Zeit für etwas Ehr­lich­keit in der Ver­kehrs­po­li­tik

Der Aus­bau un­se­res Na­tio­nal­stras­sen­net­zes ist un­ver­zicht­bar. Denn längst ist klar: Für eine wirk­lich nach­hal­ti­ge Mo­bi­li­tät und für un­se­re Wirt­schaft brau­chen wir wei­ter­hin In­ves­ti­tio­nen in alle Ver­kehrs­trä­ger.

Die Covid-Pan­de­mie war nicht nur eine Ge­sund­heits­kri­se, son­dern auch eine «Lo­gis­tik-Krise». Ho­me­of­fice und Grenz­schlies­sun­gen haben die ge­wohn­te Mo­bi­li­tät von Gü­tern und Per­so­nen kom­plett auf den Kopf ge­stellt. Auch zeig­te sich: Alle Ver­kehrs­trä­ger sind sys­tem­re­le­vant. Die Stras­se hat bei­spiels­wei­se bei der Impf­stoff­lo­gis­tik enorm un­ter­schätz­te Leis­tun­gen er­bracht. Die zeit­kri­ti­sche Her­stel­lung, La­ge­rung, Fein­ver­tei­lung von Mil­lio­nen tief­ge­kühl­ten und hy­gie­ne­kri­ti­schen Impf­do­sen war alles an­de­re als ein lo­gis­ti­sches Kin­der­spiel. Ohne ver­läss­li­ches Stras­sen­netz und fle­xi­ble Trans­port­un­ter­neh­men wäre dies nicht zu be­wäl­ti­gen ge­we­sen.

«Der Bund geht davon aus, dass der Gü­ter­ver­kehr bis 2050 noch­mals um 31 Pro­zent zu­nimmt.»

Wenn es um die In­fra­struk­tur­qua­li­tät geht, ge­hört die Schweiz ge­ne­rell zur Welt­spit­ze. Diese Qua­li­tät kos­tet: Im Ver­hält­nis zu sei­ner Grös­se in­ves­tiert kaum ein an­de­res OECD-Land jähr­lich so viel in den Ver­kehr wie die Schweiz. Der Bund gibt jähr­lich etwa elf Mil­li­ar­den Fran­ken für den Ver­kehr aus, davon rund zwei Drit­tel für die Schie­ne und ein Drit­tel für die Stras­se. Hinzu kom­men Mil­li­ar­den-Aus­ga­ben der Kan­to­ne und Ge­mein­den. Der vom Par­la­ment im Sep­tem­ber be­schlos­se­ne «Aus­bau­schritt 2023» ist da nur ein klei­nes, aber wich­ti­ges Puz­zle­teil: Er soll hel­fen, die Na­tio­nal­stras­sen bis 2030 an den neur­al­gi­schen Punk­ten zu ent­las­ten – in und um die Ag­glo­me­ra­tio­nen. Po­pu­lis­ti­sche Krei­se dro­hen nun mit dem Re­fe­ren­dum. Dabei ist der Aus­bau nicht bloss «nice to have», son­dern schlicht not­wen­dig – vor allem damit der Ver­kehr in den Städ­ten wei­ter be­ru­higt wer­den kann. Auch die Ver- und Ent­sor­gung kann so si­cher­ge­stellt wer­den, eine zen­tra­le Vor­aus­set­zung, damit die ur­ba­nen Zen­tren at­trak­ti­ve Ar­beits- und Wohn­or­te blei­ben.

Stras­sen­aus­bau­ten sind keine «selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­ung», das zeigt schon ein kur­zer Blick in die Sta­tis­tik: Seit 1985 ist die Stras­sen­flä­che in der Schweiz um rund 20 Pro­zent ge­wach­sen, das Ver­kehrs­auf­kom­men aber um etwa 60 Pro­zent. Man ern­tet also Ver­kehr, auch wenn man keine Stras­sen sät. Nicht nur das, die Ernte ist auch un­ge­niess­ba­rer: Auf ma­ro­den In­fra­struk­tu­ren ver­ur­sacht jeder zu­sätz­li­che Fahr­zeug­ki­lo­me­ter mehr Emis­sio­nen, Lärm und Si­cher­heits­ri­si­kos als auf mo­der­nen. Ver­nach­läs­si­gung ist also ganz und gar nicht nach­hal­tig. Be­son­ders da der Bund davon aus­geht, dass der Per­so­nen­ver­kehr bis 2050 noch­mals um elf Pro­zent wächst und der Gü­ter­ver­kehr um 31 Pro­zent.

Wir dür­fen uns nichts vor­ma­chen: Der In­fra­struk­tur­aus­bau ist das wenig gla­mou­rö­se Fun­da­ment, das wir nicht ge­fähr­den dür­fen. Dar­auf lässt sich ein brei­ter Mass­nah­men­mix für eine zu­kunfts­fä­hi­ge Mo­bi­li­tät auf­bau­en. Es braucht die kon­se­quen­te Dekar­bo­ni­sie­rung des Stras­sen­ver­kehrs, eine viel bes­se­re Aus­nut­zung der be­ste­hen­den In­fra­struk­tur und ein op­ti­ma­les Zu­sam­men­spiel von ÖV und In­di­vi­du­al­ver­kehr. Da gibt es über­all noch ganz viel Stei­ge­rungs­po­ten­zi­al , sei es in Form von Beton oder Daten. Letzt­lich muss auch das Mo­bi­li­ty Pri­cing Schritt für Schritt wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den – ein tech­nisch und po­li­tisch kom­ple­xes Ge­ne­ra­tio­nen­pro­jekt.

 

Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Bei­trags er­folg­te am 11. Ok­to­ber 2023 im Tages-An­zei­ger.