Fehlgeleitete Diskussion über Schulnoten
- Introduction Executive summary | Positions of economiesuisse
- Chapter 1 Die Stellvertreterdebatte Schulnoten: Worum geht es wirklich?
- Chapter 2 Informationsbedürfnisse der Ausbildungsbetriebe berücksichtigen
- Chapter 3 Schulnoten reichen Unternehmen für die Erstbeurteilung oftmals nicht aus
- Chapter 4 Vergleichbare, leistungsorientierte Beurteilung an der Schnittstelle zur Sekundarstufe II ist zentral
- Chapter 5 Es ist irrelevant, ob die Beurteilung mit oder ohne Noten erfolgt
Schulnoten reichen Unternehmen für die Erstbeurteilung oftmals nicht aus
Eigentlich sollten die Schulnoten ein erster Orientierungspunkt für Betriebe darstellen, anhand dessen sie geeignete Jugendliche für die Besetzung von Lehrstellen finden können. Den Ausbildungsbetrieben reichen die Schulnoten dafür leider oftmals nicht aus. Dies gilt insbesondere für Betriebe, die überkantonal rekrutieren, da zwischen den Schulstandorten und insbesondere zwischen den Kantonen die Vergleichbarkeit der Noten schwierig ist. Die Noten sind aber oftmals nicht einmal innerhalb einer Schulgemeinde vergleichbar. Dies ist eine Unterlassungssünde der letzten Schulreform: Im Rahmen der Arbeiten am Lehrplan 21 wurde darauf verzichtet, Zeugnisse und Beurteilungsmethoden zu harmonisieren. Entsprechend überrascht es nicht, dass immer mehr Betriebe Bewerbende zusätzliche Tests (wie z.B. Stellwerk, Multicheck oder eigene Assessments) machen lassen, was wiederum von den Schulen und der öffentlichen Hand gerne kritisiert wird.
Trotz der mangelhaften Vergleichbarkeit setzen aber viele Betriebe weiterhin auf die Schulnoten als ersten Orientierungspunkt. Insbesondere regional verankerte KMU können die unterschiedlichen Notengebungen in den Schulhäusern in ihrer Region oftmals einschätzen. Sie wissen, was eine spezifische Note in einem Schulhaus oder bei einer spezifischen Lehrperson bedeutet.
Beispiel Hotel Krone Unterstrass: Schulnoten dienen der Vorselektion
Bei der Suche nach Lernenden setzt das Hotel Krone Unterstrass in einem ersten Schritt auf die Zeugnisse der Kandidatinnen und Kandidaten. Eine grobe Vorselektion findet anhand der Schulnoten statt. Damit kann eine Annahme über das Grundwissen der betreffenden Person getroffen werden. Da die Noten aber aufgrund von unterschiedlich angewandten Massstäben nicht vollständig vergleichbar sind, wird in den Zeugnissen auf weitere Faktoren geschaut. So zum Beispiel auf die Angaben zum Verhalten oder den Absenzen. Nach Erfahrung des Hotels Krone Unterstrass deuten Aussagen in diesen Kategorien auch auf das spätere Verhalten im Lehrbetrieb hin. Weiter setzt das Zürcher Unternehmen auf interne Tests zur finalen Auswahl der Lernenden – eben auch, weil das vollständige Vertrauen in die Schulnoten aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit fehlt. Externe Analysen verwendet das Hotel Krone Unterstrass hingegen nicht.
Neben der summativen Beurteilung über den aktuellen Stand der Kompetenzen in den für die berufliche Grundbildung relevanten Fächern sind für die Unternehmen auch Beurteilungen der Schule über die Sozialkompetenzen (Zusammenarbeit mit anderen, «hält sich an die Regeln» usw.) und Selbstkompetenzen (Arbeits- und Lernverhalten, Pünktlichkeit, Konzentrationsvermögen, Sorgfalt, Reflektionsfähigkeit usw.) speziell wichtig, um einzuschätzen, ob die Ausbildung erfolgreich absolviert werden kann. Zusätzlich werden oftmals auch die Absenzen und das ausserschulische Engagement als prognostische Indikatoren mitberücksichtigt.
Das Beispiel des Hotels Krone Unterstrass zeigt, wie KMU neben der ersten Beurteilung anhand der Informationen aus der Schule eigene Beurteilungen vornehmen. Sie stützen sich dabei unter anderem auf Gespräche mit den Interessenten und auf Schnupperlehren. Zusätzlich ist es dienlich, mit der Lehrperson Kontakt aufzunehmen, um ihre prognostische Einschätzung zu erhalten, ob die Lehre zu den Kompetenzen und Interessen der Schülerin oder des Schülers passt. Oftmals verzichten kleinere Unternehmen auf zusätzliche standardisierte Tests, wie beispielsweise Stellwerk-Tests, da diese für sie teilweise schwierig interpretierbar sind. Grössere Unternehmen stützen sich jedoch typischerweise stark auf solche zusätzlichen, standardisierten Tests ab, da es ihnen einen firmeninternen Vergleich aller Bewerbenden an unterschiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Abteilungen ermöglicht.
Beispiel Roche: Zusätzliche vergleichbare Tests während des Bewerbungsprozesses
Für das Pharmaunternehmen Roche sind bei der Auswahl der passenden Lernenden immer mehrere Kriterien relevant – unter anderem weiterhin auch die Schulnoten. Zusätzlich ist für Roche von Interesse, welche Schnupperlehren oder weitere Aktivitäten im Rahmen des Berufswahlunterrichts die Kandidatinnen und Kandidaten gewählt haben und wie viel sie bereits über den von ihnen gewählten Beruf wissen.
Neben den Schulnoten werden alle Bewerberinnen und Bewerber von Roche zur Multicheck-Eignungsanalyse in einem Testcenter ihrer Wahl von gateway.one eingeladen. Der Multicheck ist ein computerbasierter Test, welcher das berufsspezifische Schulwissen und Fähigkeiten wie logisches Denken, Merkfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und räumliches Vorstellungsvermögen auf die Probe stellt. Die Kosten für den Test werden – unabhängig von einer späteren Einstellung – von Roche übernommen. Das Unternehmen hat sich für diesen Anbieter entschieden, da sich dieser Test an den Anforderungsprofilen der unterschiedlichen Berufe orientiert und die Voraussetzungen für alle Kandidatinnen und Kandidaten dank Standardisierung identisch sind. Diese einheitliche Analyse ermöglicht einen kantons- und gar länderübergreifenden Vergleich der Resultate.
Ebenso wichtig sind neben den schulischen Leistungen und dem Multicheck-Resultat die Beurteilung der Sozial- und Selbstkompetenzen der Bewerberinnen und Bewerber. Während des Rekrutierungsprozesses lösen die Kandidatinnen und Kandidaten zu Hause einen Persönlichkeitstest. Roche geht davon aus, dass gerade diese sogenannten «Soft Skills» bei der Rekrutierung von Lernenden in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen werden.
Gewisse Unternehmen gehen noch weiter und machen eigene Assessments oder Vergleichbares, da die Wichtigkeit der Passung (des Matchings) zwischen Betrieb und Jugendlichen zugenommen hat. Bei den erwähnten ergänzenden Beurteilungen werden oftmals auch junge Mitarbeitende einbezogen, um mehr über die Persönlichkeit der Bewerbenden zu erfahren. Denn Betriebe wollen eine Auflösung des Lehrverhältnisses während der Lehre möglichst vermeiden. Eine solche ist mit hohen Kosten verbunden, unter anderem wegen der Betreuung des unzufriedenen oder ungeeigneten Lernenden und allfälligen Neurekrutierungen.
Schliesslich gibt es Unternehmen, welche die Schulnoten überhaupt nicht berücksichtigen. Stattdessen stützen sie sich vollständig auf eigene Beurteilungsverfahren ab, mit dem Ziel, für die jeweilige Stelle passende Kandidatinnen und Kandidaten unabhängig ihrer schulischen Leistungen zu finden. Dabei werden die Kandidierenden in Interviews, Bewerbungstagen und/oder Schnupperlehren geprüft. Teilweise absolvieren sie dabei standardisierte Aufgaben, damit die Bewerbenden verglichen werden können. Die Motivation für die Nichtberücksichtigung der Noten ist meistens, dass diese nur bedingt vergleichbar sind. Zudem möchten diese Firmen, dass im Bewerbungsprozess die tatsächlichen Fähigkeiten und die Motivation der Jugendlichen im Vordergrund stehen.