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Bi­la­te­ra­le III: Die Geg­ner spie­len Rou­let­te mit un­se­rer Zu­kunft

Das Wich­tigs­te in Kürze:

  • Die An­nah­men der Geg­ner der Bi­la­te­ra­len III sind äus­serst ge­wagt.
  • Die EU ist und bleibt auf ab­seh­ba­re Zeit die mit Ab­stand wich­tigs­te Han­dels­part­ne­rin und bei einer wei­te­ren Ero­si­on des bi­la­te­ra­len Wegs dro­hen der Schweiz spür­ba­re Nach­tei­le.
  • Die Geg­ner haben kei­nen über­zeu­gen­den Plan B für unser Land.

Ob­wohl die Ver­hand­lun­gen zwi­schen der Schweiz und der EU über die Bi­la­te­ra­len III noch nicht ab­ge­schlos­sen sind, kur­sie­ren be­reits zahl­rei­che Falsch­in­for­ma­tio­nen – so­wohl über das an­ge­streb­te drit­te Ver­trags­pa­ket als auch über den bi­la­te­ra­len Weg ganz all­ge­mein. Ge­wis­se Ak­teu­re ope­rie­ren zudem mit über­aus ge­wag­ten An­nah­men. Drei die­ser An­nah­men wir­ken dabei be­son­ders aben­teu­er­lich:

Ge­wag­te An­nah­me 1: Schlech­te­re Han­dels­be­zie­hun­gen mit der EU las­sen sich leicht durch an­de­re Märk­te kom­pen­sie­ren

Selbst­ver­ständ­lich soll die Schweiz neben der EU auch best­mög­li­che Han­dels­be­zie­hun­gen mit den USA, China und an­de­ren Län­dern pfle­gen. Neue Frei­han­dels­ab­kom­men wie z.B. mit In­di­en sind wich­tig für die Ex­port­na­ti­on Schweiz und för­dern die wirt­schaft­li­che Di­ver­si­fi­zie­rung. Doch zu glau­ben, wir könn­ten uns ohne spür­ba­ren wirt­schaft­li­chen Scha­den von eu­ro­päi­schen Wert­schöp­fungs­ket­ten ab­kap­seln, ist schlicht rea­li­täts­fremd.

Die Schweiz liegt im Her­zen Eu­ro­pas. Rund die Hälf­te un­se­rer Waren ex­por­tie­ren wir in die EU und 70 % un­se­rer Waren im­por­tie­ren wir aus der EU. Auch wenn die Wa­ren­ex­por­te in die USA und nach China in den letz­ten 20 Jah­ren pro­zen­tu­al stär­ker zu­ge­nom­men haben, bleibt die EU un­se­re wich­tigs­te Han­dels­part­ne­rin – so­wohl heute als auch in ab­seh­ba­rer Zu­kunft. Die ab­so­lu­ten Wachs­tums­zah­len spre­chen Bände (siehe Gra­fik) – so nah­men die Wa­ren­ex­por­te in die EU seit 2018 um fast 26 Mil­li­ar­den Fran­ken zu – jene in die USA und nach China zu­sam­men je­doch nur um etwa 14 Mil­li­ar­den Fran­ken. Kommt noch hinzu: Pro­zen­tu­al konn­te das Schwei­zer Wa­ren­ex­port­wachs­tum in die EU seit 2020 durch­aus mit den USA und China mit­hal­ten.

In geo­po­li­tisch her­aus­for­dern­den Zei­ten mit einem schwä­cheln­den Mul­ti­la­te­ra­lis­mus und zu­neh­men­den Han­dels­kon­flik­ten ge­win­nen gute bi­la­te­ra­le Wirt­schafts­be­zie­hun­gen an Re­le­vanz. Eine kluge Di­ver­si­fi­zie­rungs­stra­te­gie für die Schweiz lau­tet des­halb: Das eine tun und das an­de­re nicht las­sen. Wir brau­chen bei­des – so­wohl mehr und bes­se­re Frei­han­dels­ab­kom­men mit auf­stre­ben­den Märk­ten als auch die Bi­la­te­ra­len III in­klu­si­ve bar­rie­re­frei­em Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Heim­markt mit 450 Mil­lio­nen Men­schen.

Ge­wag­te An­nah­me 2: Bei einem Schei­tern der Bi­la­te­ra­len III bleibt alles beim Alten

Die Vor­stel­lung, dass die Schweiz ohne die Bi­la­te­ra­len III keine spür­ba­ren Nach­tei­le er­lei­det, ist naiv. Ohne ein Strom­ab­kom­men müs­sen wir bis 2050 rund 50 Mil­li­ar­den Fran­ken zu­sätz­lich in das Strom­sys­tem in­ves­tie­ren und die Ver­sor­gungs­si­cher­heit im Win­ter wäre ge­fähr­det. Die Nicht-Teil­nah­me an Ho­ri­zon Eu­ro­pe macht uns für Spit­zen­for­schen­de we­ni­ger at­trak­tiv, was un­se­re In­no­va­ti­ons­kraft be­ein­träch­tigt. Denn auch wenn un­se­re Uni­ver­si­tä­ten zu den bes­ten Eu­ro­pas ge­hö­ren: In­no­va­ti­on ent­steht nicht im stil­len Käm­mer­lein. Schwer­wie­gend ist auch die Nicht-Auf­da­tie­rung des Ab­kom­mens über tech­ni­sche Han­dels­hemm­nis­se (MRA). Die­ses ga­ran­tiert die ge­gen­sei­ti­gen Nor­mena­n­er­ken­nun­gen in rund 20 Pro­dukt­sek­to­ren und deckt zwei Drit­tel des Han­dels mit In­dus­trie­pro­duk­ten zwi­schen der Schweiz und der EU ab. Ab 2026/2027 ver­lie­ren so bis zu 60% der Schwei­zer Ex­port­fir­men den hin­der­nis­frei­en Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt, z.B. in der Ma­schi­nen-, Bau- und Phar­ma­in­dus­trie.

Die An­pas­sungs­kos­ten dürf­ten die Mil­li­ar­den­schwel­le über­stei­gen – ein schwe­rer Schlag ins­be­son­de­re für Schwei­zer KMU, die mehr Zeit und Geld für den Markt­zu­gang auf­wen­den müss­ten, wäh­rend­dem sich grös­se­re Fir­men zum Nach­teil des Ar­beits- und In­no­va­ti­ons­stand­ort Schweiz rasch um­ori­en­tie­ren kön­nen. Die Fol­gen einer wei­te­ren Ero­si­on des bi­la­te­ra­len Wegs wären damit ver­hee­rend.

Ge­wag­te An­nah­me 3: Ein um­fas­sen­des Frei­han­dels­ab­kom­men ist die bes­se­re Lö­sung als die Bi­la­te­ra­len III

Wer sagt, dass sich die EU bei einem Schei­tern der Bi­la­te­ra­len III so­gleich wie­der an den Tisch zu­rück­setzt, um eine für die Schweiz pas­sen­de Lö­sung zu fin­den? Es stimmt zwar, dass sie mit der Schweiz einen Han­dels­bi­lanz­über­schuss er­zielt. Es stimmt aber auch, dass wir mit Gü­ter­ex­por­ten in die EU rund 15'400 CHF pro Ein­woh­ner und Jahr ver­die­nen, die EU aber ge­ra­de mal 350 CHF. Die EU würde eine Ver­schlech­te­rung der Han­dels­be­zie­hun­gen zur Schweiz also we­sent­lich bes­ser ver­kraf­ten als um­ge­kehrt. Zudem wird die Ver­hand­lungs­mas­se bei einem Frei­han­dels­ab­kom­men sehr viel klei­ner. Die Schweiz könn­te viele Trümp­fe, die sie heute in der Hand hat, nicht aus­spie­len.

Der bi­la­te­ra­le Weg ist auch mit einem noch so um­fas­sen­den Frei­han­dels­ab­kom­men in kei­ner Weise ver­gleich­bar. Das Bei­spiel Gross­bri­tan­ni­ens zeigt zudem, dass es eine Mo­der­ni­sie­rung des Frei­han­dels­ab­kom­mens mit der EU für die Schweiz nicht zum Null­ta­rif geben wird. Wir müss­ten un­se­ren Land­wirt­schafts­sek­tor öff­nen und wohl auch EU-Bei­hil­fe­re­geln sowie in­sti­tu­tio­nel­le Ele­men­te über­neh­men.

Was ein Frei­han­dels­ab­kom­men im Ge­gen­satz zur Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt für ex­port­ori­en­tier­te KMU heisst, zeigt sich eben­falls am Bei­spiel Gross­bri­tan­ni­ens: Von den 120'000 bri­ti­schen KMU, die ihre Pro­duk­te vor dem Brex­it in die EU ex­por­tier­ten, haben seit Ab­schluss des Ko­ope­ra­ti­ons­ab­kom­mens mit der EU rund 20'000 ihre Ex­por­te ein­ge­stellt. Als Grund gaben sie den hö­he­ren Auf­wand an, wes­halb sich die Ex­por­te schlicht nicht mehr loh­nen wür­den. Die Schweiz wäre durch ein Ab­seits­ste­hen vom Bin­nen­markt noch viel stär­ker be­trof­fen als das Ver­ei­nig­te Kö­nig­reich. Wäh­rend bri­ti­sche KMU 2022 rund 26% zum bri­ti­schen Ex­port­vo­lu­men bei­tru­gen, waren es in der Schweiz 37%. Zudem sind die schwei­ze­ri­schen und die eu­ro­päi­schen Wert­schöp­fungs­ket­ten noch viel enger mit­ein­an­der ver­knüpft.

Man spielt kein Rou­let­te, wenn die ei­ge­ne Zu­kunft der Ein­satz ist

Die An­nah­men der Geg­ner der Bi­la­te­ra­len III sind nicht nur ge­wagt – sie sind ein Hoch­ri­si­ko­spiel für un­se­ren Wohl­stand. Schlech­te­re Han­dels­be­zie­hun­gen mit der EU könn­ten nicht ein­fach so kom­pen­siert wer­den. Ein Schei­tern der Ver­hand­lun­gen und das Aus­lau­fen der bi­la­te­ra­len Ver­trä­ge würde die Schweiz wohl kaum schad­los über­ste­hen. Und dass die EU mor­gen wie­der vor der Tür steht, um uns einen bes­se­ren Deal an­zu­bie­ten, ist wohl eben­falls sehr un­rea­lis­tisch. Das klingt nicht nur nach einem schlech­ten Plan B, es ist schlicht und ein­fach gar kei­ner.