Prognose

Fra­gi­les Wachs­tum auf dün­nem Eis

Die Aus­sich­ten für die Schwei­zer Wirt­schaft trü­ben sich zwar ein, doch dürf­te sie auch das kom­men­de Jahr mit einem schwa­chen Wachs­tum durch­lau­fen. Der Wirt­schafts­dach­ver­band eco­no­mie­su­is­se schätzt, dass das Brut­to­in­land­pro­dukt (BIP) 2023 real um 0,6 Pro­zent zu­neh­men und die Schweiz nicht in eine Re­zes­si­on rut­schen wird. Fach­kräf­te­man­gel, hohe En­er­gie­prei­se sowie Preis­stei­ge­run­gen bei Vor­leis­tun­gen hal­ten an und auch die nur zäh ab­neh­men­den Lie­fer­eng­päs­se be­las­ten das Wirt­schafts­wachs­tum. Die Ar­beits­lo­sen­quo­te steigt im Jah­res­durch­schnitt nur leicht an. Das Eis ist al­ler­dings dünn – die kon­junk­tu­rel­len Ab­wärts­ri­si­ken sind hoch.

Mit dem Aus­lau­fen der pan­de­mie­be­ding­ten Ein­schrän­kun­gen setz­te eine star­ke Auf­hol­pha­se der Welt­wirt­schaft ein. Diese wurde in vie­len Län­dern be­feu­ert durch fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zun­gen der Be­völ­ke­rung und der Wirt­schaft durch den Staat. Die star­ke Nach­fra­ge­er­hö­hung führ­te aber zu er­heb­li­chen Lie­fer­eng­päs­sen und stei­gen­den En­er­gie­prei­sen. Mit dem Ein­marsch der rus­si­schen Armee in die Ukrai­ne ver­stärk­ten sich diese ne­ga­ti­ven Ent­wick­lun­gen noch­mals deut­lich. Eine ra­sche­re Nor­ma­li­sie­rung wird auch durch Chi­nas Fest­hal­ten an sei­ner Null-Covid-Po­li­tik ver­hin­dert. Mitt­ler­wei­le haben sich die En­er­gie- und Roh­stoff­prei­se zwar etwas be­ru­higt. Erdöl und vor allem Erd­gas no­tie­ren aber deut­lich über dem Vor­kri­sen­ni­veau, und der Strom­preis ver­harrt auf einem his­to­ri­schen Hoch. Auch tre­ten we­ni­ger Lie­fer­eng­päs­se auf. Die Si­tua­ti­on bleibt aber an­ge­spannt. Die hohen In­fla­ti­ons­ra­ten haben in vie­len Län­dern zu einer deut­li­chen Kauf­kraf­te­ro­si­on bei den pri­va­ten Haus­hal­ten ge­führt. Zwar stei­gen auch die No­mi­nal­löh­ne an, doch hal­ten sie mit der In­fla­ti­ons­ent­wick­lung nicht mit. Dies be­las­tet den Kon­sum in wich­ti­gen Ab­satz­märk­ten der Schwei­zer Wirt­schaft wie den USA, Deutsch­land, Frank­reich, Ita­li­en und Gross­bri­tan­ni­en. Im­mer­hin gibt es jüngst wie­der etwas po­si­ti­ve­re Si­gna­le aus Deutsch­land und den USA, wel­che die Aus­sich­ten nicht mehr ganz so trüb er­schei­nen las­sen. In China hin­ge­gen ist das Wachs­tum zwar noch po­si­tiv, bleibt je­doch deut­lich hin­ter dem Po­ten­zi­al zu­rück. Trotz re­zes­si­ver Ent­wick­lun­gen in ein­zel­nen Län­dern ist nicht von einer Re­zes­si­on der ge­sam­ten Welt­wirt­schaft aus­zu­ge­hen.

Kon­junk­tu­rel­le Ab­küh­lung auch in der Schweiz

Die in­ter­na­tio­na­len Ent­wick­lun­gen be­las­ten auch das Wachs­tum der Wirt­schaft im In­land. Of­fen­sicht­lich wir­ken sich die Schwie­rig­kei­ten in den Ab­satz­märk­ten di­rekt auf deren Ex­port­tä­tig­keit aus. Al­ler­dings ver­fügt die Schwei­zer Wirt­schaft über einen guten Bran­chen­mix, ist stark auf Spe­zia­li­tä­ten und we­ni­ger auf den preis­sen­si­ti­ven Mas­sen­markt aus­ge­rich­tet, und die wenig kon­junk­tur­sen­si­ti­ven Bran­chen der che­misch-phar­ma­zeu­ti­schen In­dus­trie und der Me­di­zi­nal­gü­ter­in­dus­trie haben einen hohen Stel­len­wert.

Die Preis­ent­wick­lun­gen und Lie­fer­eng­päs­se wir­ken sich auch ne­ga­tiv auf die Bin­nen­wirt­schaft aus. Stei­gen­de Hy­po­the­kar­zin­sen und hö­he­re En­er­gie­prei­se be­las­ten die Mie­ter und einen Teil der Haus­ei­gen­tü­mer. Woh­nen wird teu­rer und bin­det mehr fi­nan­zi­el­le Res­sour­cen, die nicht für den Kon­sum zur Ver­fü­gung ste­hen. Die Re­al­löh­ne in der Schweiz wer­den 2023 leicht sin­ken, da die durch­schnitt­li­chen No­mi­nal­lohn­er­hö­hun­gen von etwa 2,2 Pro­zent etwas tie­fer als die In­fla­ti­on aus­fal­len wer­den. Der Auf­ho­lef­fekt nach der Pan­de­mie läuft lang­sam aus und spielt 2023 nur noch eine un­ter­ge­ord­ne­te Rolle. Hin­ge­gen wird der pri­va­te Kon­sum von der an­hal­ten­den Zu­wan­de­rung und der hohen Be­schäf­ti­gung ge­stützt.

Ins­ge­samt schätzt eco­no­mie­su­is­se, dass das Schwei­zer Brut­to­in­land­pro­dukt 2023 um 0,6 Pro­zent zu­neh­men wird. Wachs­tums­stüt­zen sind dabei der pri­va­te Kon­sum und die Aus­rüs­tungs­in­ves­ti­tio­nen, wäh­rend der Bau, der öf­fent­li­che Kon­sum und der Aus­sen­han­del das Wachs­tum ne­ga­tiv be­ein­flus­sen.

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zu den Aus­wir­kun­gen der in­ter­na­tio­na­len Ent­wick­lung auf die Schwei­zer Un­ter­neh­men fin­den sich in der neus­ten Um­fra­ge von eco­no­mie­su­is­se. Sie zeigt, dass Lie­fer­eng­päs­se nach wie vor fast für die Hälf­te der Un­ter­neh­men ein Pro­blem dar­stel­len.

Un­ter­schied­li­che Ent­wick­lung der Bran­chen

Die kon­junk­tu­rel­le Brems­wir­kung be­trifft nicht alle Bran­chen gleich. Bei den wert­schöp­fungs­in­ten­si­ven Wa­ren­ex­port­bran­chen Phar­ma-, Med­tech- und Uh­ren­in­dus­trie ste­hen die Zei­chen wei­ter­hin auf Wachs­tum. Durch­zo­gen ist die Ent­wick­lung in der Che­mie­in­dus­trie, wo das Tä­tig­keits­feld und die Ex­port­märk­te dar­über ent­schei­den, ob ein po­si­ti­ves oder ne­ga­ti­ves Wachs­tum er­war­tet wird. Die Me­tall-, Elek­tro- und Ma­schi­nen­in­dus­trie und die Tex­til­in­dus­trie gehen für 2023 von einem Rück­gang der Wert­schöp­fung aus. Auch im Bau­ge­wer­be wird eine ne­ga­ti­ve Wert­schöp­fungs­ent­wick­lung er­war­tet, wenn auch auf einem guten Ni­veau ver­blei­bend, da die Preis­stei­ge­run­gen grös­ser als das Um­satz­wachs­tum aus­fal­len. Mehr struk­tu­rell denn kon­junk­tu­rell be­dingt ist das er­war­te­te Minus in der Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­on und im Druck- und Ver­lags­we­sen. Hin­ge­gen pro­fi­tie­ren Bran­chen wie die In­for­ma­tik- oder die Un­ter­neh­mens­be­ra­tungs­fir­men von struk­tu­rel­lem Rü­cken­wind. Auch die Per­so­nal­ver­mitt­ler, der Gross­han­del und teil­wei­se auch die Le­bens­mit­tel­in­dus­trie legen wei­ter zu. Er­freu­lich sehen die Aus­sich­ten für den Tou­ris­mus und die Ho­tel­le­rie aus, wel­che die pan­de­mie­be­ding­ten, sehr schwie­ri­gen Jahre hin­ter sich las­sen dürf­ten. Die Zahl der Lo­gier­näch­te des Vor­kri­sen­jah­res 2019 dürf­te al­ler­dings auch 2023 noch nicht ganz er­reicht wer­den. Ähn­li­ches gilt für den Trans­port, ins­be­son­de­re für den Per­so­nen­trans­port, der in Rich­tung Nor­ma­li­sie­rung un­ter­wegs ist.

In­fla­ti­ons­ra­te ver­harrt ober­halb des Ziel­kor­ri­dors der SNB

In der Schweiz ist die In­fla­ti­ons­ra­te zwar im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich be­schei­den, den­noch über­steigt sie klar das Ziel­band der Schwei­ze­ri­schen Na­tio­nal­bank (SNB) von null bis zwei Pro­zent. Es ist des­halb davon aus­zu­ge­hen, dass diese die kurz­fris­ti­gen Zin­sen wei­ter er­höht, um Zweit­run­den­ef­fek­te mög­lichst ab­zu­brem­sen und die In­fla­ti­ons­ra­te wie­der unter die 2-Pro­zent-Marke brin­gen zu kön­nen. Dies wird aber 2023 noch nicht der Fall sein. Zwar wer­den die Kos­ten für fos­si­le En­er­gie 2023 im Ver­gleich zu 2022 sin­ken, doch im Fall von elek­tri­scher En­er­gie fal­len bei Un­ter­neh­men, bei wel­chen die Strom­lie­fer­ver­trä­ge Ende 2022 aus­lau­fen, hap­pi­ge Er­hö­hun­gen an. Auch für Kun­den, die nicht im frei­en Markt be­zie­hen, stei­gen die Strom­prei­se 2023 mit Ver­zö­ge­rung an. Zudem er­hö­hen sich die No­mi­nal­löh­ne, für Vor­leis­tun­gen muss mehr be­zahlt wer­den, Knapp­hei­ten für viele Güter hal­ten an und die Miet­kos­ten stei­gen. All dies führt dazu, dass die Teue­rung nicht sub­stan­zi­ell sin­ken wird und mit rund 2,7 Pro­zent 2023 wei­ter­hin über dem Ziel­band der SNB ver­blei­ben wird.

Kon­junk­tur­ri­si­ken sind gross

Das Wachs­tum 2023 ist fra­gil. Zwar geht das Haupt­sze­na­rio für 2023 von einem po­si­ti­ven Wachs­tum aus, doch die Ab­wärts­ri­si­ken sind gross. Wie ein Da­mo­kles­schwert schwebt ers­tens die Mög­lich­keit einer Strom­m­an­gel­la­ge über der kon­junk­tu­rel­len Ent­wick­lung. Eine sol­che würde zu dras­ti­schen Ver­wer­fun­gen füh­ren und hätte wohl eine Re­zes­si­on auch in der Schweiz zur Folge. Zwei­tens be­las­tet die in­fla­tio­nä­re Ent­wick­lung. Soll­te diese nur mit dras­ti­schen Zins­schrit­ten unter Kon­trol­le ge­bracht wer­den kön­nen, würde dies gleich­zei­tig auch das schwa­che Wachs­tum ab­wür­gen. Drit­tens ist auch das Wachs­tum des Welt­markts ge­fähr­det, soll­te die In­fla­ti­on wei­ter gras­sie­ren. Zudem wirft die Ent­wick­lung in China gros­se Fra­ge­zei­chen auf. Die Fort­füh­rung der Null-Covid-Po­li­tik könn­te die Lie­fer­eng­pass­pro­ble­ma­tik be­feu­ern. Eine noch dras­ti­sche­re Aus­wir­kung hätte das Aus­bre­chen eines of­fe­nen Kon­flikts zwi­schen den USA und China in Bezug auf Tai­wan zur Folge.

Schliess­lich gibt es auch po­si­ti­ve Sze­na­ri­en: Ein ra­sches Ende des Ukrai­ne-Kon­flikts, stark fal­len­de En­er­gie­prei­se oder eine un­er­war­tet schnel­le Rück­kehr zur Preis­sta­bi­li­tät wür­den das Wachs­tum der Welt­wirt­schaft und damit auch die schwei­ze­ri­sche Ent­wick­lung sehr po­si­tiv be­ein­flus­sen.

 

Tabelle 1

 

 

Tabelle 2

 

 

Tabelle 3