Kartellrecht: Wettbewerb stärken statt Unternehmen verunsichern

Die Beschwerden über die Praxis im Kartellrecht häufen sich. Dies ist alarmierend und die Signale aus der Wirtschaft sind ernst zu nehmen. Denn Unternehmen haben ein grosses Interesse an einem dynamischen und starken Wettbewerb und damit auch an einem funktionierenden Kartellrecht. Ihre Kritik entspringt damit einem grundsätzlichen Problem. Die Politik hat es gleich zwei Mal in der Hand, Abhilfe zu schaffen.

Wenn wir dauernd unter Zahnschmerzen leiden, beeinträchtigt das nicht nur unsere Lebensqualität. Solch chronischer Schwerz ist ein Signal, dass etwas Grundlegendes mit unseren Zähnen nicht stimmt. Gereiztheit, Unsicherheit und die ständige Angst vor schwerwiegenden Komplikationen lähmen unseren Alltag. Und genauso wie mit chronischen Zahnschmerzen gestaltet sich die aktuelle Erfahrung der Wirtschaft mit der Praxis im Kartellrecht. Es besteht eine breite Verunsicherung, was überhaupt noch erlaubt ist. Manch ein Unternehmen sieht sich nach einer Intervention durch die Wettbewerbsbehörden schwerwiegenden Konsequenzen ausgesetzt, ohne dass es diese hätte erwarten können.

«Aufgabe des Kartellgesetzes ist es, den Wettbewerb zu stärken.»

Der breit geäusserte und laute Ruf, etwas gegen diese Praxis der Unsicherheit zu tun, bedeutet somit nicht, dass die Wirtschaft das Kartellrecht schwächen möchte. Das Gegenteil ist der Fall: Die Wirtschaft möchte, dass das Kartellrecht wieder so funktioniert wie ursprünglich vorgesehen. Denn wer mit Schmerzen zum Zahnarzt geht, will sich nicht die Zähne ziehen lassen, sondern vielmehr sicherstellen, dass sich diese wieder ohne Einschränkungen brauchen lassen.

Aufgabe des Kartellgesetzes ist es, den Wettbewerb zu stärken. In einer freien Marktwirtschaft herrscht in aller Regel Wettbewerb, doch es gibt auch Verhaltensweisen, welche für den Wettbewerb schädlich sind. Solche Verhaltensweisen führen zu überhöhten Preisen und blockieren Innovation. Im Zentrum stehen dabei unzulässige Wettbewerbsabreden und der Missbrauch von Marktmacht. Das Kartellrecht ermöglicht es den Wettbewerbsbehörden, in solchen Fällen einzuschreiten. Entscheidend dabei ist es, dass die Behörden in den richtigen Situationen in angemessener Form tätig werden.

Verfassung, Kartellgesetz und damit der Gesetzgeber schreiben vor, dass die Wettbewerbsbehörden gegen Tatbestände vorzugehen haben, die tatsächliche schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Beim Kartellrecht handelt es sich damit um eine Missbrauchsgesetzgebung: nicht die theoretisch mögliche Gefährdung, sondern der tatsächliche Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung wird bestraft. Diese Unterscheidung ist grundlegend: viele im Alltag völlig übliche Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen könnten theoretisch einen negativen Einfluss auf den Wettbewerb haben. Sie müssen es aber nicht und in aller Regel wird eine solche Auswirkung auch nicht angestrebt.

Die Praxis der Wettbewerbsbehörden, welche auch von den Gerichten bestätigt wurde, sieht dies aber anders. Auch mögliche Auswirkungen auf den Wettbewerb sind verboten. Damit riskieren die Unternehmen heute beispielsweise, dass bereits Verträge über Lieferbeziehungen (Absprachen unter Partnern) gleich behandelt werden wie schädliche echte Kartelle (Absprachen unter Konkurrenten). Beide Vertragstypen werden von der Praxis als Absprachen über Preise, Gebiete und Mengen und damit als „harte Wettbewerbsbeschränkungen“ bezeichnet. Sie gelten ohne Weiteres als erheblich und sind unzulässig und werden gebüsst.

«Der Wirtschaftsstandort Schweiz wird wettbewerbspolitisch fehlgesteuert.»

Als Konsequenz dieser Rechtspraxis kommt es zu überschiessenden Markteingriffen: Auch völlig unschädliche Verhaltensweisen werden verboten und gebüsst. Dies mit teils erheblichen Konsequenzen für die Unternehmen.

Diese Fehlsteuerung bleibt sodann nicht auf die durch die Behörden behandelten Fälle beschränkt. Vielmehr vervielfältigt sie sich über die Bemühungen der Unternehmen, einen Konflikt mit den Wettbewerbsbehörden zu vermeiden.

Es ist nicht davon auszugehen, dass sich diese fehlgeleitete Praxis von sich aus wieder einrenkt. Vielmehr muss die Rückbesinnung auf die ursprünglichen Ziele und den Zweck des Kartellrechtes durch den Gesetzgeber erfolgen. Ziel muss es sein, dass die Behörden sich wieder auf die Fälle fokussieren, in denen es zu tatsächlichen, schädlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb kommt.

Die Politik hat jetzt es gleich zwei Mal in der Hand Abhilfe zu schaffen und wichtige Anpassungen zu beschliessen. Einerseits im Rahmen der sich in der parlamentarischen Beratung befindlichen Kartellrechtsrevision, andererseits im Rahmen der vom Bundesrat angedachten Revision der Institutionen im Kartellrecht. Wo auch immer angesetzt wird: Ziel muss es sein, dass das Kartellrecht Zähne kriegt, deren Gebrauch nicht gleich zu Zahnschmerzen führt.

 

Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 4. Dezember 2023 auf handelszeitung.ch.