Justitia

Sam­mel­kla­gen: Be­währ­te In­stru­men­te statt Kom­mer­zia­li­sie­rung

Der Bun­des­rat hat im De­zem­ber 2021 die Bot­schaft zur Ein­füh­rung von Sam­mel­kla­gen in unser Rechts­sys­tem ver­ab­schie­det. Er will die be­ste­hen­de Ver­bands­kla­ge zur Gel­tend­ma­chung von Er­satz­an­sprü­chen aus­bau­en sowie kol­lek­ti­ve Ver­glei­che zu­las­ten des Wirt­schafts­stand­orts Schweiz er­mög­li­chen. Diese Ein­füh­rung von Sam­mel­kla­gen käme einem pro­zes­sua­len Pa­ra­dig­men­wech­sel gleich und wäre für uns alle aus meh­re­ren Grün­den äus­serst schäd­lich. Ins­be­son­de­re muss allen klar sein, dass Sam­mel­kla­gen nicht kos­ten­los zu haben sind und die Waren und Dienst­leis­tun­gen in der Schweiz da­durch teu­rer wer­den.

Der­zeit be­steht kein Hand­lungs­be­darf, miss­brauchs­an­fäl­li­ge Sam­mel­kla­gen in unser Rechts­sys­tem ein­zu­füh­ren und damit einen recht­li­chen Pa­ra­dig­men­wech­sel zu be­wir­ken. Unser Land kennt ein sehr gut aus­ge­bau­tes Om­buds­sys­tem. Die­ses er­mög­licht Strei­tig­kei­ten pro­fes­sio­nell und kos­ten­güns­tig zu re­geln. Die Om­buds­per­so­nen in der Schweiz de­cken zahl­rei­che Bran­chen ab und er­mög­li­chen es den Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten schnell, in der Regel kos­ten­los und ein­fach zu ihrem Recht zu kom­men. Sie müs­sen hier­zu nicht vor ein staat­li­ches Ge­richt. Sol­che al­ter­na­ti­ven Streit­bei­le­gungs­me­cha­nis­men füh­ren die Par­tei­en wie­der zu­sam­men, ver­mei­den eine Kul­tur des klein­li­chen Strei­tes, be­rei­chern keine Ver­tre­ter und ber­gen damit auch nicht die Ge­fahr der Kom­mer­zia­li­sie­rung des Rechts.

Kein «ein­fa­cher» Zu­gang zur Ge­rech­tig­keit

Statt nun in unser funk­tio­nie­ren­des Rechts­sys­tem neue, un­er­prob­te In­stru­men­te ein­zu­bau­en, gilt es viel­mehr ab­zu­war­ten, was die noch an­dau­ern­de Re­vi­si­on der Zi­vil­pro­zess­ord­nung für Ver­bes­se­run­gen brin­gen wird. Ge­ra­de Fach­leu­te wis­sen aus der täg­li­chen Er­fah­rung mit Ge­richts­strei­tig­kei­ten, dass der ver­ein­fach­te «Zu­gang zu den Ge­rich­ten» nicht au­to­ma­tisch auch «Zu­gang zur Ge­rech­tig­keit» be­deu­tet. An­ge­sichts des un­be­strit­te­nen Miss­brauch­s­po­ten­zi­als von Sam­mel­kla­gen ge­bie­tet es die Sorg­falt, zu­erst se­ri­ös al­ter­na­ti­ve Streit­bei­le­gungs­me­cha­nis­men zu prü­fen. Eine Kla­ge­wel­le nach ame­ri­ka­ni­schem Mus­ter will hier nie­mand. Das Ri­si­ko ist aber im­mens und al­lei­ne schon die Tat­sa­che, dass die Kan­to­ne künf­tig ein öf­fent­li­ches elek­tro­ni­sches Sam­mel­kla­gen­ver­zeich­nis zu füh­ren haben zeigt, wel­che Kla­ge­flu­ten man zu­las­ten und auf Kos­ten der Bür­ger in Kauf zu neh­men ge­willt scheint.

Durch die Ein­füh­rung von Sam­mel­kla­gen ins schwei­ze­ri­sche Rechts­sys­tem wür­den alle Un­ter­neh­men ins Vi­sier ge­nom­men und sähen sich mas­si­ven Haf­tungs­ri­si­ken ge­gen­über. Die dar­aus re­sul­tie­ren­den gra­vie­ren­den Nach­tei­le, wie die ge­ne­rel­le Er­hö­hung der Prei­se und das Miss­brauch­s­po­ten­zi­al zu­las­ten aller un­se­rer Un­ter­neh­men, wären für unser Wirt­schafts­sys­tem und unser Er­folgs­mo­dell Schweiz gra­vie­rend.

Zum Thema der Prä­fe­renz al­ter­na­ti­ver Kon­flikt­lö­sungs­we­ge, die weit mehr Fair­ness als Ge­richts­pro­zes­se ge­währ­leis­ten, er­schien in der «NZZ» vom 14. Fe­bru­ar 2022 ein le­sens­wer­ter Gast­bei­trag von Ueli Vogel-Eti­en­ne, Rechts­an­walt und Me­dia­tor.