rechtliches Dokument

Wich­ti­ges Si­gnal des Bun­des­ge­richts für den Ge­setz­ge­ber

Das Wich­tigs­te in Kürze: ​​

  • Das Bun­des­ge­richt passt seine Pra­xis zur Miss­brauchs­kon­trol­le an und be­stä­tigt damit die gros­se Kri­tik der Wirt­schaft an der bis­he­ri­gen Pra­xis – ein wich­ti­ger Schritt.
  • Der Hand­lungs­be­darf des Ge­setz­ge­bers bleibt trotz die­ses Ur­teils be­ste­hen – die Pra­xis des Bun­des­ge­richts muss klar im Ge­setz ver­an­kert wer­den, damit die Un­ter­neh­men aus­rei­chend Rechts­si­cher­heit haben. ​
  • Der Na­tio­nal­rat muss auf Basis der Ar­bei­ten sei­ner vor­be­ra­ten­den Kom­mis­si­on im Som­mer nun die ent­spre­chen­den Wei­chen­stel­lun­gen vor­neh­men.​

​Das Bun­des­ge­richt hatte 2022 in einem Fall zum Un­ter­neh­men SIX zu be­ur­tei­len, ob des­sen dy­na­mi­sche Wäh­rungs­um­rech­nung (Dy­na­mic Cur­ren­cy Con­ver­si­on – DCC) wett­be­werbs­mäs­sig kor­rekt sei. Es ent­schied, dass be­reits ein abs­trak­tes Ge­fähr­dungs­po­ten­zi­al aus­rei­che, um ein Ver­hal­ten markt­be­herr­schen­der Un­ter­neh­men als Miss­brauch zu qua­li­fi­zie­ren. Ob tat­säch­lich eine Be­ein­träch­ti­gung des Wett­be­werbs droh­te, hielt es für un­er­heb­lich. Diese Sicht­wei­se wurde von Wirt­schaft und Wis­sen­schaft scharf kri­ti­siert: Sie för­der­te eine sche­ma­ti­sche An­wen­dung des Miss­brauchs­ver­bots, schuf er­heb­li­che Rechts­un­si­cher­heit und schwäch­te die Grund­la­ge für fun­dier­te Ein­zel­fall­prü­fun­gen. ​

Der neue Ent­scheid: eine not­wen­di­ge Kor­rek­tur ​​

Mit dem kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Ent­scheid rückt das Bun­des­ge­richt nun von die­ser schäd­li­chen Pra­xis ab: ​

​«Eine rein abs­trak­te Eig­nung einer Mass­nah­me ge­nügt je­doch nicht, son­dern es muss dar­ge­tan wer­den, dass die Ver­hal­tens­wei­se unter den kon­kre­ten Markt­be­din­gun­gen diese Wir­kungs­eig­nung hat.»

​Viel­mehr sei nach­zu­wei­sen, dass das Ver­hal­ten unter den kon­kre­ten Markt­be­din­gun­gen tat­säch­lich po­ten­zi­ell ge­eig­net sei, den Wett­be­werb zu be­ein­träch­ti­gen. Eine bloss theo­re­ti­sche Ge­fahr rei­che nicht. Die Wett­be­werbs­kom­mis­si­on muss dar­le­gen, wie und unter wel­chen Um­stän­den eine Wett­be­werbs­be­hin­de­rung zu er­war­ten ist. Kurz: Das Bun­des­ge­richt rückt den Fokus wie­der auf den Ein­zel­fall und die öko­no­mi­schen Wir­kun­gen – eine längst über­fäl­li­ge Rück­be­sin­nung auf rechts­staat­li­che und wirt­schafts­lo­gi­sche Grund­prin­zi­pi­en. ​

​Der Ge­setz­ge­ber bleibt trotz­dem ge­for­dert ​

​So wich­tig diese Kor­rek­tur ist – sie löst das Grund­pro­blem der läh­men­den Rechts­un­si­cher­heit für die Wirt­schaft nicht. Dass das höchs­te Ge­richt in­ner­halb we­ni­ger Jahre zu der­sel­ben Norm völ­lig un­ter­schied­li­che Aus­sa­gen trifft, zeigt den ge­setz­ge­be­ri­schen Hand­lungs­be­darf deut­lich auf. Die of­fe­ne Aus­le­gung von Art. 7 KG führt zu Un­si­cher­heit und er­höh­ten Ri­si­ken für Un­ter­neh­men, ins­be­son­de­re in dy­na­mi­schen Märk­ten. An­ge­sichts der stren­gen Sank­ti­ons­dro­hun­gen im Kar­tell­recht ist diese Si­tua­ti­on un­trag­bar. ​​

Nur der Ge­setz­ge­ber kann hier nach­hal­tig Si­cher­heit schaf­fen. Die lau­fen­de Teil­re­vi­si­on des Kar­tell­ge­set­zes bie­tet die Chan­ce, eine klare, aus­ge­wo­ge­ne und pra­xis­taug­li­che De­fi­ni­ti­on des Miss­brauch­stat­be­stands zu schaf­fen. ​

​Schutz des Wett­be­werbs, nicht pau­scha­le Be­stra­fung wirt­schaft­li­cher Stär­ke ​

​Die Wirt­schaft setzt sich für einen wirk­sa­men Wett­be­werbs­schutz ein. Miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten markt­mäch­ti­ger Un­ter­neh­men muss sank­tio­niert wer­den – dies aber dif­fe­ren­ziert und öko­no­misch be­grün­det. Es braucht ein Kar­tell­recht, das öko­no­misch trag­fä­hig ist, Rechts­si­cher­heit bie­tet und In­no­va­ti­on nicht be­hin­dert. ​

​Das Bun­des­ge­richt hat mit sei­ner Prä­zi­sie­rung be­stä­tigt, dass die An­lie­gen der Wirt­schaft be­rech­tigt sind. Es geht bei den For­de­run­gen der Wirt­schaft nicht um eine Schwä­chung der Be­hör­den, son­dern um rechts­staat­lich sau­be­re Ver­fah­ren und sach­ge­rech­te, nach­voll­zieh­ba­re Kri­te­ri­en. Das Bun­des­ge­richt hat nun vor­ge­legt – jetzt ist der Ge­setz­ge­ber am Zug. ​ ​

​Die Kurs­kor­rek­tur des Bun­des­ge­richts ist ein star­kes Si­gnal und eine Be­stä­ti­gung der For­de­run­gen der Wirt­schaft zur Stär­kung der Ein­zel­fall­be­trach­tung. Das Ur­teil ist aber kein Er­satz für eine ge­setz­li­che Klä­rung. Der Ball liegt nun in der Som­mer­ses­si­on beim Na­tio­nal­rat. Die vor­be­rei­ten­de Kom­mis­si­on hat die ent­spre­chen­de Vor­ar­beit be­reits ge­leis­tet. ​ ​

Worum geht es im Ver­fah­ren?

Das Ver­fah­ren be­trifft die Nut­zung und Ver­brei­tung von me­di­zi­ni­schen Pro­dukt­in­for­ma­tio­nen, also Daten zu Me­di­ka­men­ten, Me­di­zin­pro­duk­ten und ver­wand­ten Ar­ti­keln. Sol­che In­for­ma­tio­nen – wie Wirk­stoff, Do­sie­rung oder Ne­ben­wir­kun­gen – sind für Ärz­tin­nen und Ärzte, Spi­tä­ler, Apo­the­ken und Ver­si­che­run­gen un­er­läss­lich. Diese An­ga­ben sind öf­fent­lich auf der Platt­form AIPS zu­gäng­lich, wer­den je­doch von der Firma HCI So­lu­ti­ons AG zu­sätz­lich auf­be­rei­tet, struk­tu­riert und kom­mer­zi­ell wei­ter­ver­wen­det. ​

Was warf die Wett­be­werbs­kom­mis­si­on (WEKO) HCI So­lu­ti­ons vor?

Die WEKO stell­te 2016 fest, dass HCI So­lu­ti­ons auf dem Markt für sol­che Me­di­ka­men­ten­in­for­ma­tio­nen eine markt­be­herr­schen­de Stel­lung hatte – und diese miss­bräuch­lich aus­nutz­te. Kon­kret:

  • Soft­ware­häu­ser wur­den durch Ver­trä­ge an HCI So­lu­ti­ons ge­bun­den (z. B. durch Al­lein­be­zugs­klau­seln),
  • Phar­ma­fir­men muss­ten für be­stimm­te Leis­tun­gen ge­bün­del­te An­ge­bo­te ak­zep­tie­ren,
  • Prei­se für be­stimm­te Dienst­leis­tun­gen (z. B. Qua­li­täts­kon­trol­len) waren nicht kos­ten­ba­siert. ​

Des­halb ver­häng­te die WEKO eine Sank­ti­on von rund 4,5 Mil­lio­nen Fran­ken gegen HCI So­lu­ti­ons und deren da­ma­li­ge Mut­ter­ge­sell­schaft Ga­le­ni­ca AG (heute: Vifor Phar­ma). ​

Was ge­schah vor Ge­richt? ​

Nach Be­schwer­den der be­trof­fe­nen Un­ter­neh­men be­stä­tig­te das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt 2022 im We­sent­li­chen den Miss­brauch, re­du­zier­te aber die Busse auf ca. 3,8 Mil­lio­nen Fran­ken. Es stell­te zudem klar, dass nur HCI So­lu­ti­ons ver­ant­wort­lich sei – nicht mehr die Ga­le­ni­ca AG. ​

Die Un­ter­neh­men leg­ten dar­auf­hin Be­schwer­de beim Bun­des­ge­richt ein, das am 23. Ja­nu­ar 2025 in öf­fent­li­cher Ver­hand­lung über den Fall ent­schied.