Be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men: Die Geis­ter sind nicht tot­zu­krie­gen

Das Schwei­zer Stimm­volk hat 2016 die Idee eines be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­mens mit 78 Pro­zent Nein-Stim­men deut­lich ver­wor­fen. Mit sehr guten Grün­den. Ein Grund­ein­kom­men, das in der Schweiz allen die Exis­tenz si­chert, wäre ex­trem teuer und hätte mas­si­ve Steu­er­er­hö­hun­gen zur Folge, die die At­trak­ti­vi­tät der Schweiz als Wirt­schafts­stand­ort un­ter­gra­ben wür­den. Trotz­dem geis­tert die Idee wei­ter in ei­ni­gen Köp­fen herum. Einer So­zi­aluto­pie ist mit ra­tio­na­len Ar­gu­men­ten schwie­rig bei­zu­kom­men.

Die In­iti­an­ten haben 2016 ein Grund­ein­kom­men von mo­nat­lich 2500 Fran­ken für Er­wach­se­ne und 625 Fran­ken für Kin­der vor­ge­schla­gen. Un­se­re da­ma­li­gen Be­rech­nun­gen er­ga­ben, dass die Mehr­wert­steu­er auf über 50 Pro­zent an­ge­ho­ben wer­den müss­te, um diese zu­sätz­li­chen Staats­aus­ga­ben fi­nan­zie­ren zu kön­nen. An­de­re Un­ter­su­chun­gen sind zu einem ähn­li­chen Er­geb­nis ge­kom­men.

Doch so klar die Sach­la­ge auch ist – die so­zia­le Uto­pie wird von ei­ni­gen Köp­fen un­ver­dros­sen wei­ter pro­pa­giert. Co­ro­na und die prä­ze­denz­lo­sen staat­li­chen Un­ter­stüt­zungs­leis­tun­gen für Kurz­ar­beit, Kul­tur, Sport und Selbst­stän­di­ger­wer­ben­de ver­ne­beln wohl den Blick. Auf der einen Seite wird die Idee un­ter­stützt von Li­ber­tä­ren, die sich von einem Grund­ein­kom­men er­hof­fen, dass die kom­pli­zier­te So­zial­in­dus­trie damit ab­ge­schafft wer­den kann. Sie grei­fen dabei auf die Idee von Mil­ton Fried­man aus den 1960er-Jah­ren zu­rück, der eine so­ge­nann­te «ne­ga­ti­ve Ein­kom­mens­steu­er» vor­schlug. Auf der an­de­ren Seite ge­niesst die Idee auch den Sup­port von Lin­ken, die auf die­sem Weg die Um­ver­tei­lung aus­deh­nen wol­len. Wäh­rend also die einen den Staat mit­tels Grund­ein­kom­men ver­schlan­ken wol­len, zie­len die an­de­ren dar­auf ab, den Staats­ein­fluss auf­zu­blä­hen.

Die Sach­la­ge ist ziem­lich sim­pel: Je höher das Grund­ein­kom­men, desto stär­ker müs­sen die Steu­ern stei­gen und desto grös­ser sind die volks­wirt­schaft­li­chen Kos­ten. Je tie­fer das Grund­ein­kom­men an­ge­setzt wird, desto we­ni­ger kann es exis­tie­ren­de So­zi­al­wer­ke ab­lö­sen. Oder an­ders aus­ge­drückt: Je nach Um­set­zung sind ent­we­der die Lin­ken oder die Li­ber­tä­ren un­zu­frie­den. Es gibt kein fi­nan­zier­ba­res Grund­ein­kom­men, wel­ches das heu­ti­ge Un­ter­stüt­zungs­ni­veau in der Schweiz für Be­dürf­ti­ge in Form von Er­gän­zungs­leis­tun­gen, IV-Un­ter­stüt­zun­gen, Ar­beits­lo­sen­ent­schä­di­gun­gen usw. auf­recht­er­hal­ten kann. Wenn man trotz­dem alle So­zi­al­leis­tun­gen ab­schaf­fen würde, gäbe es un­ge­heu­er­li­che Un­ge­rech­tig­kei­ten: Wäh­rend ein Stu­dent aus gutem Haus am Zü­ri­berg mit 2500 Fran­ken auf Kos­ten der All­ge­mein­heit gut leben kann, würde eine be­hin­der­te Per­son damit nicht über die Run­den kom­men.

Doch es geht wohl gar nicht um ra­tio­na­le Ar­gu­men­te, son­dern um die Lust an der Uto­pie. Denn um Uto­pi­en han­delt es sich bei bei­den Sicht­wei­sen: beim Nacht­wächt­er­staat, der sich mit­hil­fe des Grund­ein­kom­mens von allen an­de­ren Ver­pflich­tun­gen ge­gen­über den Bür­gern zu­rück­zie­hen kann, aber auch beim Traum vom neuen Men­schen, der sich ver­wirk­li­chen kann, weil er vom Zwang zur Ar­beit be­freit wird.

Uto­pi­en sind keine neue Er­fin­dung: Be­reits 1516 ver­öf­fent­lich­te Tho­mas Morus sei­nen Roman «Uto­pia». Zu Zei­ten bit­te­rer Armut in wei­ten Be­völ­ke­rungs­krei­sen be­schrieb er eine glück­li­che In­sel­ge­sell­schaft ohne Pri­vat­ei­gen­tum und frei­em Zu­gang zu Nah­rung und Ge­sund­heits­leis­tun­gen (al­ler­dings be­stand auf der Insel Ar­beits­pflicht). Auch Karl Marx streb­te eine ganz be­son­de­re Ge­sell­schafts­form an, die herr­schafts­frei und klas­sen­los sein soll­te. Der Kom­mu­nis­mus soll­te eine dau­er­haft so­zi­al ge­rech­te und freie Zu­kunfts­ge­sell­schaft er­mög­li­chen.

Uto­pi­en sind nicht tot­zu­krie­gen, weil sie nicht mit ra­tio­na­len Ar­gu­men­ten ent­kräf­tet wer­den kön­nen. Die Dis­kus­si­on wird auf einer an­de­ren Ebene ge­führt. In ihnen wird die Sehn­sucht nach einer neuen, bes­se­ren Ge­sell­schaft zum Aus­druck ge­bracht, wel­che alle Un­zu­läng­lich­kei­ten der ak­tu­el­len Ord­nung über­win­det.

Doch in der heu­ti­gen Schweiz haben wir es nicht nötig, uns in so­zia­le Uto­pi­en zu flüch­ten. Die Be­darfs­ge­rech­tig­keit ist durch ein sehr gut aus­ge­bau­tes so­zia­les Netz ge­währ­leis­tet. Die Leis­tungs­ge­rech­tig­keit er­mög­licht es, dass man von sei­nen An­stren­gun­gen auch per­sön­lich pro­fi­tiert. Reale Pro­ble­me wie etwa die Si­che­rung der Al­ters­vor­sor­ge kön­nen und müs­sen in­ner­halb des be­ste­hen­den Sys­tems an­ge­packt wer­den. Zum Glück ist das Schwei­zer Stimm­volk nicht so schwär­me­risch ver­an­lagt und lässt sich durch so­zia­le Uto­pi­en nicht so leicht ver­füh­ren.