Zwei ältere Personen an einem Tisch

Nationalrat verschlechtert AHV-Reform

Nachdem der Ständerat die Vorlage in der Frühjahrssession ins Gleichgewicht gebracht hat, weicht der Nationalrat wieder davon ab. Einig sind sich die Räte bei der Angleichung des Referenzrentenalters auf 65 Jahre, welche die AHV per 2030 um gut 1,4 Milliarden Franken entlastet. Umstritten bleibt jedoch, wie die Referenzaltererhöhung der Frauen abgefedert und das Sozialwerk insgesamt zusätzlich finanziert werden soll. Die vom Nationalrat beschlossene sachfremde Verwendung der Nationalbank-Gelder ist dabei keine Option für die Wirtschaft.

Die Wirtschaft unterstützt das Ziel, die AHV kurzfristig zu stabilisieren, um in einem nächsten Schritt eine umfassendere Reform anzugehen. Allerdings muss auch in diesem ersten Schritt ein sinnvolles Gleichgewicht zwischen strukturellen und finanziellen Massnahmen gewährleistet sein. Im Vergleich zum Ständerat, der ein ausgewogenes Gesamtpaket vorgeschlagen hat, hat sich der Nationalrat wieder von diesem Ziel entfernt. Zudem hat der Nationalrat mit dem Einbezug der Nationalbank-Negativzinsen die Vorlage um ein sachfremdes Element angereichert.

Höhere Abfederung verlangt höhere MWST

Bei den Ausgleichsmassnahmen für die betroffenen Frauen hat sich im Nationalrat ein Modell durchgesetzt, das die Abfederung nach Einkommen abstufen soll. Insgesamt würden sechs Übergangsjahrgänge dauerhaft von Rentenerhöhungen profitieren. Mit Kosten von über 550 Millionen Franken im Jahr 2030 ist es deutlich teurer als die Version des Ständerats und des Bundesrats. Hinzu kommen weitere Kosten für Begleitmassnahmen wie die Flexibilisierung des Rentenbezugs.

Aufgrund der Mehrkosten für die Ausgleichsmassnahmen soll auch die Zusatzfinanzierung über die MWST höher ausfallen als im Ständerat. Mit einer Erhöhung der MWST um 0,4 Prozentpunkte fliessen per 2030 gut 1,4 Milliarden Franken in den AHV-Fonds. Damit kommen der AHV fast doppelt so viele neue Steuermittel zu, wie netto Entlastungen durch die Angleichung des Referenzalters (abzüglich der Abfederungs- und Begleitmassnahmen) stattfinden.

Keine Nachhaltigkeit ohne Gleichgewicht

Eine Vorlage, die wieder einseitig stark auf eine Zusatzfinanzierung setzt, ist alles andere als ausgewogen. Die Wirtschaft setzt sich deshalb nach wie vor klar für die Variante des Ständerats ein, der die Abfederung der Referenzaltererhöhung in ein gesundes Verhältnis zu deren Entlastungswirkung setzt. Auf der finanziellen Seite braucht es entsprechend eine MWST-Erhöhung von «lediglich» 0,3 Prozentpunkten. So kann die Belastung der Steuerzahler, gerade auch im aktuell herausfordernden Umfeld, so tief wie möglich gehalten werden.

Weitere Finanzierungsquellen gesucht

Zur Finanzierung der AHV wurden im Nationalrat noch weitere Massnahmen diskutiert: die Erhöhung des Bundesbeitrags von 20,2 auf 25 Prozent der jährlichen AHV-Ausgaben (Finanzierung über Steuereinnahmen), die Einführung einer Steuer von 1 Promille auf Finanztransaktionen an der Schweizer Börse und die Verwendung der Erträge aus den Nationalbank-Negativzinsen. Die ersten beiden Anträge wurden zu Recht abgelehnt, der letzte wurde als Folge einer Links-Rechts-Mehrheit angenommen.

Keine Vernebelungstaktik mit Nationalbank-Geldern

Das Instrument der Negativzinsen ist eine reine geldpolitische Massnahme, um dem Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken zu begegnen. Darum können Negativzinsen nur temporär sein und müssen, sobald es die Umstände zulassen, wieder aufgehoben werden. Folglich eignen sich die Negativzinsen der Nationalbank als Instrument zur Finanzierung der AHV nicht. Im Gegenteil, es werden falsche Signale gesetzt. Die AHV kann nicht quasi «kostenlos» finanziell stabilisiert werden. Selbst eine Einmaleinlage durch Negativzins-Geld löst das Problem des sich in den nächsten Jahren mit rasender Geschwindigkeit entleerenden AHV-Fonds nicht. Dazu braucht es weitergehende Massnahmen, zu denen stabile Finanzierungsquellen gehören (auch in Form von massvollen Zusatzfinanzierungen), vor allem aber strukturelle Massnahmen, die zur Bewältigung des demografiebedingt raschen Kostenwachstums beitragen.

Die Diskussion über die Nationalbank-Negativzinsen vernebelt unbequeme Tatsachen. Wenn die AHV mit den heutigen Leistungen aufrechterhalten werden soll, so braucht es mehr Geld und vor allem ein schrittweise steigendes, aber insgesamt höheres Rentenalter. Als nächstes ist der Ständerat wieder am Zug. Die Wirtschaft zählt auf eine tragfähige Lösung im Sinne der kleinen Kammer: gezielt, ausgewogen und sicherlich ohne wirkungslose Geldspritze von der Nationalbank.