Rechner und Stetoskop

Die wahren Gründe für deutlich steigende Krankenkassenprämien

Letzte Woche hat Bundesrat Alain Berset die neuen Grundversicherungsprämien verkündet. Im Durchschnitt stiegen die Kosten über die letzten 15 Jahre um 2,6 Prozent. Das ist weniger als allgemein bekannt und sehr viel weniger als dieses Jahr. Mit Ausgaben für die Prämien pro Haushalt von durchschnittlich 7 Prozent (Sparbetrag ist 12,9 Prozent) können wir uns die Prämien zudem mehrheitlich leisten. Trotzdem: Die Kosten sind hoch, und sie wachsen schneller als die Bildungs- und Sozialausgaben. Wieso ist das so?

Nach dem angekündigten Prämiensprung haben gesundheitspolitische Forderungen wieder Hochkonjunktur – aber auch einfache Erklärungen für das Kostenwachstum. Häufig werden die Medikamente, die Krankenkassen und die Demographie als Hauptursachen genannt. Doch die Medikamentenkosten und die Verwaltungskosten der Kassen wachsen nicht stärker bzw. schwächer als die anderen Kosten. Sie können also keine Hauptursache fürs Kostenwachstum sein. Der Einfluss der Demographie betrug gemäss santésuisse ein Fünftel des Kostenwachstums von 2012 bis 2017. Für 80 Prozent der Kostensteigerungen gibt es also andere Gründe:

1. Der medizinische Fortschritt

In anderen Bereichen sind technische Entwicklungen kostensparend, warum gilt das hier nicht? Die Medizin ist dem Ertragsgesetz stärker ausgesetzt als andere Branchen. Sie dreht sich oft um die gleichen Krankheiten. Die leicht und billig zu lösenden Probleme sind weitgehend ausgeschöpft. Deshalb braucht es Fortschritte bei den komplexen Krankheiten – beispielsweise Krebs – die jedoch immer teurer werden. Um medizinische Fortschritte zu erzielen, müssen mehr Mittel eingesetzt werden.

2. Drittzahlerproblematik

Ein weiterer Grund ist die sogenannte Drittzahlerproblematik. Bei Krankheiten zahlt meistens ein Versicherer und nicht direkt der Patient. Dieser hat deshalb keinen grossen Anreiz, Kosten zu sparen. Kostensparende technische Innovationen können sich so kaum durchsetzen.

3. Die Baumol’sche Krankheit

Das Gesundheitswesen ist personalintensiv. Solche Branchen leiden unter der sogenannten «Baumol’schen Kostenkrankheit»: Die steigende Arbeitsproduktivität in Sektoren, in denen Maschinen menschliche Arbeit ersetzen, hebt das Lohnniveau. Doch steigen dadurch auch die Löhne in personalintensiven Branchen, denn sonst bekommen sie keine Arbeitskräfte. Der Effekt gestiegener Löhne dürfte ähnlich hoch sein wie jener der Demographie.

4. Wohlstand

Ein gewichtiger Faktor für die Kostenentwicklung ist zudem der Wohlstand. Der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Ausgaben im Gesundheitswesen ist mehrfach belegt. Wenn die Menschen gesättigt sind mit Essen, Kleidern, Wohnen und anderen Gütern, dann fehlt ihnen meist nur noch eine gute Gesundheit.

5. Sisyphus-Effekt

Jede erfolgreiche Therapie gewährt uns einen Aufschub bis zur nächsten Therapie. Behandlungserfolge haben somit künftige Kosten zur Folge. Auch ein bestens funktionierendes Gesundheitswesen kann deshalb steigende Kosten aufweisen. Es ist kein Wunder, dass dies auf die wohlhabende Schweiz zutrifft.

6. Politik als Kostenfaktor

Die Politik ist zuständig für die Finanzierungsaufteilung, die administrativen Anforderungen an eine Leistung und die Grundlagen für eine erfolgreiche Digitalisierung. Bei der Finanzierung hat die Politik seit 2004 die Kostenbeteiligung nicht mehr angepasst. Damit hat sie die Drittzahlerproblematik verschärft. Bei der Digitalisierung hat sie die Entwicklung verschlafen. Dafür hat sie an anderer Stelle fleissig reguliert: 39 KVG-Reformen und das neue Aufsichtsgesetz (KVAG), sowie über 150 Verordnungsänderungen sind auf Initiativen, Motionen und Postulate zurückzuführen. Dies blieb nicht ohne Folgen für den administrativen Aufwand. Gemäss einer repräsentativen Befragung des Ärzteverbands FMH muss die Spitalärzteschaft heute 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für Administratives aufwenden. Neun Jahre zuvor waren es noch 15 Prozent.

Fazit

Die grossen Trendfaktoren wie die Demographie sind kaum beeinflussbar. Zwar könnte die Politik mit einer guten Regulierungspraxis das Kostenwachstum dämpfen. Doch ihr «Kostenröhrenblick» hat in den letzten Jahren nur mehr administrativen Aufwand gebracht. Wir sollten uns eingestehen, dass es einen Paradigmenwechsel braucht.