Mann in Anzug vor Laptop, davor Justizwaage

Sam­mel­kla­gen: Zwei­fel des Par­la­men­tes wer­den von der Rea­li­tät be­stä­tigt

Die Rechts­kom­mis­si­on hat bis­her seit über zwei Jah­ren dar­auf ver­zich­tet, auf die Sam­me­kla­gen­vor­la­ge des Bun­des­ra­tes ein­zu­tre­ten. Nun be­stä­tigt sich, dass es dafür gute Grün­de gibt. Denn die Zwei­fel der Kom­mis­si­on waren be­rech­tigt: gleich drei Ent­wick­lun­gen zei­gen auf wie ge­fähr­lich es wäre, mit sol­chen In­stru­men­ten unser Rechts­sys­tem nach­hal­tig zu be­schä­di­gen. Es ist daher sehr zu be­grüs­sen, dass die Rechts­kom­mis­si­on des Na­tio­nal­rats diese Woche be­schlos­sen hat, wei­ter­hin nicht auf die Vor­la­ge ein­zu­tre­ten.

Seit über zehn Jah­ren wird in der Schweiz über die Ein­füh­rung von Sam­mel­kla­gen dis­ku­tiert. Seit zwei Jah­ren berät die Rechts­kom­mis­si­on des Na­tio­nal­rats über die Ein­füh­rung von er­wei­ter­ten Ver­bands­kla­gen und Grup­pen­ver­glei­chen. Sie ist nun diese Woche er­neut nicht auf die Vor­la­ge ein­ge­tre­ten. Statt­des­sen hat sie die Ver­wal­tung damit be­auf­tragt ab­zu­klä­ren, wie die Vor­la­ge vor dem Hin­ter­grund des kon­tro­ver­sen EGMR-Ent­schei­des zu den Kli­ma­se­nio­rin­nen zu sehen ist. Damit zeigt die Rechts­kom­mis­si­on, dass sie ihre staats­po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tung ernst nimmt und die gros­sen Ri­si­ken, die mit der harm­los da­her­kom­men­den Vor­la­ge ein­her­ge­hen, er­kannt hat. Ins­be­son­de­re drei Ent­wick­lun­gen be­stä­ti­gen die be­rech­tig­te Skep­sis des Ge­setz­ge­bers.

1. Sam­mel­kla­gen neh­men in Eu­ro­pa stark zu

Denkt man an Sam­mel­kla­gen, denkt man vor allem an die USA. Dort sind diese Kla­gen stark ver­brei­tet und eine pro­fes­sio­nel­le Kla­ge­in­dus­trie sorgt dort dafür, dass selbst für gro­tes­ke Vor­wür­fe die Ge­rich­te an­ge­ru­fen wer­den. Sam­mel­kla­gen neh­men aber auch in Eu­ro­pa stark zu. In­ner­halb von nur fünf Jah­ren hat sich ihre Zahl mehr als ver­dop­pelt, vor allem in Län­dern mit fi­nanz­kräf­ti­gen Un­ter­neh­men wie Gross­bri­tan­ni­en und den Nie­der­lan­den. Dies sind alar­mie­ren­de Zei­chen. In der EU läuft sich die Re­gu­lie­rungs­ma­schi­ne zur Ein­däm­mung die­ser ne­ga­ti­ven Ent­wick­lun­gen ge­ra­de warm, eine Re­gu­lie­rung von Pro­zess­fi­nan­zie­rern und eine Re­gu­lie­rung von al­ter­na­ti­ver Kon­flikt­bei­le­gung wird dis­ku­tiert.

2. Um­fra­gen be­stä­ti­gen: Die Schwei­zer Un­ter­neh­men wol­len keine Sam­mel­kla­gen

Der Bund hatte im letz­ten Herbst im Auf­trag der na­tio­nal­rät­li­chen Rechts­kom­mis­si­on über das For­schungs­un­ter­neh­men eco­plan eine Um­fra­ge zur Be­trof­fen­heit der Wirt­schaft durch­füh­ren las­sen. Lei­der hat er es dabei un­ter­las­sen, die Um­fra­ge neu­tral aus­zu­ge­stal­ten, wes­we­gen sie von zahl­rei­chen Un­ter­neh­men als ein­sei­tig kri­ti­siert wor­den war. Man konn­te sich bei die­ser Um­fra­ge le­dig­lich zur Vor­la­ge des Bun­des­ra­tes und nicht zu Al­ter­na­ti­ven äus­sern, was die Er­geb­nis­se ver­fälsch­te.

Im Vor­feld der par­la­men­ta­ri­schen Be­ra­tun­gen hat das For­schungs­in­sti­tut So­to­mo daher im Auf­trag der Wirt­schafts­ver­bän­de eco­no­mie­su­is­se und Swiss­hol­dings eine Be­fra­gung bei knapp 90 Fach­per­so­nen von Un­ter­neh­men durch­ge­führt. Dies mit dem Ziel, grund­le­gen­de Ein­schät­zun­gen zu den Fol­gen eines Sys­tem­wech­sels in Er­fah­rung zu brin­gen.

In wich­ti­gen Punk­ten las­sen beide Um­fra­gen aber ähn­li­che Aus­sa­gen zu:

  • Die Un­ter­neh­men er­war­ten er­heb­li­chen Kos­ten­druck durch Sam­mel­kla­gen. Je mehr Er­fah­run­gen ein Un­ter­neh­men be­reits mit Sam­mel­kla­gen mach­te und je grös­ser es ist, desto grös­ser ist die Kri­tik am In­stru­ment Sam­mel­kla­gen.
  • Ge­ra­de diese Un­ter­neh­men spre­chen sich denn auch klar gegen die Ein­füh­rung von Sam­mel­kla­gen aus. Sie rech­nen mit einer Zu­nah­me von be­son­ders öf­fent­lich­keits­wirk­sa­men Ge­richts­ver­fah­ren gegen Un­ter­neh­men in der Schweiz und damit ver­bun­den auch gros­se Re­pu­ta­ti­ons­ri­si­ken.
  • Die Un­ter­neh­men mit Er­fah­run­gen mit Sam­mel­kla­gen be­fürch­ten, dass der Druck auf die Un­ter­neh­men zu­nimmt, sich vor­schnell auf einen Ver­gleich ein­zu­las­sen. Darin wer­den sie auch durch die Ent­wick­lun­gen im Aus­land und die Zu­nah­me von Sam­mel­kla­gen be­stä­tigt.

3. Die Po­li­ti­sie­rung der Ge­richts­sä­le schrei­tet mit gros­sen Schrit­ten voran

Dass Sam­mel­kla­gen oder Kla­gen all­ge­mei­ner Art ge­nutzt wer­den, um po­li­ti­sche An­lie­gen zu ver­fol­gen und am Ge­setz­ge­ber vor­bei die Rechts­ent­wick­lung zu prä­gen, ist nichts Neues. Der breit be­kann­te Fall der nie­der­län­di­schen Shell sei hier nur ex­em­pla­risch ge­nannt, welt­weit gibt es eine Viel­zahlt von Kli­mak­la­gen gegen Staa­ten und Un­ter­neh­men. Aus­ge­rech­net diese Woche hat nun der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) auch die Schweiz ge­rügt, weil sie zu wenig gegen die Kli­ma­er­wär­mung un­ter­neh­me und damit die Men­schen­rech­te äl­te­rer Frau­en ver­let­ze. Damit steht das ganze Land am Pran­ger. An­ge­sichts der brei­ten Be­richt­er­stat­tung ist an­zu­neh­men, dass nun nach Green­peace – wel­che die Klage der Kli­ma­se­nio­rin­nen or­ches­triert hatte – zahl­rei­che wei­te­re NGOs auch ver­su­chen wer­den, über Kla­gen vor Ge­rich­ten, statt über die de­mo­kra­ti­schen Volks­rech­te ihre In­ter­es­sen durch­zu­set­zen. Sam­mel­kla­gen wir­ken hier als Brand­be­schleu­ni­ger. Etwas poin­tiert for­mu­liert kann man auch sagen: ein Ge­setz­ge­ber, der In­stru­men­te wie Sam­mel­kla­gen zu­lässt, ris­kiert, seine ei­ge­ne Re­le­vanz zu ge­fähr­den. Die Rechts­ent­wick­lung würde viel­mehr über die Ge­rich­te und nicht mehr über das Par­la­ment er­fol­gen.

Al­ter­na­ti­ven zu Sam­mel­kla­gen sind ver­füg­bar

So­weit In­stru­men­te zur Durch­set­zung von kol­lek­ti­ven Schä­den ge­schärft wer­den sol­len, so sind Sam­mel­kla­gen der denk­bar schlech­tes­te Weg. Es gäbe ef­fi­zi­en­te und über­le­ge­ne Al­ter­na­ti­ven wie Om­buds­ver­fah­ren, tech­no­lo­gi­sche Mit­tel oder die Op­ti­mie­rung der be­ste­hen­den Kla­ge­ty­pen. Es wäre an­ge­mes­sen, dass sich der Bun­des­rat Ge­dan­ken macht, wie man hier vor­an­kommt, statt an sei­ner ver­al­te­ten Vor­la­ge fest­zu­hal­ten.

Die Wirt­schaft wird an­ge­sichts der be­sorg­nis­er­re­gen­den Ent­wick­lun­gen wei­ter­hin alles daran set­zen, damit die Schwä­chen und ins­be­son­de­re die Ge­fahr der bun­des­rät­li­chen Vor­la­ge er­kannt wer­den. Sie setzt dar­auf, dass die Kom­mis­si­on die Vor­la­ge in ihrer nächs­ten Sit­zung als un­rett­bar er­kennt und end­gül­tig zu­rück­weist. Damit macht sie gleich­zei­tig den Weg frei für rechts­tech­nisch über­le­ge­ne In­stru­men­te ohne schäd­li­che Ne­ben­wir­kun­gen.