehmen wie Google und Facebook ist das Bewusstsein für die Bedeutung von Start-ups in den letzten Jahren stark gestiegen. Dies hat viele Länder veranlasst, die entsprechenden Rahmenbedingungen gezielt zu verbessern. Dazu gehört auch die Einführung von Start-up-Visa. Damit erhalten Personen eine Aufenthaltsbewilligung für einen bestimmten Zweck: die Gründung und Weiterentwicklung eines Start-ups. Die Massnahme bezweckt, talentierte Jungunternehmerinnen und -unternehmer für die Verwirklichung ihrer Geschäftsidee in das jeweilige Land zu locken. 

Dass darin ein grosses Potenzial besteht, zeigt eine Schätzung der US-amerikanischen Kauffman Foundation: Die Einführung des Start-up-Visa in den USA soll demnach in zehn Jahren 500'000 bis 1,6 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Darüber hinaus können einheimische Start-up-Ökosysteme von den internationalen Netzwerken und Erfahrungen profitieren, die ausländische Unternehmerinnen und Unternehmer mitbringen. Dies ist insbesondere in wissensintensiven, innovationsgetriebenen Branchen der Fall, die von Natur aus global ausgerichtet sind. 

Im letzten Jahrzehnt war ein signifikanter Anstieg von Ländern mit Start-up-Visa zu beobachten. Seit 2010 haben 18 Schwellen- und Industrieländer eine spezielle Arbeitsbewilligung für Jungunternehmen eingeführt. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über den aktuellen Stand in verschiedenen Staaten. Im Folgenden werden einige der aufgeführten Programme etwas näher betrachtet.

Tabelle 1

Start-up Visa Programm Canada

Kanada bezweckt mit seinem Start-up-Visa-Programm, hoch innovative Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer anzulocken, die Stellen schaffen und ein international ausgerichtetes Geschäftsmodell haben. Um ein Start-up-Visa beantragen zu können, müssen gewisse Bedingungen erfüllt werden. Dazu gehört, dass die Bewerber mindestens 50 Prozent der Stimmrechte am Unternehmen besitzen. Weiter müssen sie die Unterstützung einer von den kanadischen Behörden anerkannten Organisation (Risikokapitalfonds oder Business-Angel-Gruppe) haben oder für ein Inkubator-Programm in Kanada zugelassen sein. Schliesslich sind gewisse Sprachkompetenzen sowie genügend finanzielle Mittel vorzuweisen. Wird dem Antrag zugestimmt, erhalten Start-up-Gründende eine permanente Niederlassungsbewilligung.  

Start-up Denmark

Das dänische Programm richtet sich ausschliesslich auf innovative Jungunternehmen mit grossem Wachstumspotenzial, die von ausserhalb der EU kommen. Gastronomiebetriebe oder einfache Handelsunternehmen werden explizit ausgeschlossen. Verlangt wird ein Businessplan, der von einem Expertengremium evaluiert wird. Falls der Businessplan angenommen wird, erhalten Antragstellende eine Niederlassungsbewilligung für bis zu zwei Jahre, die jeweils um drei weitere Jahre verlängert werden kann. Der dänische Staat leistet keine finanzielle Unterstützung an die Unternehmen, weshalb die Antragstellenden genug Mittel vorweisen müssen, um mindestens ein Jahr davon leben zu können. 

Irish Visa Start-up Entrepreneur Programme

Irland vergibt Visa für sogenannte «high potential Start-ups» von ausserhalb der EU, wenn sie neue oder innovative Produkte und Dienstleistungen anbieten, die auf internationalen Märkten abgesetzt werden. Zudem muss das Potenzial vorhanden sein, innerhalb von vier Jahren zehn Arbeitsplätze zu schaffen und einen Umsatz von einer Million Euro einzuspielen. Der Antragsteller muss 75'000 Euro Kapital mitbringen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein bereits existierendes Jungunternehmen handelt oder lediglich ein Businessplan und Kapital vorhanden sind. Bei einer Zusage wird zunächst eine zweijährige Bewilligung erteilt, die dann um weitere fünf Jahre verlängert werden kann. Danach besteht die Möglichkeit, eine permanente Niederlassungsbewilligung zu beantragen. 

French Tech Visa 

Grundvoraussetzung für ein entsprechendes Visum in Frankreich ist, dass Antragstellende ein Vermögen oder jährliches Einkommen aufweisen, das mindestens dem doppelten jährlichen französischen Mindestlohn entspricht. Damit ein Antrag gestellt werden kann, muss zudem eine Aufnahmebestätigung von einem behördlich anerkannten Accelerator- oder Incubator-Programm vorliegen. Schliesslich muss der Antragsteller ein Zertifikat erhalten, das seiner Geschäftsidee oder seinem Start-up das Potenzial für ein hoch innovatives Technologieunternehmen bescheinigt. Falls alle Bedingungen erfüllt sind, wird eine vierjährige Bewilligung erteilt, die erneuerbar ist.

United Kingdom Start-up Visa/Innovator Visa

Die Kategorie Start-up-Visa richtet sich in Grossbritannien an junge Unternehmerinnen und Unternehmer mit hohem Potenzial, die sich in der Anfangsphase der Unternehmensgründung befinden. Voraussetzung ist eine hoch innovative Geschäftsidee und die Empfehlung durch eine behördlich anerkannte Institution. Kapitalanforderungen gibt es nicht. Erfolgreiche Antragstellende erhalten eine zweijährige Bewilligung, die auch die Möglichkeit bietet, neben der Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells einen Nebenjob anzunehmen. Nach der zweijährigen Frist kann der Übergang zum Innovator Visa erfolgen. 

Das Innovator Visa Programm richtet sich an erfahrenere Geschäftsleute. Antragstellende müssen ein Investitionskapital von mindestens 50'000 Pfund haben und eine Empfehlung von einer behördlich anerkannten Institution vorweisen können. Innovatoren dürfen keine Nebenbeschäftigungen annehmen. Gewährt wird eine dreijährige Bewilligung, die um weitere drei Jahre verlängert werden kann.

Situation in der Schweiz

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in der Schweiz keine spezielle Zulassungskategorie für Start-up-Gründerinnen und -Gründer. Personen aus der EU/EFTA können aufgrund des Personenfreizügigkeitsabkommens grösstenteils unproblematisch hierzulande unternehmerisch tätig werden. Grundsätzlich besteht auch für Personen aus Drittstaaten die Möglichkeit, eine Arbeitsbewilligung für eine selbstständige Erwerbstätigkeit zu beantragen. Sie müssen hierzu eng definierten Anforderungen genügen, die im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG), in der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) sowie den Weisungen zum AuG und der VZAE festgeschrieben sind. Sind die sogenannten persönlichen Voraussetzungen gegeben, ist ein glaubhafter Nachweis notwendig, dass das Unternehmen eine nachhaltig positive Auswirkung auf den Arbeitsmarkt in der Schweiz haben kann. Mit anderen Worten soll das neue Unternehmen oder die selbstständig erwerbstätige Person zur branchenspezifischen Diversifikation der regionalen Wirtschaft beitragen, mehrere Arbeitsplätze für Einheimische schaffen, erhebliche Investitionen tätigen und neue Aufträge für die Schweizer Wirtschaft generieren. Ein überzeugender Businessplan und organisatorische Verbindungen zu anderen Unternehmen in der Schweiz bilden die weiteren Voraussetzungen. Schliesslich müssen eine Firmengründungsurkunde und/oder ein Handelsregistereintragsnachweis eingereicht werden. Doch auch ein perfektes Gesuch hat keine Chancen, wenn keine Kontingente für Drittstaatsangehörige vorhanden sind. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass diese regelmässig ausgeschöpft sind. Insbesondere in Kantonen mit einem hohen Anteil an internationalen Unternehmen wie Zürich, Basel oder Genf sind sie oft bereits in der ersten Jahreshälfte aufgebraucht. Gerade in diesen Regionen werden aber Start-ups am häufigsten gegründet. 

Sofern das Gesuch von der kantonalen Behörde anerkannt wird, wird eine Kurzaufenthaltsbewilligung für Drittstaatsangehörige (Ausweis L) erteilt. Diese Bewilligung ist auf zwölf Monate beschränkt und kann höchstens einmal um weitere zwölf Monate verlängert werden. Unter Umständen kann auch eine jährlich verlängerbare B-Bewilligung erteilt werden. Bei jeder Verlängerung findet eine neue Prüfung durch die jeweilige Behörde statt. Politische Vorstösse, die analog zum Ausland spezielle Start-up-Visa forderten, wurden bisher allesamt abgelehnt. 
 

Bisherige parlamentarische Vorstösse zum Thema Start-ups/Drittstaatenkontingente

•    17.3071 MOTION – Ein attraktiver Forschungsplatz dank Start-up-Visa für Gründer – SR Ruedi Noser
•    17.3578 MOTION – Ein attraktiver Forschungsplatz dank Start-up-Visa für Gründer – NR Martin Bäumle
•    19.4351 POSTULAT – Talente und Fachkräfte für den Technologiestandort Schweiz im 21. Jahrhundert – NR Kathy Riklin
•    19.4124 INTERPELLATION – Globaler Wettbewerb um Talente. Entsprechen die Bewilligungskriterien und -verfahren für Fachkräfte den Bedürfnissen der Wirtschaft? – SR Beat Vonlanthen
•    19.3882 MOTION – Aufenthaltsbewilligungen für Drittstaatsangehörige. Anpassung des Systems an die Bedürfnisse der Hightech-Branchen – NR Fathi Derder
•    18.3334 INTERPELLATION – Die Bürokratiemonster «Bewilligungen von Drittstaatenkontingenten» und «Kurzaufenthaltsbewilligungen (L-Bewilligungen) für EU-/Efta-Bürger» müssen vereinfacht und beschleunigt werden – NR Marcel Dobler
•    17.3067 MOTION – Wenn die Schweiz teure Spezialisten ausbildet, sollen sie auch hier arbeiten können – NR Marcel Dobler