Berufslehren

In­dus­tri­el­le Be­rufs­leh­ren Schweiz – In­ves­ti­tio­nen in die Zu­kunft

Der Aus­bil­dungs­ver­bund ver­leiht jun­gen Men­schen nicht nur das Rüst­zeug, um in tech­ni­schen Be­ru­fen er­folg­reich zu sein – ver­mit­telt wer­den ihnen auch Werte und Ori­en­tie­rungs­hil­fen für das Leben aus­ser­halb von Werk­stät­ten und Büros.

 

Im Jahr 1891 hat Brown, Bo­ve­ri & Cie. (BBC) im aar­gaui­schen Baden den Be­trieb auf­ge­nom­men und stieg in den Fol­ge­jah­ren zu einem glo­bal füh­ren­den Ma­schi­nen- und Tur­bi­nen­her­stel­ler auf. Nicht nur das, auch an der Elek­tri­fi­zie­rung der Welt hatte das Un­ter­neh­men gros­sen An­teil. Seit 1988 heisst das Un­ter­neh­men ABB. An Er­folg hat es der­weil nicht ein­ge­büsst. Eine Grund­zu­tat für die über 120-jäh­ri­ge Fir­men­ge­schich­te ist neben qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger In­ge­nieurs­kunst auch der Wille, Nach­wuchs er­folg­reich zu re­kru­tie­ren und aus­zu­bil­den. So wurde Baden nicht nur zu einem wich­ti­gen In­dus­trie­stütz­punkt, son­dern auch zu einem Zen­trum für die Ver­mitt­lung von tech­ni­schem Wis­sen und hand­werk­li­chen Fä­hig­kei­ten. Ein neues Ka­pi­tel be­gann im Jahr 1996, als ABB den ei­gen­stän­di­gen Ver­ein Lern­zen­tren (heute In­dus­tri­el­le Be­rufs­leh­ren Schweiz – libs) als einen der ers­ten pri­vat­wirt­schaft­li­chen Aus­bil­dungs­ver­bün­de des Lan­des grün­de­te. Fort­an ver­trau­ten an­de­re Fir­men ihre Be­rufs­ler­nen­den den Spe­zia­lis­ten von libs an, um von der dort wäh­rend Jahr­zehn­ten ge­wach­se­nen In­fra­struk­tur und Er­fah­rung zu pro­fi­tie­ren.



Ein grü­beln­der Ein­stein sym­bo­li­siert Neu­gier­de und die Be­reit­schaft zu stän­di­gem Ler­nen.

Aus­bil­dungs­ziel «Le­bens­un­ter­neh­mer»
Heute bil­det libs für seine vier Kern­mit­glie­der und mehr als 80 Mit­glieds­fir­men aus der Ma­schi­nen-, Elek­tro- und Me­tall­in­dus­trie (MEM) an vier Stand­or­ten Be­rufs­ler­nen­de aus und ge­ne­riert damit einen Jah­res­um­satz von rund 35 Mil­lio­nen Fran­ken. Etwa 1100 Ju­gend­li­che durch­lau­fen die vier­jäh­ri­ge Aus­bil­dung, rund 300 schlies­sen ihr Pro­gramm jedes Jahr er­folg­reich mit einem «Eid­ge­nös­si­schen Fä­hig­keits­zeug­nis» ab. Dabei ob­liegt es dem Ver­ein, alle As­pek­te der Aus­bil­dung ei­gen­stän­dig zu ge­stal­ten. Die Aus­bil­dungs­ver­ant­wort­li­chen bei libs ent­schei­den dar­über hin­aus in den meis­ten Fäl­len auch, zu wel­cher Firma und in wel­ches Tä­tig­keits­feld ein voll aus­ge­bil­de­ter Ju­gend­li­cher am bes­ten passt. Hinzu kom­men jedes Jahr rund 500 Ler­nen­de von Nicht­mit­glieds­fir­men, die von ihren Be­trie­ben für be­stimm­te Kurse an die Aus­bil­dungs­stät­ten ent­sandt wer­den. Das ist meist der Fall, wenn sie selbst nicht über die not­wen­di­ge Aus­stat­tung oder das fach­li­che Know-how ver­fü­gen.

Der Ver­ein und des­sen Ge­schäfts­füh­rer Ingo Frit­schi wol­len nicht nur, dass die Be­rufs­ler­nen­den wahre Meis­ter ihres Fachs wer­den. Ihrem En­ga­ge­ment liegt eine gros­se Vi­si­on zu­grun­de: die Er­schaf­fung so­ge­nann­ter «Le­bens­un­ter­neh­mer». «Ein Le­bens­un­ter­neh­mer ist ein Mensch, der sich selbst und seine Um­ge­bung stän­dig wei­ter­ent­wi­ckelt. Er sagt nach vier Jah­ren Lehre nicht, dass er fer­tig ist, son­dern hat eine tiefe Über­zeu­gung zur le­bens­lan­gen Wei­ter­ent­wick­lung. Dabei ist es un­wich­tig, ob diese Wei­ter­ent­wick­lung ein Stu­di­um ist, oder ob sich je­mand durch jah­re­lan­ges Ver­tie­fen zu einem ex­zel­len­ten Be­rufs­mann oder einer Be­rufs­frau ent­wi­ckelt. Zu­sam­men mit un­se­ren Mit­glie­dern und Part­nern bil­den wir damit eine wert­vol­le Säule für die Ge­sell­schaft von mor­gen», er­klärt Frit­schi.

Bei einem Rund­gang durch die weit­läu­fi­gen Be­triebs­hal­len nimmt die­ser ganz­heit­li­che Bil­dungs­an­spruch sicht­ba­re Kon­tu­ren an. Der Be­su­cher trifft nicht nur auf eine Fülle von Ma­schi­nen und Ap­pa­ra­ten, an denen Ro­bo­ter pro­gram­miert, Me­tall­tei­le be­ar­bei­tet oder drei­di­men­sio­na­le Dru­cke er­zeugt wer­den. An den Wän­den hän­gen aus­ser­dem von den Ju­gend­li­chen ge­stal­te­te Pla­ka­te, die ty­pi­sche Pro­ble­me des Er­wach­sen­wer­dens und des All­tags the­ma­ti­sie­ren. Das Ziel: Indem sich der Nach­wuchs bei­spiels­wei­se mit ge­sun­der Er­näh­rung, mass­vol­lem Trin­ken oder Ver­let­zungs­ri­si­ken beim Sport aus­ein­an­der­setzt, lernt er, einen po­si­ti­ven Bei­trag für die ganze Ge­sell­schaft zu leis­ten.




Ein Vor­bild für die Welt
Das brei­te An­ge­bot und die Qua­li­tät der Aus­bil­dung bei libs stos­sen laut Ge­schäfts­füh­rer Frit­schi nicht nur auf po­si­ti­ve Re­so­nanz in der ein­hei­mi­schen Un­ter­neh­mens­welt. Auch im nahen und fer­nen Aus­land sei man schon auf die Ar­beit des Ver­eins und das in der Schweiz prak­ti­zier­te Kon­zept der dua­len Aus­bil­dung auf­merk­sam ge­wor­den. «Wir haben jedes Jahr bei libs meh­re­re De­le­ga­tio­nen, Bil­dungs- und sogar schon Pre­mier­mi­nis­ter bei uns ge­habt, die sich sehr für das hie­si­ge Sys­tem der tech­ni­schen Be­rufs­aus­bil­dung in­ter­es­sier­ten», er­zählt Ingo Frit­schi nicht ohne Stolz. Denn mitt­ler­wei­le habe sich der Zu­sam­men­hang zwi­schen einem dua­len Bil­dungs­sys­tem und einer tie­fen Ju­gend­ar­beits­lo­sig­keit her­um­ge­spro­chen. So wird etwa spe­ku­liert, die Obama-Ad­mi­nis­tra­ti­on plane, Ele­men­te des dua­len Bil­dungs­sys­tems in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu über­neh­men. Ei­ni­ges spricht dafür, denn nach dem Be­such der ame­ri­ka­ni­schen De­le­ga­ti­on ent­stand eine Stu­die mit dem Titel «Gold Stan­dard: The Swiss Vo­ca­tio­nal Edu­ca­ti­on and Trai­ning Sys­tem», die die Vor­zü­ge des hie­si­gen Sys­tems her­aus­hebt und die hier ein­ge­se­hen wer­den kann.


Ge­schäfts­füh­rer Ingo Frit­schi in einer der Aus­bil­dungs­werk­stät­ten.

Dunk­le Wol­ken am Ho­ri­zont
Im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich kann sich die von libs ver­folg­te Stra­te­gie also durch­aus sehen las­sen. Für Ingo Frit­schi An­sporn genug, den Sta­tus quo nicht nur zu ver­tei­di­gen – dem wi­der­strebt nicht zu­letzt das Ideal des sich stän­dig wei­ter­ent­wi­ckeln­den «Le­bens­un­ter­neh­mers» –, son­dern zu ver­bes­sern. Denn die Schweiz steht vor zahl­rei­chen Her­aus­for­de­run­gen. Dazu zählt neben den Aus­wir­kun­gen der «Mas­sen­ein­wan­de­rungs­in­itia­ti­ve» ins­be­son­de­re auch der star­ke Fran­ken.

Frit­schi be­ob­ach­tet beide Ent­wick­lun­gen mit Sorge, be­tont al­ler­dings immer wie­der, dass es sei­ner Mei­nung nach einen fun­da­men­ta­len Un­ter­schied zwi­schen bei­den Pro­ble­men gebe: Die von der Auf­ga­be des Euro-Min­dest­kur­ses her­vor­ge­ru­fe­ne Fran­ken­stär­ke sei von vie­len äus­se­ren und in­ne­ren Fak­to­ren ab­hän­gig ge­we­sen, die man nur sehr be­schränkt hätte be­ein­flus­sen kön­nen. Der star­ke Fran­ken ge­gen­über dem Euro ist für den Ex­port na­tür­lich ein sehr gros­ses Pro­blem – würde er schwä­cher, würde das der MEM-Bran­che sehr hel­fen.

Weit nach­denk­li­cher fällt seine Ant­wort auf die Frage aus, wie er die in Aus­sicht ste­hen­den Zu­wan­de­rungs­be­schrän­kun­gen be­wer­te. «Hier ist die Bit­ter­keit eine an­de­re, weil wir uns das selbst ein­ge­brockt haben. Ich habe die Schwei­zer In­dus­trie in mei­nen exakt 40 Be­rufs­jah­ren bis anhin als welt­of­fe­ne Ge­sell­schaft, die von Spe­zia­lis­tin­nen und Spe­zia­lis­ten aus dem Aus­land er­gänzt und zu etwas Fei­nem kom­plet­tiert wird, er­lebt. Das sind teil­wei­se Spe­zia­lis­ten, die un­mög­lich in der Schweiz zu fin­den sind: Wenn Sie der ein­zi­ge Gas­tur­bi­nen­her­stel­ler oder der ein­zi­ge Leis­tungs­halb­lei­ter­her­stel­ler der Schweiz sind, kön­nen diese Leute mit Ar­beits­er­fah­rung in die­sen Ge­bie­ten, die Sie zu­sätz­lich in Ihren Teams brau­chen, eben nur aus dem Aus­land kom­men.» Die Hoff­nung, dass man den Fach­kräf­te­man­gel nur über den Aus­bau der dua­len Bil­dung min­dern könne, hält Frit­schi für il­lu­so­risch.



Den Blick nach vorne ge­rich­tet
Um diese Här­ten best­mög­lich ab­zu­fe­dern, rich­tet man bei libs den Blick kon­se­quent nach vorn und kon­zen­triert sich auf die Ar­beit. Ein be­son­de­res An­lie­gen ist es dem Aus­bil­dungs­ver­bund, die Fas­zi­na­ti­on für Tech­nik schon bei den Jüngs­ten zu we­cken. So etwa durch Schul­be­su­che mit einem Ro­bo­ter, der ei­gens dafür von den Be­rufs­ler­nen­den ent­wi­ckelt und ge­baut wurde. Auch Road­shows, die Wan­der­aus­stel­lung «Ach­tung, Tech­nik, Los» und die «Tech Days for Teachers» ge­hö­ren zum Re­per­toire. «Heute sind die jun­gen Men­schen stän­dig von neuen Tech­no­lo­gi­en um­ge­ben und nut­zen mo­der­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel meist schon im Kin­des­al­ter. Doch nur die we­nigs­ten sind neu­gie­rig dar­auf zu ver­ste­hen, was sich hin­ter der Ober­flä­che tut – das wol­len wir än­dern», um­reisst Frit­schi den Grund sei­nes An­sporns.

Ein Bei­spiel dafür, dass auch libs sich stän­dig neu er­fin­den muss, ist «JU­FAST». Die­ses Schu­lungs­pro­gramm ist ein Re­sul­tat ei­ge­ner In­no­va­ti­ons­kraft und ver­än­der­ter An­for­de­run­gen sei­tens der Mit­glie­der aus der MEM-Wirt­schaft. Dort fan­den die Ver­fech­ter der so­ge­nann­ten «Noble-Parts-Stra­te­gie» in den ver­gan­ge­nen Jah­ren mehr und mehr Gehör. Sie emp­feh­len, dass sich Schwei­zer Be­trie­be an­ge­sichts der auf­kom­men­den Kon­kur­renz aus güns­ti­ger pro­du­zie­ren­den Schwel­len­län­dern wie China oder In­di­en zu­neh­mend auf die Ver­ede­lung von Pro­duk­ten und Dienst­leis­tun­gen – also auf die höchs­ten Stu­fen der Wert­schöp­fungs­ket­te – fo­kus­sie­ren soll­ten. Das «JU­FAST»-Pro­gramm zielt somit dar­auf ab, viel­ver­spre­chen­de Ta­len­te schon wäh­rend der in­dus­tri­el­len Aus­bil­dung auf ver­ant­wor­tungs­vol­le Tä­tig­kei­ten in Ma­nage­ment- und Lei­tungs­po­si­tio­nen hin zu trai­nie­ren.



«JU­FAST»-Un­ter­richt für die Füh­rungs­kräf­te von mor­gen
Allen ak­tu­el­len Her­aus­for­de­run­gen zum Trotz: Ingo Frit­schi ist über­zeugt davon, dass eine gut aus­ge­bil­de­te Ge­ne­ra­ti­on her­an­wächst, die es der Schwei­zer In­dus­trie er­mög­li­chen wird, auch wei­ter­hin auf Er­folgs­kurs zu blei­ben. Denn die Be­din­gun­gen für Aus­bil­dung, For­schung und Ent­wick­lung seien hier­zu­lan­de sehr gut. «Sehen Sie die­ses Ge­bäu­de dort», sagt er un­ver­mit­telt. «Dort wer­den Tur­bo­la­der für rie­si­ge Con­tai­ner­frach­ter und Öl­tan­ker kon­zi­piert und ge­baut. Warum ge­schieht dies hier im Aar­gau, im Bin­nen­land Schweiz, und nicht in ir­gend­ei­ner am Mit­tel­meer oder an der Nord­see ge­le­ge­nen Ha­fen­stadt mit Werft?» Frit­schi lie­fert die Ant­wort gleich mit. «Weil an die­sem Ort Er­fin­dungs­geist, Neu­gier­de, un­ter­neh­me­ri­scher Mut und eine star­ke Aus­bil­dungs­kul­tur Jahr­zehn­te hin­weg zu­sam­men­ka­men und vor­züg­li­che Be­din­gun­gen schu­fen.»