Schweizer Wohlstand im Vergleich: Mythen, Fakten und der Basiseffekt
Das Wichtigste in Kürze:
- Seit der Jahrtausendwende ist der Wohlstand in der Schweiz um 22 % gestiegen.
- Absolut gesehen hat die Schweiz stärker zugelegt als unsere Nachbarn.
- Der Basiseffekt und die Unterschiede im Arbeitseinsatz sind entscheidend für eine korrekte Bewertung der Wohlstandsentwicklung.
Das kaufkraftbereinigte, reale BIP pro Kopf in der Schweiz ist gemäss Zahlen der Weltbank seit der Jahrtausendwende um 22 Prozent gestiegen. Trotz dieser eindeutigen Sachlage gibt es Journalisten und Ökonomen, die im Zusammenhang mit der aktuell laufenden Debatte zur Europapolitik nicht Müde werden, vom Mythos des reinen Breitenwachstums zu schreiben und die Wohlstandsentwicklung der Schweiz schlechtzureden. Das stimmt aber nicht, denn Fakt ist: Der Wohlstand in der Schweiz ist in den letzten rund 25 Jahren auch absolut gesehen deutlich gestiegen.
Arbeitseinsatz und Basiseffekt sind wichtig
Wer die Entwicklung des BIP pro Kopf schlechtreden will, tut dies gerne durch einen Vergleich mit Ländern, die prozentual mehr zugelegt haben. Es ist richtig, dass in anderen Ländern das BIP pro Kopf in Prozent stärker gewachsen ist als in der Schweiz. In den USA zum Beispiel, wo das BIP pro Kopf seit 2000 um 34 Prozent gewachsen ist. Deutlich mehr also als in der Schweiz. Man muss aber festhalten, dass die Beschäftigten in den USA gemäss Zahlen der OECD heute im Schnitt 225 Stunden (oder etwa 5-einhalb Wochen) mehr arbeiten pro Jahr als die Beschäftigten in der Schweiz. Und wenn die Beschäftigten mehr Stunden pro Jahr arbeiten, steigt die Produktivität auf Jahresbasis und entsprechend erhöht dies das BIP pro Kopf. Die Schweiz konsumiert demgegenüber einen grösseren Teil des Wohlstands in Form von Freizeit.
Ein anderes Beispiel, das gerne herangezogen wird, ist Deutschland. Auch hier ist richtig, dass das BIP pro Kopf zwischen 2000 und 2023 mit 24 Prozent etwas stärker gestiegen ist als in der Schweiz. Erstaunlicherweise verweisen die Kritiker nicht noch auf weitere Länder. Chile zum Beispiel: Hier ist das reale BIP pro Kopf seit 2000 um beachtliche 67 Prozent gestiegen. Die Chilenen lassen sogar die fleissigen Amerikaner alt aussehen, geschweige denn die Deutschen und uns Schweizer. Doch geht es den Chilenen deswegen besser?
Was die Kritiker häufig vergessen zu schreiben - ob bewusst oder nicht – ist, dass die Schweiz bereits im Jahr 2000 ein deutlich höheres BIP pro Kopf aufwies. Und im Prozentrechnen ist die Basis nun einmal wichtig: Eine Erhöhung von 1 auf 5 entspricht einer Zunahme von 400 Prozent, eine Erhöhung von 101 auf 105 bedeutet eine Steigerung um nicht mal 4 Prozent. Und der Basiseffekt hat es in sich. Schauen wir uns beim BIP pro Kopf die absolute Zunahme in internationalen $1 an: In der Schweiz stieg der Wohlstand zwischen 2000 und 2023 um knapp 15'000, in Deutschland um etwas über und Chile um etwas unter 12’000 internationale $ (vgl. Tabelle 1).
Das Wohlstandniveau in der Schweiz ist hoch
Das reale, kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf in der Schweiz ist auch heute deutlich höher als in anderen Ländern. Es ist im Vergleich zu den USA um über 9‘000 und zu Deutschland um 21‘000 internationale $ höher.
Machen wir ein kleines Gedankenspiel: Nehmen wir nun an, der Wohlstand in der Schweiz würde in Zukunft überhaupt nicht mehr wachsen. Wie lange würde es bei anhaltenden Wachstumsraten in USA und Deutschland dauern, bis sie das Schweizer Niveau erreicht haben? Die Amerikaner bräuchten weitere knapp 10 Jahre mit anhaltendem Wachstumstempo, bis sie ein BIP pro Kopf auf dem heutigen Niveau der Schweiz erreichen (notabene mit deutlich mehr Arbeitsstunden). Deutlich mehr Zeit würde Deutschland benötigen: Hier würde es ganze 30 Jahre dauern, bis die Deutschen auf unserem derzeitigen Wohlstandsniveau sind und auch das nur, wenn sie ihre Wachstumsrate beibehalten können.
Ländervergleiche sind gut, wenn sie richtig gemacht werden
Ländervergleiche des BIP pro Kopf können sinnvoll sein. Sie müssen aber richtig gemacht werden. Erstens müssen die Daten aus einer seriösen Quelle stammen (OECD, Weltbank, Eurostat). Zweitens muss derselbe Zeitraum für alle betrachtet werden und, wenn es um aktuelle Vergleiche geht, wenn immer möglich die neuesten Datenpunkte miteinbeziehen. Drittens müssen bei der Interpretation wesentliche Punkte wie der Arbeitseinsatz und der Basiseffekt berücksichtigt werden. Und wenn man dies tut, so zeigt sich eindeutig: Der Schweizer Wohlstand hat in den letzten Jahren auf hohem Niveau weiter stark zugenommen. Das ist ein Fakt.
Aber letztlich sind internationale Vergleiche immer ein Blick in den Rückspiegel. Unser primäres Ziel sollte es sein, in unserem Land die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass unser Wohlstand auch künftig in dem Masse zunimmt, wie es über die letzten rund 25 Jahre der Fall gewesen ist.