wald in glaskugel

Bio­di­ver­si­täts­kon­fe­renz: ​Ein mul­ti­la­te­ra­ler Me­cha­nis­mus, der kei­ner ist​

Das Wich­tigs­te in Kürze:​​

  • Die dies­jäh­ri­ge Bio­di­ver­si­täts-Kon­fe­renz (COP-16) brach­te kaum Er­geb­nis­se, viele reis­ten früh­zei­tig ab. Als schein­ba­rer Er­folg bleibt der neue «Cali-Fonds» für die Ge­winn­auf­tei­lung von Un­ter­neh­men, die Gen­se­quenz­da­ten nut­zen.
  • ​Die Wirt­schaft ist an einem rechts­si­che­ren mul­ti­la­te­ra­len Me­cha­nis­mus in­ter­es­siert, doch der ak­tu­el­le Vor­schlag einer frei­wil­li­gen Ge­winn- oder Um­satz­steu­er ist un­rea­lis­tisch und könn­te mehr Kos­ten als Nut­zen schaf­fen.
  • ​Nun sind durch­dach­te Lö­sun­gen not­wen­dig, um Eu­ro­pas For­schungs- und In­no­va­ti­ons­stand­ort nicht zu ge­fähr­den und gleich­zei­tig Mit­tel für den Fonds zu ge­ne­rie­ren​.

​​Die Ge­winn­auf­tei­lung bei der Nut­zung ge­ne­ti­scher Res­sour­cen ist ein wenig be­ach­te­tes Thema. Staa­ten haben seit 1992 das Recht, über die Nut­zung der Bio­di­ver­si­tät zu ent­schei­den. Das 2014 in Kraft ge­tre­te­ne Na­go­ya-Pro­to­koll re­gelt die ge­rech­te Ver­tei­lung der Ge­win­ne, etwa bei der Nut­zung von Heil­pflan­zen für Me­di­ka­men­te. Viele die­ser Res­sour­cen be­fin­den sich in Ent­wick­lungs­län­dern, die daher An­sprü­che auf eine fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung stel­len. Doch das Ab­kom­men er­füllt weder die Er­war­tun­gen der Ent­wick­lungs­län­der noch der Un­ter­neh­men: Ent­wick­lungs­län­der kri­ti­sie­ren zu ge­rin­ge Zah­lun­gen, wäh­rend Fir­men die bü­ro­kra­ti­schen Hür­den be­män­geln. Die Di­gi­ta­li­sie­rung ver­schärft das Pro­blem, da di­gi­ta­le Gen­se­quenz­da­ten (DSI) nicht er­fasst sind. Seit der COP-13 wird über deren Ein­be­zug dis­ku­tiert, wobei die Schweiz eine klare De­fi­ni­ti­on for­dert. Als Kom­pro­miss wurde an der COP-15 ein neuer mul­ti­la­te­ra­ler Me­cha­nis­mus (MLM) be­schlos­sen, der Ef­fi­zi­enz, Rechts­si­cher­heit und of­fe­ne Da­ten­zu­gän­ge ge­währ­leis­ten soll. Gleich­zei­tig hat sich die Er­war­tungs­hal­tung von den ur­sprüng­li­chen bio­di­ver­si­täts­schüt­zen­den Zie­len in Rich­tung ent­wick­lungs­po­li­ti­schen In­stru­men­ten ver­la­gert.

​​Was sind «Di­gi­ta­le Se­quenz­in­for­ma­tio­nen» (DSI) von ge­ne­ti­schen Res­sour­cen?
Der Be­griff «DSI» wird weder in der Wis­sen­schaft noch kom­mer­zi­ell ge­nutzt. Er wurde im Rah­men der Bio­di­ver­si­täts­kon­ven­ti­on ein­ge­führt, um Zah­lungs­an­sprü­che bei der Nut­zung di­gi­ta­li­sier­ter ge­ne­ti­scher Res­sour­cen wie von Pflan­zen, Tie­ren oder Mi­kro­or­ga­nis­men ab­zu­lei­ten. DSI er­mög­licht den Zu­gang zu ge­ne­ti­schen In­for­ma­tio­nen ohne phy­si­sche Pro­ben, wo­durch Rei­sen zum Ur­sprungs­land ent­fal­len, wenn die Daten in of­fe­nen Da­ten­ban­ken ver­füg­bar sind. DSI ist je­doch keine Res­sour­ce, son­dern ein For­schungs­werk­zeug, das somit keine klare Zu­ord­nung von Ver­kaufs­er­lö­sen aus der Nut­zung ge­ne­ti­scher Res­sour­cen er­laubt – ähn­lich wie bei der Nut­zung aka­de­mi­scher Da­ten­ban­ken wie JSTOR. DSI wird in vie­len In­dus­tri­en wie der Bio­tech­no­lo­gie, Phar­ma­zie oder Land­wirt­schaft ge­nutzt, um neue Pro­duk­te wie Me­di­ka­men­te oder En­zy­me zu ent­wi­ckeln. Zum Bei­spiel wird DSI bei der Her­stel­lung des Vit­amin B2 ein­ge­setzt. Es ist ein wich­ti­ges Werk­zeug zur Ana­ly­se ge­ne­ti­scher Ei­gen­schaf­ten und Ent­wick­lung in­no­va­ti­ver Lö­sun­gen. Mit der Di­gi­ta­li­sie­rung und KI wächst der Nut­zer­kreis von DSI, auch un­ab­hän­gig von phy­si­schen Res­sour­cen. ​

Wirt­schaft be­tei­ligt sich an der Lö­sungs­fin­dung

An der COP-16 soll­ten die Mo­da­li­tä­ten des mul­ti­la­te­ra­len Me­cha­nis­mus fest­ge­legt wer­den. Die Wirt­schaft brach­te in den zwei Jah­ren zwi­schen COP-15 und 16 kon­kre­te Vor­schlä­ge ein. Der mul­ti­la­te­ra­le An­satz ist wich­tig für Schwei­zer Bran­chen, von denen kon­kre­te Lö­sun­gen zu­guns­ten Bio­di­ver­si­tät, Ge­sund­heit, Er­näh­rung und Kli­ma­schutz er­war­tet wer­den und die dafür ein­fa­chen Zu­gang zu bio­lo­gi­schen Res­sour­cen be­nö­ti­gen. Von An­fang an streb­te die In­dus­trie einen ganz­heit­li­chen An­satz an, der so­wohl phy­si­sche bio­lo­gi­sche Ma­te­ria­li­en als auch di­gi­ta­le Se­quenz­da­ten um­fasst, da diese un­trenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Die COP-16 bot die Chan­ce, einen prak­ti­ka­blen Me­cha­nis­mus zu ent­wi­ckeln, der Rechts­si­cher­heit bie­tet, Trans­ak­ti­ons- und Com­p­li­an­ce-Kos­ten senkt und Un­ter­neh­men An­rei­ze bie­tet. Dabei streb­te die Wirt­schaft ein Sys­tem an, das in­ter­na­tio­na­le Re­ge­lun­gen zur Nut­zung ge­ne­ti­scher Res­sour­cen und Bio­di­ver­si­tät ver­eint und trotz sei­nes (als COP-Be­schluss recht­lich un­ver­bind­li­chen Cha­rak­ters) eine uni­ver­sel­le Lö­sung bie­tet.

Ein mul­ti­la­te­ra­ler Me­cha­nis­mus mit Schwä­chen

Auf­grund stark di­ver­gie­ren­der Po­si­tio­nen und des Zeit­drucks konn­ten diese ziel­füh­ren­den Vor­schlä­ge an der COP-16 nicht de­tail­liert be­ra­ten wer­den. Statt­des­sen ent­schied man sich für einen Top-Down-An­satz, der von den Ent­wick­lungs­län­dern ge­for­dert und von ge­wis­sen eu­ro­päi­schen Staa­ten un­ter­stützt wurde, um schnel­le Er­geb­nis­se zu er­zie­len und die Fi­nanz­mit­tel rasch be­reit­zu­stel­len. Der neue Me­cha­nis­mus sieht vor, dass be­stimm­te Sek­to­ren – die ne­ben­bei will­kür­lich fest­ge­legt wur­den – frei­wil­lig 0.1% ihres Um­sat­zes oder 1% ihres Ge­winns in den neu ge­schaf­fe­nen Cali-Fonds ein­zah­len. Kos­ten, die am Schluss wohl der Ver­brau­cher mit­tra­gen muss. ​Das Di­lem­ma: Die An­rei­ze für Un­ter­neh­men sich frei­wil­lig zu be­tei­li­gen sind viel zu ge­ring, der Um­fang teil­neh­men­der Sek­to­ren zu klein und bie­tet zu viele Aus­nah­men, um ein funk­tio­nie­ren­des Sys­tem zu schaf­fen. Statt kla­rer Ver­pflich­tun­gen droht eine frag­men­tier­te Um­set­zung in den ein­zel­nen Staa­ten, die vor allem in Eu­ro­pa für hohe Zu­satz­be­las­tun­gen sor­gen könn­te – ein glo­ba­les Wett­be­werbs­ri­si­ko, zumal die USA die Bio­di­ver­si­täts­kon­ven­ti­on nicht ra­ti­fi­ziert haben und China, In­di­en und Bra­si­li­en sich als Emp­fän­ger­län­der po­si­tio­nie­ren. Für Un­ter­neh­men in For­schung und Ent­wick­lung ist die vor­ge­schla­ge­ne Ab­ga­be eine fak­ti­sche Steu­er ohne Ge­gen­wert. Ein Par­al­lel­sys­tem ohne klare Ab­gren­zung oder In­te­gra­ti­on na­tio­na­ler Ver­pflich­tun­gen und an­de­ren in­ter­na­tio­na­len Ab­gel­tungs­me­cha­nis­men führt zu fi­nan­zi­el­ler Dop­pel­be­las­tung, die vor allem preis­re­gu­lier­te Bran­chen trifft. Die for­schen­de In­dus­trie in Eu­ro­pa wird aktiv aus­ge­bremst.

Was es jetzt braucht:

Ein funk­tio­nie­ren­der mul­ti­la­te­ra­ler Me­cha­nis­mus ist ent­schei­dend, um die Ab­gel­tung für die Nut­zung von Bio­di­ver­si­tät ge­recht zu ge­stal­ten und die Kos­ten fair zu ver­tei­len. Dafür sind fol­gen­de Schrit­te not­wen­dig:

  1. Klare Re­geln: Ein­deu­ti­ge Vor­ga­ben mi­ni­mie­ren In­ter­pre­ta­ti­ons­spiel­räu­me. Bei­trags­pflich­ti­ge Nut­zer und mög­li­che Aus­nah­men müs­sen klar de­fi­niert sein, um einen fai­ren Wett­be­werb zu ge­währ­leis­ten.
  2. In­ter­na­tio­na­le Ko­or­di­na­ti­on und glo­ba­le Har­mo­ni­sie­rung: Ein­heit­li­che Ver­pflich­tun­gen schaf­fen glei­che Be­din­gun­gen welt­weit und ma­xi­mie­ren die Un­ter­neh­mens­be­tei­li­gung.
  3. An­rei­ze für Un­ter­neh­men: Wich­ti­ge An­rei­ze sind der Ein­be­zug phy­si­scher ge­ne­ti­scher Res­sour­cen und die Ver­mei­dung von Dop­pel­zah­lun­gen. Zudem müs­sen Ver­wal­tungs­kos­ten nied­rig und die Mit­tel ef­fek­tiv ein­ge­setzt wer­den, um eine brei­te­re Un­ter­stüt­zung zu er­rei­chen.
  4. Schritt­wei­se Ska­lie­rung: Ein ein­fa­cher Start des Me­cha­nis­mus, be­glei­tet von um­fas­sen­den Wir­kungs­ana­ly­sen, ist sinn­vol­ler, als ein kom­ple­xes Sys­tem ein­zu­füh­ren und spä­ter zu ver­ein­fa­chen. ​