Die Wirtschaft braucht mehr Frauen
Das heutige System der Ehepaarbesteuerung führt zu negativen Arbeitsanreizen, vor allem bei verheirateten, gut ausgebildeten Frauen. Ein Wechsel zur Individualbesteuerung wäre ein wichtiger Schritt, um Frauen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren und so das Angebot an qualifizierten Fachkräften zu erhöhen.
Eine Hochzeit ist ein romantischer Anlass. Zwei Menschen versprechen einander, den Rest ihres Lebens miteinander zu verbringen. Viele Brautpaare feiern mit Familie und Freundeskreis, im In- und Ausland, im Beisein von Beamtinnen oder Geistlichen. Sehr rasch unromantisch wird es allerdings, wenn man merkt, dass auch die Steuerbehörde ein Stück vom Kuchen haben will – und zwar ein grösseres als bisher.
Worum geht es? Ehepaare werden heute beim Bund und in allen Kantonen gemeinsam veranlagt und in der Regel progressiv besteuert. Das führt dazu, dass für das zweite Einkommen höhere Steuersätze gelten. Entsprechend ist die Steuerrechnung für Ehepaare ab einem gewissen Einkommen höher als für nicht verheiratete Paare. Weil durch diese sogenannte Heiratsstrafe das Haushaltseinkommen sinkt, sinkt auch die Motivation zu arbeiten. Und hier will ich ansetzen: Viele Schweizer Unternehmen suchen verzweifelt qualifizierte Fachkräfte. Erstmals gibt es mehr offene Stellen als Arbeitslose! Warum also um Himmels Willen sollen wir uns noch länger ein Steuersystem leisten, das negative Arbeitsanreize schafft?
Unser Steuersystem bestraft aber nicht nur Romantikerinnen und Romantiker: In 90 Prozent der Fälle generiert die Frau das Zweiteinkommen, das höher besteuert wird. Das bestehende Steuersystem setzt also für verheiratete Frauen den Anreiz, nicht oder nur in tiefen Pensen erwerbstätig zu sein. Gleichstellung zu erreichen, ist schon schwer genug. Müssen wir auch noch ein System aufrechterhalten, das im Resultat zu Geschlechterdiskriminierung führt? Für mich ist klar: auf keinen Fall!
Dass heute 80 Prozent der Mütter arbeitstätig sind, ist ein grosser Erfolg für unsere Gesellschaft. Vor 30 Jahren waren es erst 60 Prozent. Dies muss auch unser Steuersystem berücksichtigen. Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung bereits an die neuen Lebensrealitäten angepasst und den Anspruch auf Unterhalt im Scheidungsfall deutlich eingeschränkt. Das staatlich geförderte Familienmodell heisst also: verheiratete Frauen sollen nicht arbeiten, geschiedene Frauen schon. Dieser Fokus auf den Zivilstand der Frau ist verstaubt und patriarchalisch.
Ein modernes, zukunftsorientiertes Steuersystem sollte die Gleichstellung fördern und zivilstandsneutral sein. Es sollte zudem Anreize setzen, sich am wirtschaftlichen Leben zu beteiligen und unsere Wirtschaft zu stärken. Das Steuersystem sollte nicht ausschlaggebend sein für den privaten Entscheid, zu heiraten oder nicht.
Sie sehen, ich möchte mich von der gemeinsamen Besteuerung verabschieden. Wir leben in einer individualistischen und diversen Gesellschaft, daher scheint für mich nur die Besteuerung auf individueller Ebene sinnvoll. Damit würde die Heiratsstrafe abgeschafft, was vor allem die Besteuerung der Zweiteinkommen und entsprechend die Arbeitsanreize von verheirateten Frauen betrifft. Gemäss einer Studie des Beratungsunternehmens Ecoplan könnte mit der Individualbesteuerung das Fachkräftepotenzial auf bis zu 60'000 Vollzeitstellen erhöht werden. Die Studie zeigt auch, dass sich die Arbeitsanreize vor allem für gut ausgebildete Personen verbessern würden. Es wäre für alle ein Gewinn, wenn wir diese Fachkräfte wieder in den Arbeitsmarkt bringen könnten.
Ich freue mich, dass die FDP-Frauen mit ihrer Initiative diese überfällige Diskussion angestossen haben. Natürlich ist die konkrete Ausgestaltung im Moment noch unklar und wir werden die Kosten einer Systemanpassung im Auge behalten müssen. Die geltende Ehepaarbesteuerung ist aber im Ergebnis in vielerlei Hinsicht diskriminierend. Sie ist nicht mehr zeitgemäss und muss angepasst werden!