Sammelklagen schaden allen
Die Welt steht Kopf. Sie tun gerade Ihr Bestes, damit Sie sich selbst und Ihre Mitmenschen nicht mit Covid-19 anstecken. Gleichzeitig kümmern Sie sich darum, Ihren Verpflichtungen als Arbeitnehmer bestmöglich nachzukommen oder Ihren Betrieb trotz behördlicher Einschränkungen oder krisenbedingter Beeinträchtigungen so gut als möglich am Leben zu erhalten – von Ihrem Einsatz als Heimlehrer für Ihre Kinder gar nicht zu sprechen. Umso ärgerlicher ist es, Rückerstattungsleistungen für bereits bezahlte Traumferien oder für ein lang ersehntes Konzert der Lieblingsband, das nie stattgefunden hat, nachrennen zu müssen.
Die gesamte Wirtschaft kämpft. Die Folgen der Krise werden uns wohl erst in den kommenden Jahren in vollem Umfang bewusst werden. Wie sich ein Unternehmen seinen Kunden gegenüber verhält, wirkt sich unweigerlich auf den Unternehmenserfolg aus: Ein auch in der Krise konsumentenfreundlich auftretendes Unternehmen stärkt im Vergleich zu den Mitkonkurrenten seine eigene Position im Wettbewerb. Dieser Macht sollten sich Konsumenten bewusst sein. Es ist erwiesen, dass Kunden, deren Beschwerden zufriedenstellend bearbeitet wurden, loyaler sind und mehr kaufen als zufriedene Kunden, die nie reklamieren. Treten Sie in Kontakt mit den Unternehmen, bringen Sie Ihre Ansprüche vor, machen Sie nicht die Faust im Sack! Belohnen Sie kundenfreundlich reagierende Unternehmen, indem Sie diesen auch in der Krise weiterhin die Treue halten.
Die Einführung von Sammelklagen käme einer Scheinlösung gleich
Wenn Sie glauben, im Recht zu sein und trotz der Krise keine Geduld mehr für Ihren Vertragspartner aufbringen wollen, steht Ihnen der Rechtsweg offen. Hierfür können Sie mit Ihrer Rechtsschutzversicherung in Kontakt treten, einen Prozessfinanzierer mit ins Boot holen oder bei Mittellosigkeit unentgeltliche Prozessführung beanspruchen. Ob Sie dabei individuell oder zusammen mit anderen Konsumenten vorgehen wollen, ist Ihnen überlassen. Jedenfalls bietet bereits die aktuell gültige Zivilprozessordnung Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung mehrerer Kläger. Die Einführung von Sammelklagen käme einer Scheinlösung gleich und würde massive Nachteile mit sich bringen: Bewährte schweizerische Grundprinzipien würden missachtet und eine Klageindustrie nach amerikanischem «Vorbild» gefördert.
In der Schweiz soll keine Klageindustrie wie in den USA entstehen
Gerade in der aktuellen Coronavirus-Krise bemühen sich die Amerikaner, die krassen Missbräuche bei Sammelklageaktivitäten im Interesse aller einzudämmen. In den USA stellen sich so plötzlich Fragen wie: Hafte ich als Ladenbetreiber, wenn sich ein Kunde nicht an die Abstandsregeln hält? Kann man mich verklagen, wenn nicht alle eine Maske tragen? Findige Anwälte können in den USA immer einen Anknüpfungspunkt für eine Klage erkennen. Die von Konsumentenschützern weiterhin undifferenziert geforderte Einführung von Sammelklagen würde auch bei uns die Entstehung einer solchen Klageindustrie begünstigen. Gleichzeitig würden die Kosten für Compliance und Versicherungen nach oben schnellen. Dies wiederum hätte unmittelbare Preiserhöhungen für uns alle – denn auch die Wirtschaft ist Konsument – zur Folge.
Deshalb ist der bundesrätliche Entwurf zur Revision der Zivilprozessordnung, der voraussichtlich im Herbst ins Parlament kommt, zu begrüssen. Dieser verbessert die Rechte der Kläger und Konsumenten, ohne unbedacht die nachteiligen, missbrauchsanfälligen Elemente aus anderen Rechtssystemen zu übernehmen. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, unseren schweizerischen Wirtschaftsstandort nicht unnötig zu schwächen und auf gefährliche Experimente mit unserem Rechtssystem zu verzichten.
Dieser Beitrag erschien am 28. Mai 2020 in der «Handelszeitung».