Auf­ga­ben­über­prü­fung: Von der Kür zur Pflicht

Ob­wohl das Par­la­ment der Auf­ga­ben­über­prü­fung der­zeit eine Ab­sa­ge er­teilt, ver­langt eine Kom­mis­si­ons­mo­ti­on, mit die­sem Pro­gramm für Struk­tur­re­for­men end­lich ernst zu ma­chen. Den Druck für Re­for­men schafft sich das Par­la­ment mit neuen Aus­ga­ben­be­schlüs­sen der­weil selbst.
Das Par­la­ment hat be­kannt­lich eine Reihe klei­ne­rer Struk­tur­re­for­men im Rah­men des Kon­so­li­die­rungs­pro­gramms (KOP) ver­wor­fen. Der Stän­de­rat tat es in der Früh­jahrs­ses­si­on, der Na­tio­nal­rat wird es ihm in der Som­mer­ses­si­on wahr­schein­lich gleich­tun. In der vor­be­ra­ten­den Kom­mis­si­on des Na­tio­nal­rats sprach sich le­dig­lich eine Stim­me unter 23 für das Vor­ha­ben aus. Zu einer ma­te­ri­el­len Be­ra­tung kam es erst gar nicht. Un­ter­stützt von der Er­klä­rung des Bun­des­rats, dass man mo­men­tan „al­len­falls“ auf die Re­for­men ver­zich­ten könne, wurde Nicht­ein­tre­ten be­schlos­sen. Die Re­for­men hät­ten Ent­las­tun­gen von knapp 300 Mil­lio­nen Fran­ken ge­bracht. Im Vor­feld waren sie zum Teil als „Ba­na­li­tä­ten“ ab­ge­tan wor­den, für die zu strei­ten es sich nicht lohne.

Ent­las­tun­gen von 1 Mil­li­ar­de Fran­ken
Gleich­zei­tig mit dem Nicht­ein­tre­tens­be­schluss ver­lang­te die Fi­nanz­kom­mis­si­on, mit der Auf­ga­ben­über­prü­fung, deren Teil die Re­for­men hät­ten sein sol­len, end­lich ernst zu ma­chen. In einer Mo­ti­on, die noch zur Be­hand­lung in den Räten an­steht, for­dert die Kom­mis­si­on Ent­las­tun­gen von min­des­tens 1 Mil­li­ar­de Fran­ken. Der Bun­des­rat soll zu die­sem Zweck bis Ende Jahr eine Bot­schaft aus­ar­bei­ten.

Dem Be­geh­ren der Fi­nanz­kom­mis­si­on ist in der Sache nichts ent­ge­gen­zu­hal­ten. Seit Jah­ren for­dern Wirt­schaft und weite Teile der Po­li­tik eine gründ­li­che Über­prü­fung der Bun­des­auf­ga­ben. Der Bun­des­rat hat dazu im De­zem­ber 2010 eine Um­set­zungs­pla­nung mit Mass­nah­men und Mei­len­stei­nen bis zum Jahr 2015 vor­ge­legt. Die Pla­nung ent­hält Ent­las­tun­gen von über 1 Mil­li­ar­de Fran­ken. Die Hälf­te davon ent­fällt auf die Re­form der AHV. Das Par­la­ment lehn­te nur Tage nach der Ver­öf­fent­li­chung die­ser Um­set­zungs­pla­nung nach zehn­jäh­ri­ger Be­ra­tung eine sol­che Re­form ab (11. AHV-Re­vi­si­on). Bei den rest­li­chen Mass­nah­men han­delt es sich wie­der­um um eher klei­ne Re­for­men. Wie schon ei­ni­ge der ver­wor­fe­nen Mass­nah­men des KOP, wer­den sie teil­wei­se stark um­strit­ten sein.

Wille ist wich­ti­ger als Form
Mehr noch als eine neue Bot­schaft braucht es denn auch den po­li­ti­schen Wil­len, ein­mal vor­ge­leg­te Re­for­men zu be­han­deln und ab­zu­schlies­sen. Die Si­gna­le des Par­la­ments im Zu­sam­men­hang mit dem KOP und der 11. AHV-Re­vi­si­on gehen des­halb in die fal­sche Rich­tung. Wi­der­stän­de gegen jeg­li­che Re­for­men, die struk­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen brin­gen, sind pro­gram­miert. Die Er­war­tung, dass sich der Ein­satz nur bei gros­sen Re­for­men lohnt, kann trü­gen. Was im Klei­nen nicht ein­fach ist, wird im Gros­sen nicht leich­ter ge­lin­gen. Die AHV-Re­form spricht in die­ser Be­zie­hung Bände. Vom Bun­des­rat ist zu er­war­ten, dass er die an­ge­dach­ten Re­for­men dem Par­la­ment in be­schluss­rei­fer Form rasch vor­legt. Ob dies ein­zeln oder teil­wei­se ge­bün­delt ge­schieht, ist zweit­ran­gig.

Neue Aus­ga­ben­be­schlüs­se schaf­fen Hand­lungs­druck
Den Druck, mit der Auf­ga­ben­über­prü­fung vor­wärts­zu­ma­chen, schafft sich das Par­la­ment der­weil selbst. Al­lein an zwei Tagen Mitte Mai wur­den in vor­be­ra­ten­den Kom­mis­sio­nen Mehr­aus­ga­ben be­schlos­sen, die be­reits sehr nahe an das der­zeit ge­setz­te Mil­li­ar­den­ziel der Auf­ga­ben­über­prü­fung gehen. Vor allem die Be­schlüs­se zur Armee über­stei­gen die heu­ti­gen fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten des Bun­des bei Wei­tem. Ohne Ent­las­tun­gen an an­de­ren Orten wer­den diese und an­de­re Aus­ga­ben­be­geh­ren nicht um­zu­set­zen sein.

Die Fi­nanz­kom­mis­si­on des Na­tio­nal­rats will in ihrer Mo­ti­on sämt­li­che ent­ste­hen­den Über­schüs­se für den Schul­den­ab­bau ver­wen­den. Kehrt das Par­la­ment nicht bald zur fi­nanz­po­li­ti­schen Dis­zi­plin zu­rück, wer­den sub­stan­zi­el­le Ent­las­tun­gen bald not­wen­dig wer­den, nur schon, um die Vor­ga­ben der Schul­den­brem­se ein­zu­hal­ten. Die Auf­ga­ben­über­prü­fung wäre dann mehr als Kür: Sie wäre von der Ver­fas­sung und dem Ge­setz ge­for­der­te Pflicht.