OECD/G-20-Steuerprojekt: Das Glas ist weniger als halb voll
Auch am Oktober-Treffen des OECD/G-20 Inclusive Framework ist eine globale Einigung zur Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft nicht gelungen. Die technischen Arbeiten schreiten zwar voran, doch zu den entscheidenden Parametern gibt es keine Verständigung. Die grosse Unsicherheit bleibt bestehen.
Die neue internationale Steuerarchitektur sollte ursprünglich bereits Ende 2019 stehen. Der Beschluss wurde zunächst auf Januar verschoben, dann auf Juli und schliesslich Oktober 2020. Doch das Einzige, worauf sich die 137 Staaten des Inclusive Framework geeinigt haben, ist die Veröffentlichung hochtechnischer «Blueprints». In der Sichtweise der OECD ist das Glas damit halb voll. Doch sämtliche politischen Parameter sind in den Berichten ausgespart. Hinsichtlich der tatsächlich relevanten Punkte ist das Glas damit mehr als halb leer.
Es stellen sich weiterhin dieselben grundlegenden Fragen. Welche Firmen sollen den neuen Steuerregeln unterliegen? Nur digitale oder auch konsumorientierte Branchen? Welcher Anteil des Gewinns soll in den Marktstaaten versteuert werden und nach welcher Formel wird er verteilt? Wie hoch ist der angestrebte Mindeststeuersatz?
Aber nicht nur die Steuerregeln sind unklar, ungelöst ist auch der multilaterale Prozess, wie die Staaten zu einer gemeinsamen Steuereinschätzung gelangen. Sind die Schwellenländer bereit, Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte zu akzeptieren? Verzichten die Staaten verbindlich auf eigene Digitalsteuern? Werden die andersartigen Mindestbesteuerungsregeln der USA akzeptiert?
Alternative Handelskrieg?
Die Erzählung der OECD ist seit Jahren dieselbe. Die Alternative sei der Handelskrieg, wird mit Bestimmtheit vorhergesagt. Kaum wahrnehmbar ist dagegen die Verurteilung unilateraler Massnahmen und Handelssanktionen vonseiten der «Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit».
Als Argument hinzugekommen sind die finanziellen Lasten der Covid-19-Krisenbewältigung. Gemäss OECD-Generalsekretär Angel Gurría haben die Staaten global 11 Billionen USD eingesetzt. Dagegen müssen die maximal 100 Milliarden USD Mehreinnahmen enttäuschen. Die Berechnung basiert zudem auf Zahlen vor Implementierung des Vorläuferprojekts BEPS (gegen Base Erosion and Profit Shifting) und der US-Steuerreform. Wichtige Effekte, die dem Projekt zugeschrieben werden, sind damit bereits eingetreten.
Steuerstandort unabhängig weiterentwickeln
Die «Blueprints» seien eine solide Basis für eine zukünftige politische Einigung. Erwartet wird, dass die G-20-Finanzminister das Mandat bis Mitte 2021 verlängern. Doch die Interessengegensätze bleiben bestehen und ein Konsens ist damit höchst unsicher. Der Steuerstandort Schweiz muss deshalb unabhängig dieses Projekts weiterentwickelt werden. Die Möglichkeit dazu besteht insbesondere mit einer Reform der Verrechnungssteuer. Hier kann der Standort ohne jegliche internationale Vorgaben und mit einem äusserst attraktiven Kosten-Nutzen-Verhältnis gestärkt werden.