# 3 / 2022
02.03.2022

Ja zu Frontex - für den Verbleib bei Schengen

Wie sich die Schweiz heute und in Zukunft an Frontex beteiligt

Frontex als wichtiger Baustein von Schengen

An Schengen nimmt die Schweiz als assoziierter Staat seit 2009 teil. Ein Referendum gegen die Schengen-Assoziierung hatte das Schweizer Stimmvolk am 5. Juni 2005 mit 54,6 Prozent klar abgelehnt. Seither wurde die Teilnahme der Schweiz in zwei weiteren Volksabstimmungen erneut bestätigt. Mit der Schaffung des Schengen-Raums wird auf der einen Seite auf systematische Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Schengen-Staaten verzichtet. Für deren Bürgerinnen und Bürger herrscht weitgehende Reisefreiheit. Auf der anderen Seite wurden verschiedene Ausgleichsmassnahmen ergriffen, um einen hohen Sicherheitsstandard innerhalb des Schengen-Raums zu gewährleisten. Hierzu gehören:

  • die Verstärkung der Grenzkontrollen an den Aussengrenzen des Schengen-Raums;
  • die Verbesserung der grenzüberschreitenden Polizei- und Justizzusammenarbeit;
  • die Modernisierung des Informationsaustausches im Bereich der Personen- und Sachfahndung (sogenanntes Schengener Informationssystem SIS);
  • die gemeinsame Visumpolitik;
  • die Erleichterung der Rechtshilfe;
  • die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Drogenhandel.

Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, spielt beim Schutz der Schengen-Aussengrenzen eine wichtige Rolle. Sie koordiniert unter anderem die Bereitstellung von Grenzschutz- und Rückkehrexpertinnen und -experten der Mitgliedstaaten und der assoziierten Schengen-Länder und stellt technische Ausrüstung wie Boote, Flugzeuge und Anlagen zur Grenzsicherung/Grenzüberwachung in Gebieten an den Aussengrenzen bereit, in denen die verantwortlichen Mitgliedstaaten zusätzliche Unterstützung benötigen. Frontex greift somit den Schengen-Staaten beim Schutz ihrer Aussengrenzen mit Know-how, Personal und Material unter die Arme. Neben der Grenzkontrolle umfassen Frontex-Einsätze Aufgaben im Zusammenhang mit der Sicherheit auf See, Sicherheitskontrollen, der Suche und Rettung von Flüchtlingen sowie dem Umweltschutz.

Frontex erfüllt diese Aufgaben im Rahmen der «integrierten europäischen Grenzverwaltung». Das heisst, diese werden in gemeinsamer Verantwortung von der Agentur und den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden wahrgenommen. Die Schengen-Staaten bleiben jedoch weiterhin vorranging für den Schutz ihrer eigenen Grenzen verantwortlich. Bei der Umsetzung dieser Aufgaben kann Frontex auch mit Drittstaaten zusammenarbeiten.

Zurzeit beschäftigt Frontex etwa 1500 Mitarbeitende. Fast ein Viertel davon wird von den Mitgliedstaaten abgeordnet und kehrt nach dem Ende ihrer Amtszeit bei Frontex in ihren nationalen Dienst zurück.

Ein Abseitsstehen der Schweiz verbessert die Menschenrechtssituation an den Schengen-Aussengrenzen nicht – ein aktiver Beitrag hingegen schon

Frontex sieht sich schon seit längerer Zeit mit Vorwürfen konfrontiert, bei ihren Einsätzen die Menschenrechte zu missachten. Nichtregierungsorganisationen und Medien beklagen, die Grenz- und Küstenwachen würden Geflüchtete abfangen und unter Anwendung von Gewalt abschieben. Häufig soll es sich dabei um verbotene, sogenannte «Pushbacks» handeln, bei denen beispielsweise Flüchtlingsboote fahruntüchtig gemacht, in fremde Gewässer geschleppt und dann ihrem Schicksal überlassen würden. Frontex wird vorgeworfen, direkt an systematischen Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu sein oder solche beobachtet und toleriert zu haben. Gemäss eines am 16. Juli 2021 vom EU-Parlament vorgelegten Untersuchungsberichts hat Frontex beim Umgang mit mutmasslichen Grundrechtsverletzungen an den Aussengrenzen zwar durchaus Fehler begangen. Eine Beteiligung der EU-Agentur selbst an «Pushbacks» wurde aber nicht festgestellt.

Die Vorwürfe sind ernst zu nehmen. Sie sind auch ein Hauptgrund für die Ergreifung des Referendums gegen die Beteiligung der Schweiz an Frontex. Ein Rückzug der Schweiz würde die Lage an den Aussengrenzen allerdings nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Denn Frontex wird dadurch nicht abgeschafft, sondern besteht weiter. Nur mit zusätzlichen Mitteln und entsprechend ausgebildetem Personal können Missstände an den Aussengrenzen künftig besser angegangen und behoben werden. Die Schweiz kann hier eine aktive Rolle spielen und hat diesbezüglich in der Vergangenheit bereits Verantwortung übernommen. Sie hat zum Beispiel im Frontex-Verwaltungsrat eine gründliche, zeitnahe und transparente Untersuchung der «Pushback»-Vorwürfe verlangt.

Die Haltung der Schweiz ist klar: Grundrechte müssen bei allen Einsätzen von Frontex ausnahmslos eingehalten werden. Insbesondere muss für schutzbedürftige Personen jederzeit die Möglichkeit bestehen, ein Asylgesuch einzureichen. Ein funktionierender Grenzschutz und die Einhaltung der Grundrechte sind miteinander untrennbar verknüpft. Der Aufbau der Frontex-Ressourcen muss deshalb parallel mit einer Stärkung des Grundrechtsschutzes einhergehen. Entsprechend hat sich die Agentur eine Grundrechtsstrategie gegeben. So sind die grundlegenden Menschenrechte Bestandteil des Verhaltenskodex von Frontex. Durch die neue Frontex-Verordnung werden zudem die Schutz- und Überwachungssysteme ausgebaut. Beamte der See- oder Landesgrenzüberwachung bzw. Rückführungsbeobachter werden regelmässig und speziell vor Einsätzen geschult, ein internes Verfahren zur Meldung schwerwiegender Vorkommnisse wurde eingeführt. Ausserdem gibt es ein Beschwerdeverfahren für Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Der Grundrechtsbeauftragte (Fundamental Rights Officer, FRO) überwacht die Umsetzung der Verpflichtungen in Bezug auf Grundrechte bei Frontex. Er kann selbstständig Ermittlungen bei allen Tätigkeiten der Agentur anstellen und führt regelmässig Besuche vor Ort durch. Zusätzlich werden 40 unabhängige Grundrechtsbeobachterinnen und -beobachter in Zukunft die Tätigkeit der Agentur ständig überwachen und bewerten, 20 von ihnen haben die Arbeit schon aufgenommen.

Wer finanziert Frontex?

Frontex wird aus dem ordentlichen EU-Budget sowie Beiträgen der assoziierten Schengen- Staaten, darunter der Schweiz, finanziert. Ausserdem tragen die Schengen-Staaten die Lohnkosten ihrer eigenen Einsatzkräfte während der Dauer ihres Einsatzes für Frontex.

Wieso braucht es jetzt einen Ausbau?

Während der europäischen Flüchtlingskrise kam es zu einem sprunghaften Anstieg der Asylanträge von 630’000 im Jahr 2014 auf 1,3 Millionen in den Jahren 2015 und 2016, bevor sie sich in den folgenden Jahren wieder auf ungefähr 650’000 Gesuche pro Jahr einpendelten. Die Schengen-Staaten im Süden und Osten Europas waren von der Entwicklung an ihren Aussengrenzen völlig überfordert. Als Reaktion darauf entschieden sich die Schengen-Staaten im Jahr 2016, Frontex auszubauen und zu verstärken. Die Flüchtlingskrise 2015 und die jüngsten Ereignisse an der Grenze zu Weissrussland haben gezeigt, dass die Schengen-Staaten mit langen Aussengrenzen von der Gemeinschaft stärker unterstützt werden müssen, um diese vor illegalen Grenzüberschreitungen zu sichern und den Menschenhandel zu unterbinden. Damit dies unter Respektierung der Menschenrechte geschehen kann, müssen Frontex die nötigen Mittel in die Hand gegeben werden. Die Schweiz muss sich an diesen zusätzlichen Kosten im Rahmen ihrer Verpflichtungen anteilmässig und solidarisch beteiligen. Ansonsten kann Schengen nicht funktionieren.

Dank digitalem Nachschlagewerk FADO Dokumentfälschungen auf der Spur

Frontex betreut seit der Ausweitung seines Aufgabenbereichs auch das europäische Bildspeichersystem «False and Authentic Documents Online» (FADO-System). Dabei handelt es sich um ein digitales Nachschlagewerk der EU. Die Verwendung gefälschter Dokumente hat in den letzten Jahren im Schengen-Raum und insbesondere an den Aussengrenzen erheblich zugenommen. Eine gute Zusammenarbeit der Polizei-, Grenzschutz- und Migrationsbehörden aller Schengen-Staaten ist daher für eine wirksame Bekämpfung der Dokumentenfälschung zentral. FADO dient dem Austausch von Informationen über Sicherheitsmerkmale und potenzielle Fälschungsmerkmale in echten und gefälschten Dokumenten. Seit 2014 konnten Schweizer Behörden dank FADO jährlich zwischen 3800 und 5100 gefälschte Dokumente identifizieren und aus dem Verkehr ziehen. Die Teilnahme an diesem Bilderkennungssystem erhöht somit die Sicherheit in der Schweiz. Zurzeit berät das Parlament die Übernahme der geänderten EU-Verordnung über das FADO-System in Schweizer Recht.

Wie beteiligt sich die Schweiz an Frontex?

Um die ihr neu zugeteilten Aufgaben bewältigen zu können, soll Frontex bis zum Jahr 2027 eine ständige Reserve von 10’000 Grenzschützerinnen und Grenzschützern aufbauen. Neben ständig bei der Agentur angestelltem Personal stellen die Schengen-Staaten zusätzlich qualifiziertes eigenes Personal für langfristige Abordnungen (bis zu zwei Jahre), kurzfristige Einsätze (bis zu vier Monate) und für einen Soforteinsatzpool zur Verfügung. Die Anzahl des Personals, welches die Schweiz zur Verfügung stellen muss, wird gemäss einem vereinbarten Beitragsschlüssel berechnet. Beginnend mit vier Personen 2021 wird die Schweiz ab 2027 maximal 39 Personen pro Jahr zu den insgesamt 10'000 Einsatzkräften von Frontex beisteuern.

Mit dem Ausbau der Aufgaben erhöht sich auch das Budget von Frontex. Der Finanzrahmen der EU 2021 bis 2027 sieht für Frontex einen Betrag von 6,4 Milliarden Euro (umgerechnet rund 6,7 Milliarden Franken) vor. Da ein Teil davon durch den EU-Haushalt finanziert wird, müssen die assoziierten Schengen-Staaten wie die Schweiz für ihre Teilnahme eigene Mittel beisteuern. Aufgrund der Erhöhung des Budgets für den Grenzschutz wächst auch der jährliche Beitrag der Schweiz an die Agentur um ein Mehrfaches. Ausgehend von etwa 24 Millionen Franken 2021 soll der jährliche Beitrag der Schweiz graduell auf maximal 61 Millionen Franken im Jahr 2027 steigen.

Wie bei allen assoziierten Staaten wird der Schweizer Beitrag für die Finanzierung von Frontex nach dem Verhältnis des nationalen Bruttoinlandprodukts (BIP) zu demjenigen aller Teilnehmerländer der Agentur berechnet. Dieser macht etwas mehr als 4 Prozent aus. Dadurch ergibt sich ein Schweizer Anteil von rund 317 Millionen Franken für die gesamte Finanzperiode von Frontex. Die Lohnkosten für die Bereitstellung ihrer nationalen Einsatzkräfte tragen die Schengen-Staaten selbst. So auch die Schweiz.

Der BIP-Anteil der Schweiz dient als Grundlage für die Berechnung der Beiträge an Frontex.