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Firmenwissen langfristig erhalten

Mit 60 Jahren fängt das Arbeitsleben für Führungskräfte von ABB, Alstom und Bombardier nochmals neu an. Dann werden die Mitarbeitenden des oberen Kaders der drei Firmen in die Consenec AG versetzt. Consenec steht für «Consulting by Senior Executives» und ist nicht etwa eine Option, sondern eine im Arbeitsvertrag der Manager festgeschriebene Verpflichtung. Was im ersten Moment nach einem harten Einschnitt klingt, entpuppt sich als Gewinn für Unternehmen und Mitarbeitende. Denn während jüngere Personen Führungspositionen übernehmen können, stehen ihnen erfahrene Mitarbeitende als Berater zur Seite. Vor allem kurzfristige Führungswechsel können so mit Experten überbrückt werden.

Ein Novemberabend in der Villa Boveri in Baden: Nach einer angeregten Diskussion zum Thema Frauen in Führungsrollen plaudern ehemalige ABB-Kadermitglieder beim Apéro über die nächsten Ferien, erzählen aber auch von Beratungsmandaten, die sie als Senior Consultants wahrnehmen. Gefragt sind Mitarbeitende von Consenec als «Manager ad interim», also als Führungsvertreter nach dem Abgang eines Geschäftsleitungsmitglieds bei ABB, Alstom, Bombardier sowie auch bei dritten Auftraggebern. «Führen ist das, was wir am besten können, schliesslich sind wir alle selbst ehemalige Führungskräfte», erklärt Renato Merz, Geschäftsführer von Consenec. «Management ad interim» wird daher ab Januar 2016 auch zum neuen Firmenslogan.

 

Am Anfang stand ein Herzinfarkt

Vor ziemlich genau 25 Jahren musste ein Mitglied der Geschäftsleitung von ABB einsehen, dass es höchste Zeit war, der Gesundheit zuliebe kürzerzutreten. Doch wie, wenn man mit 60 Jahren auf dem Höhepunkt der Karriere steht und nicht gleich ganz zurücktreten will? 

Unter dem ursprünglichen Projektnamen «Verjüngung der Geschäftsleitung» nahm eine Projektgruppe der ABB diese Frage in Angriff. Drei Jahre später, 1993, wurde die ABB Consulting AG gegründet. Was anfangs argwöhnisch als «Abstellgleis» für ältere Mitarbeiter beäugt wurde, entpuppte sich über die Jahre als Erfolgsmodell. Denn schon bald berichteten die ersten Senior Consultants von erfolgreichen Beratungsmandaten und vor allem auch von neu gewonnenen Freiheiten. ABB Consulting schaffte es nicht nur, das Image des Projekts beim Mutterunternehmen und damit bei den künftigen Mitarbeitern ins Positive zu drehen, sondern leistete Mitte der 1990er-Jahre auch einen Beitrag zur positiveren Wahrnehmung von ABB in der Öffentlichkeit.

 

Die Consenec AG ist am Forschungsstandort der ABB in Baden-Dättwil angesiedelt.
 

Flexible Arbeitszeitmodelle werden gefördert

Mittlerweile ist aus ABB Consulting Consenec geworden. Denn  inzwischen «befördern» nicht nur ABB, sondern auch Alstom und Bombardier Mitarbeitende des oberen Kaders mit 60 Jahren in die Consenec, um dort ihr Wissen und ihre Fähigkeiten weiter firmenübergreifend optimal zu nutzen. Zurzeit arbeiten rund 30 Berater bei der Consenec. Die Mitarbeitenden können selbst bestimmen, ob sie Vollzeit oder Teilzeit arbeiten wollen. Arbeiten sie weniger als 50 Prozent, erhalten sie trotzdem noch 50 Prozent des früheren Lohns. Arbeitet ein Consenec-Mitarbeiter 180 Tage im Jahr, erhält er das gleiche Einkommen wie zuvor als Kadermitarbeiter. 

 

Renato Merz ist seit Januar 2013 Geschäftsführer der Consenec AG.
 

Die Spannbreite bei den Arbeitspensen sei gross und betrage durchschnittlich etwa 60 Prozent, berichtet Geschäftsführer Renato Merz. Einige Senior Consultants der Consenec arbeiten nach wie vor viel und bringen aus ihrer alten Funktion gleich zahlreiche Aufträge mit. Nicht selten ist das erste Mandat der frisch gebackenen Consenec-Mitarbeiter quasi sich selbst zu vertreten, da es oft länger dauert als gedacht, um für die Kadermitglieder eine geeignete Nachfolge zu finden und diese anschliessend einzuarbeiten. Dass die Berater oft Mandate im Umfeld ihrer vorherigen Position wahrnehmen, ist naheliegend. Denn die Mitarbeitenden von Consenec akquirieren ihre Aufträge selbst. Im Geschäftsjahr 2013 stammten 29 Prozent der Aufträge von ABB, 46 Prozent von Alstom, acht Prozent von Bombardier und 17 Prozent von Dritten. Bis zum 65. Altersjahr sind die Mitarbeitenden bei Consenec regulär angestellt. Danach steht es aber allen Mitarbeitenden offen, ihre Anstellung zu verlängern. Der gegenwärtig älteste Mitarbeiter ist 72-jährig. 

Präsentationen wieder selbst erstellen

Der grosse Vorteil bei Consenec sei die Gelassenheit, mit der die Mitarbeitenden ihre Aufgaben wahrnehmen können. Der Erfolgsdruck, dem die ehemaligen Führungskräfte vorher ausgesetzt waren, fällt zu einem grossen Teil weg. Ebenso entfällt jedoch die Entscheidungskompetenz. «Meine Powerpoint-Präsentationen mache ich jetzt wieder selbst», schmunzelt Merz. Die Umstellung vom Entscheider zum Berater sei nicht immer einfach, und es komme auch vor, dass Mitarbeitende als Berater die Führungsrolle übernehmen wollen, so Merz.

 

Die Arbeitsplätze sind selten alle belegt. «Und das soll auch so sein - wenn unsere Senior Consultants arbeiten, dann beim Kunden vor Ort!», erklärt Merz.
 

Firmenwissen optimal erhalten und weitergeben

Der Austritt eines Kadermitglieds nach jahrzehntelanger Mitarbeit, und damit der Verlust von unersetzbarem Firmenwissen, ist für ein Unternehmen schmerzlich. Mit Consenec haben ABB, Alstom und Bombardier auch nach dem Kürzertreten von Kadermitarbeitern noch Zugriff auf deren Wissen. Kein Wunder sind für ehemalige ABB-Kader, die nun bei Consenec arbeiten, ABB-Aufträge bindend. Grundsätzlich sind Consenec-Mitarbeiter frei in der Entscheidung, wie viel sie arbeiten wollen. Kommt jedoch die ehemalige Arbeitgeberin ABB mit einer Anfrage, «muss man dann schon sehr gute Gründe aufzeigen können, wieso man den Auftrag nicht übernehmen kann», erklärt der jüngst dazugestossene Consenec-Mitarbeiter Konrad Wirthensohn. Und das sei ja auch gut so. Merz ergänzt: ABB, Alstom und Bombardier zahlen zusammen rund fünf Millionen Franken Beiträge pro Jahr, um Consenec mitzufinanzieren. Eine gute Grundlage, um Forderungen zu stellen. Im letzten Jahr hielten sich die Beiträge der Trägergesellschaften und der Umsatz etwa die Waage. Pro Mitarbeiter betrug der Umsatz im Jahr 2014 im Schnitt 250'000 Franken. 

 

Simona Scarpaleggia, CEO IKEA Schweiz, spricht im Rahmen der Reihe «consenec impulse» zum Thema «Do women lead differently?». Zu Consenec sagt sie: «Es ist ein interessantes Modell, weil es Kompetenz wertschätzt.»