Symbolbild: verschiedenes Gemüse

Un­se­re Agrar­po­li­tik bleibt ei­gen­stän­dig

Fak­ten­check Nr. 10: Die Geg­ner des Rah­men­ab­kom­mens mit der EU be­haup­ten, dass die Schwei­zer Land­wirt­schafts­po­li­tik unter die Herr­schaft der EU falle. Sie fürch­ten das Ende der ei­gen­stän­di­gen Agrar­po­li­tik, weil staat­li­che Bei­hil­fen oder das Gen­tech-Ver­bot bei den Im­por­ten in­fra­ge ge­stellt wür­den. Ein kur­zer Fak­ten­check zeigt, warum die Schweiz nicht um ihre ei­gen­stän­di­ge Agrar­po­li­tik fürch­ten muss.

Be­haup­tung: Mit dem Rah­men­ab­kom­men würde die EU die Schwei­zer Agrar­po­li­tik al­lei­ne be­stim­men.

Tat­sa­chen: Das be­ste­hen­de Land­wirt­schafts­ab­kom­men zwi­schen der Schweiz und der Eu­ro­päi­schen Union ist seit 2002 in Kraft. Es ist wie die Ab­kom­men über die Per­so­nen­frei­zü­gig­keit, Land- und Luft­ver­kehr sowie die tech­ni­schen Han­dels­hemm­nis­se (MRA) Be­stand­teil des Rah­men­ab­kom­mens. Alle diese Be­rei­che müs­sen durch bi­la­te­ra­le Ab­kom­men zwi­schen den Par­tei­en ver­ein­bart wer­den und durch die Schweiz au­to­nom, unter Re­spek­tie­rung der di­rekt­de­mo­kra­ti­schen Ver­fah­ren, in Schwei­zer Recht über­führt wer­den. Zu sagen, die Schweiz könne ihre Agrar­po­li­tik nicht mehr ei­gen­stän­dig ge­stal­ten, ist also falsch.

Auch an den staat­li­chen Bei­hil­fen für die Land­wirt­schaft – ins­be­son­de­re die Di­rekt­zah­lun­gen, wel­che die Bau­ern in der Schweiz er­hal­ten – än­dert das Rah­men­ab­kom­men nichts. Die darin ent­hal­te­nen Bei­hil­fe­be­stim­mun­gen kön­nen nur auf Be­rei­che an­ge­wen­det wer­den, für wel­che im ent­spre­chen­den Bin­nen­markt­ab­kom­men staat­li­che Bei­hil­fen aus­drück­lich ver­bo­ten sind. Das ist zur­zeit nur beim Luft­ver­kehrs­ab­kom­men der Fall. Es gibt also keine ge­ne­rel­le An­wen­dung des Ver­bots von Bei­hil­fen auf an­de­re Be­rei­che. Das heisst, es gibt keine so­ge­nann­ten «ho­ri­zon­ta­len Ef­fek­te».

Be­fürch­tet wird auch, dass das Rah­men­ab­kom­men das «Schog­gi­ge­setz» – also das Bun­des­ge­setz über die Ein­fuhr von Er­zeug­nis­sen aus Land­wirt­schafts­pro­duk­ten – nich­tig macht. Die­ses Ge­setz re­gelt den Preis­aus­gleichs­me­cha­nis­mus im Han­del mit ver­ar­bei­te­ten Land­wirt­schafts­pro­duk­ten und setzt die ver­trag­li­chen Be­stim­mun­gen des Frei­han­dels­ab­kom­mens zwi­schen der Schweiz und der EU von 1972 um. Die­ses un­ter­steht aber nicht dem Rah­men­ab­kom­men. Ent­spre­chend bleibt auch das Schog­gi­ge­setz von den Re­geln zur dy­na­mi­schen Rechts­über­nah­me oder zu staat­li­chen Bei­hil­fen un­be­rührt.

Wol­len die Schweiz und die EU der­einst das Frei­han­dels­ab­kom­men mo­der­ni­sie­ren, läge es an bei­den Par­tei­en, ihre An­lie­gen be­tref­fend Preis­aus­gleichs­mass­nah­men in die Ver­hand­lun­gen ein­zu­brin­gen. Ein mo­der­ni­sier­tes Frei­han­dels­ab­kom­men würde aus­ser­dem nur dann unter das Rah­men­ab­kom­men und des­sen Bei­hil­fe­re­geln fal­len, wenn es durch die Mo­der­ni­sie­rung zu einem Bin­nen­markt­ab­kom­men mit Rechts­har­mo­ni­sie­rung wer­den soll­te. Auch dies ist Ver­hand­lungs­sa­che und un­ter­steht der sou­ve­rä­nen Ent­schei­dung der Schweiz.

Eben­so wenig müss­te sich die Schweiz der Gen­tech­nik öff­nen, soll­te das Rah­men­ab­kom­men zu­stan­de kom­men. Das Land­wirt­schafts­ab­kom­men nimmt den Im­port von gen­tech­nisch ver­än­der­tem Saat­gut be­reits heute ex­pli­zit aus. Und wie be­reits er­wähnt, hat auch mit einem Rah­men­ab­kom­men stets das Stimm­volk das letz­te Wort und könn­te das Gen­tech­nik-Im­port­ver­bot auf­recht­er­hal­ten.

Et­li­che Geg­ner des Rah­men­ab­kom­mens sehen Frei­han­dels­ab­kom­men als den bes­se­ren Weg, weil sie der Schweiz in der Agrar­po­li­tik an­geb­lich mehr Spiel­raum las­sen. Doch das Ge­gen­teil ist wahr: Bei allen ak­tu­el­len Ver­hand­lun­gen über Frei­han­dels­ab­kom­men ist die Öff­nung des Schwei­zer Agrar­markts ein kon­tro­ver­ses Thema. Wenn also die Ero­si­on des bi­la­te­ra­len Wegs zu­min­dest teil­wei­se durch neue Frei­han­dels­ab­kom­men auf­ge­fan­gen wer­den soll, dann setzt dies die Schwei­zer Agrar­po­li­tik si­cher stär­ker unter Druck als das Rah­men­ab­kom­men.

Üb­ri­gens: Wuss­ten Sie, warum die Gur­ken nicht mehr krumm sind? Das kam so: Die EU er­liess 1988 eine Richt­li­nie, wel­che die Krüm­mung der Sa­lat­gur­ken be­stimm­te. Also ei­gent­lich soll­te das schmack­haf­te Ge­mü­se ge­ra­de sein, um als «Extra» klas­siert zu wer­den. Be­sag­te Richt­li­nie 1677/88 hält denn auch fest, dass die Krüm­mung höchs­tens 10 Mil­li­me­ter pro 10 Zen­ti­me­ter Länge be­tra­gen darf. Die Gur­ken­krüm­mungs­ver­ord­nung wurde na­tür­lich die Lach­num­mer für Ka­ba­ret­tis­ten und Kri­ti­ker der Über­re­gu­lie­rung. Die EU-Kom­mis­si­on schaff­te daher die be­rühm­te Ver­ord­nung per 2009 wie­der ab – gegen den Wi­der­stand einer Mehr­heit der Mit­glieds­staa­ten. Doch das tat der Po­pu­la­ri­tät ge­ra­der Gur­ken kei­ner­lei Ab­bruch – sie blie­ben auch nach der Ab­schaf­fung die Norm. Für Ge­mü­se­bau­ern, Han­del und Kon­su­men­ten sind sie ein­fach prak­ti­scher: Sie ken­nen be­stimmt den Dich­testress im Ge­mü­se­fach ihres Kühl­schranks …


FAK­TEN­CHECK RAH­MEN­AB­KOM­MEN

In un­se­rer Som­mer­se­rie «Fak­ten­checks zum Rah­men­ab­kom­men» sind be­reits fol­gen­de Bei­trä­ge er­schie­nen:

1. Uups! 60 Pro­zent des Stimm­vol­kes glatt ver­ges­sen

2. Dür­fen wir nur noch im Som­mer schwim­men?

3. Warum An­ge­la Mer­kel nie Bun­des­rä­tin wer­den kann

4. Wie das Rah­men­ab­kom­men un­se­re Sou­ve­rä­ni­tät stärkt

5. Die Steu­er­ho­heit der Kan­to­ne bleibt ge­wahrt

6. Rah­men­ab­kom­men stärkt Schwei­zer Bil­dungs­sys­tem

7. Lohn­schutz bleibt Sache der So­zi­al­part­ner

8. Die Mär vom Tod der Kan­to­nal­ban­ken

9. Warum es falsch ist, die Op­fer­rol­le ein­zu­neh­men