# 6 / 2021
11.05.2021

Klimapolitik: Der Weg der Wirtschaft zum Netto-Null-Ziel

Netto-Null-Ziel der Wirtschaft

Die Wirtschaft setzt sich in der Klimapolitik ambitionierte Ziele und will sich zur innovativsten und wirksamsten Kraft im Klimaschutz entwickeln. Mit Innovationen und effizienten Technologien kann die Wirtschaft massgeblich zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen. Die Vorstandsgremien von economiesuisse haben dazu ein klares Bekenntnis verabschiedet: Die Wirtschaft senkt ihre CO₂-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null.

Fünf Grundsätze

Um dieses ambitionierte Netto-Null-Ziel erreichen zu können, benötigen die Unternehmen eine effektive, kostenwirksame und wirtschaftsverträgliche Klimapolitik, die keine Schäden für die Standortattraktivität riskiert. Für solch effiziente und wirkungsorientierte Rahmenbedingungen in der Klimapolitik sind fünf Grundsätze erforderlich:

  1. Marktorientierung und internationale Vernetzung
    Das Vorgehen der Schweiz muss so gut und so breit wie möglich international abgestimmt sein. Nur so kann Klimaschutz erfolgreich betrieben und ein Wettbewerbsnachteil für die Schweiz verhindert werden. Im Idealfall werden Massnahmen global eingeführt, aber zumindest müssen sich alle oder die meisten Länder auf einem gleichen oder ähnlichen Absenkpfad befinden. Einen Alleingang der Schweiz gilt es zu verhindern.
  2. Flexibilität
    Für das Klima spielt es keine Rolle, wo und wie Emissionen eingespart werden. Es sollen deshalb alle Möglichkeiten zur Reduktion der Treibhausgase ausgeschöpft werden – im Inland und im Ausland. Wir begrüssen es daher, dass der Bundesrat auch Kompensationen im Ausland zulassen will.
  3. Eigenverantwortung
    Technologiesprünge und Investitionszyklen halten sich nicht an politisch festgelegte Pfade. Deswegen wäre ein Verbot von fossilen Energieträgern auch nicht zielführend. Die Unternehmen entscheiden selbst, auf welche Art und Weise und zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Zielperiode sie gemäss den Einsparoptionen vorgehen.
  4. Gleichbehandlung der Energieträger
    Die Wirtschaft setzt sich für eine Gleichbehandlung von Brenn- und Treibstoffen ein. Die Verantwortung für die Reduktion der Emissionen darf nicht an wenige energieintensive Branchen übertragen werden. Durch das Volk legitimierte Lenkungsabgaben sind dazu das umweltökonomisch effektivste Instrument.
  5. Wettbewerbsorientierung
    Die klimapolitische Regulierung muss grundsätzlich so schlank wie möglich ausfallen und möglichst keine Subventionen beinhalten. Damit wird ein innovationsfreundliches Umfeld erzeugt, was wohl den wichtigsten Faktor zur Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstands und des wirtschaftlichen Wachstums darstellt.

Das Klimaprogramm der Wirtschaft

Netto-Null ist für die Wirtschaft ein ambitioniertes Ziel. Sie hat zu dessen Umsetzung ein «Klimaprogramm der Wirtschaft» mit neun Aktionsfeldern entwickelt. Diese Handlungsanweisungen untermauern die Grundsätze und konkretisieren die Realisierung:

  1. Netto-Null-Ziel bis 2050 umsetzen
    Die Schweizer Wirtschaft unterstützt das im CO₂-Gesetz vorgesehene Einsparziel für die Schweiz von 50 Prozent bis 2030. Zusätzlich setzt sich die Wirtschaft mit dem Netto-Null-Ziel für die Reduktion ihrer in der Schweiz verursachten Emissionen bis 2050 ein.
  2. Internationale Lösungen vorantreiben
    Letztlich kann die Klimaerwärmung nur durch ein international abgestimmtes Vorgehen erfolgreich verlangsamt werden. Da die internationale Zusammenarbeit noch unzureichend funktioniert, soll sich die Wirtschaft für eine bessere internationale Abstimmung engagieren. Der EU Green Deal möchte unter anderem einen einheitlichen Mindestpreis für CO₂-Emissionen einführen und kann deshalb als eine Art «Klima-Club» bezeichnet werden. Die Schaffung eines umfassenden Klima-Clubs würde Wettbewerbsnachteile zwischen den teilnehmenden Handelspartnern ausschliessen und wäre ein möglicher Lösungsschritt in der Klimapolitik. economiesuisse unterstützt deshalb internationale Bestrebungen zur besseren Abstimmung der Politik in diese Richtung.
  3. Prozesse optimieren und Effizienz steigern
    Obwohl die Schweizer Wirtschaft zu den effizientesten der Welt gehört, gibt es weiterhin Möglichkeiten, die Effizienz zu steigern und die Emissionen zu senken. Über die Öffnung des Modells der Zielvereinbarungen wird die Schweizer Wirtschaft ihre Emissionen künftig noch konsequenter angehen und sie kann ihre Einsparungen um 50 bis 100 Prozent erhöhen. Die CO₂-Intensität der Schweizer Unternehmen sank in den letzten Jahren kontinuierlich bis auf 86,6 Prozent im Jahr 2019. Damit hat die Wirtschaft den Soll-Zielwert von 91,7 Prozent bis 2022 bereits im letzten Jahr erreicht. Bis Ende 2019 hatten über 4000 Unternehmen 2405 Zielvereinbarungen abgeschlossen. Das entspricht etwa 50 Prozent des CO₂-Ausstosses von Schweizer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Dieses Erfolgsmodell kann nun mit dem totalrevidierten CO₂-Gesetz weiterverfolgt und verstärkt werden, da neu alle Unternehmen Zugang zu den Zielvereinbarungen erhalten.
  4. Verkehr dekarbonisieren
    Aktuell ist der motorisierte Verkehr einer der grössten Verursacher des CO₂-Anstiegs in der Atmosphäre. Auch die Wirtschaft trägt massgeblich zum Verkehrsaufkommen bei. Mit einer Lenkungsabgabe sollen externe Klimakosten des motorisierten Verkehrs internalisiert und damit die Kostenwahrheit erhöht werden. economiesuisse fordert deshalb eine Gleichbehandlung von Brenn- und Treibstoffen.

CO₂-Abgabe auf Treibstoffen

Seit 2008 wird auf fossilen Brennstoffen wie Heizöl oder Erdgas eine Lenkungsabgabe erhoben. In der bisherigen Klimapolitik der Schweiz haben wir somit eine CO₂-Lenkungsabgabe auf Brennstoffen, nicht aber auf Treibstoffen. Eine Lenkungsabgabe setzt Anreize zum sparsamen Verbrauch und zum vermehrten Einsatz klimafreundlicher Energieträger. Der Ertrag aus der Abgabe wird in der Schweiz grösstenteils an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurückverteilt.

Da das Langfristziel in der Klimapolitik Netto-Null ist, möchte die Wirtschaft eine bessere Gleichbehandlung zwischen Brenn- und Treibstoffen anstreben. Ferner sind seit Einführung der Lenkungsabgabe die Emissionen aus Brennstoffen kontinuierlich zurückgegangen, während sie im Bereich der Treibstoffe mehr oder weniger konstant geblieben sind im Vergleich zum Referenzjahr 1990. Einerseits ist es das Ziel, mit einer CO₂-Abgabe auf Treibstoffen alle Verbraucher von fossilen Energieträgern gleichermassen in die Pflicht zu nehmen, und andererseits soll damit der Durchbruch bei der Reduktion von Emissionen aus Treibstoffen gelingen. Eine effiziente Lenkungsabgabe auf Brenn- und Treibstoffen ist das umweltökonomisch effektivste Instrument.

Die CO₂-Abgabe auf Treibstoffen ist in Analogie zur Abgabe auf Brennstoffen als Lenkungsabgabe auszugestalten. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Treibstoffe bereits heute die stärksten fiskal- und abgabenbelasteten Energieträger sind, da die Abgaben mehr als die Hälfte des Preises an der Zapfsäule ausmachen. Für die Treibstoffe soll gelten, dass bisherige Mechanismen wie die Kompensationspflicht der Treibstoffimporteure und die LSVA berücksichtigt werden. Mit anderen Worten sollen bereits bestehende Belastungen des Verkehrssektors angerechnet werden können.

Die Abgabe ist zudem auch nach dem Prinzip der Wirkungsneutralität auszurichten. Bezogen auf die Wirkungsneutralität sollte eine Lenkungsabgabe auf Treibstoffen mindestens dieselbe Wirkung wie das aktuelle Instrument der Treibstoffkompensation erzielen. Hierfür ist eine Teilzweckbindung für weitere Kompensationen nötig. Mit dem verstärkten Rückgang der Emissionen mittels Lenkungsabgabe würde der Kompensationsteil kontinuierlich kleiner. Eine Lenkungsabgabe auf Treibstoffen soll periodisch basisdemokratisch erhöht oder reduziert werden, um die Lenkungswirkung anpassen zu können. Nur so kann die Akzeptanz der Bevölkerung für die Abgabe gesichert werden.

Energiebedingte CO2-Emissionen (Grafik)

  1. Potenzial der Sektorkopplung realisieren
    Die zunehmende Verbreitung von Wärmepumpen und der steigende Anteil von Elektrofahrzeugen stehen exemplarisch für die Elektrifizierung des Wärme- und des Verkehrssektors. In Kombination mit der Eigenproduktion einer Fotovoltaikanlage lassen sich so eindrückliche Synergiepotenziale realisieren und die Sektorkopplung von Stromproduktion, Wärmeerzeugung und Mobilität wird auch wirtschaftlich attraktiv. Längerfristig bietet zudem die Sektorkopplung der Bereiche Strom und Gas zusätzliche Potenziale für die saisonale Stromspeicherung und damit für eine Stärkung der Versorgungssicherheit im Winterhalbjahr. economiesuisse setzt sich deshalb für eine erfolgreiche Netzkonvergenz und Sektorkopplung zur Realisierung einer klimaneutralen Energieversorgung ein.
  2. Innovation, Forschung und Digitalisierung fördern
    Einen grossen Beitrag gegen die Klimaerwärmung kann die Schweizer Wirtschaft in ihrer Rolle als weltweite Innovatorin und Technologielieferantin erzielen. Sie setzt sich dafür ein, dass dies – gerade im Bereich der Bindung von CO₂– politisch wie auch unternehmerisch besser umgesetzt wird. Durch Digitalisierung werden Effizienzsteigerungen erreicht und neue Geschäftsmodelle entwickelt. Deshalb sollen digitale Lösungen stärker als Treiber genutzt werden.
  3. Transparente Investitionsentscheide ermöglichen (Sustainable Finance)
    Die Wirtschaft fördert die marktgetriebene Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten und setzt sich für mehr nachhaltige Anlagemöglichkeiten ein. Sie fördert die Positionierung von nachhaltigen Unternehmen aktiv. Staatliche Eingriffe und die Schaffung staatlicher Klassifikationssysteme sollen nur zurückhaltend und möglichst international koordiniert erfolgen.

Sustainable Finance und Klimapolitik

Die Finanzbranche leistet mit Anlagen in erneuerbare Energie oder ressourceneffiziente Infrastruktur einen konkreten Beitrag zur Erreichung der globalen Klimaziele und für eine nachhaltige Wirtschaft. Nachhaltige Anlagemöglichkeiten haben in letzter Zeit eine starke Dynamik auf dem Markt erfahren. Hinter den Entwicklungen stehen neben einer Veränderung des Anlageverhaltens auch politische Prioritätsverschiebungen – auch im Zusammenhang mit der (inter-)nationalen Klimapolitik. So verlangt das Pariser Klimaabkommen, das die Schweiz ratifiziert hat, auch eine klimafreundliche Ausgestaltung der Finanzflüsse. 2020 hat sich erstmals der gesamte Schweizer Finanzmarkt auf Initiative des Bundesamts für Umwelt BAFU und in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF freiwillig auf Klimaverträglichkeit testen lassen. Mit einem neuen Artikel im CO₂-Gesetz sollen die FINMA und die Schweizerische Nationalbank verpflichtet werden, regelmässig die klimabedingten finanziellen Risiken zu überprüfen. Ausserdem führen die Jungen Grünen Gespräche mit verschiedenen Akteuren, damit eine Initiative für einen klimafreundlichen Finanzplatz in breiter Allianz lanciert werden kann.

Aufseiten der Banken und Versicherungen sind Bemühungen zu einer Standardisierung im Bereich der nachhaltigen Anlagen und zu einer verbesserten Transparenz der ESG-Risiken beobachtbar. Dies bedeutet gleichzeitig aber auch, dass die Definition, was als nachhaltig gilt, enger gefasst wird und besser mit Daten unterlegt werden muss. Diese Trends wirken sich auf die Realwirtschaft aus. Unternehmen, die dazu beitragen, dass Emissionen eingespart werden können, beziehungsweise, dass sich die Menschheit besser an die Erderwärmung anpassen kann, profitieren durch Wettbewerbsvorteile. Auf der anderen Seite spüren etwa emissionsintensive Firmen, dass Investitionen etwa in Kohlegeschäfte zurückgehen. Aus Sicht der Wirtschaft ist es zentral, dass alle Sektoren und Branchen ohne Diskriminierung an den aktuellen Entwicklungen teilnehmen können. Es muss verhindert werden, dass die Freiheiten von Marktteilnehmern und Investoren vorschnell und unnötig eingeschränkt werden. Aus diesem Grund ist Regulierungsbestrebungen mit Zurückhaltung zu begegnen. Umso wichtiger ist eine Koordination mit den betroffenen Branchen, die economiesuisse bereits heute vorantreibt.

  1. Freiwillige Einsparungen von Unternehmen und Branchenlösungen unterstützen
    Grosse Unternehmen machen es bereits heute vor und setzen sich Netto-Null- oder andere Klimaziele. Sie prüfen sämtliche Einsparoptionen und starten Umsetzungsprogramme. Solche Programme sollen via die Energie-Agentur der Wirtschaft und andere Umsetzungsorganisationen weiteren Unternehmen zu Einsparungen verhelfen. Gleichzeitig variieren die Potenziale und technischen Möglichkeiten zur Einsparung von Emissionen stark von Branche zu Branche. Viele Branchen sind bereits mit eigenen Initiativen zur Erreichung von Netto-Null- oder anderen Klimazielen unterwegs. Unter dem Dach von economiesuisse werden solche Initiativen gebündelt und weiter unterstützt.

Freiwillige Massnahmen der Unternehmen

Für die Unternehmen bestehen in der Schweiz drei Möglichkeiten, wie sie mit ihren Emissionen umgehen können: Die wenigen grossen Emittenten werden dem Emissionshandelssystem zugeteilt. Ein Teil der Unternehmen kann eine sogenannte Verminderungsverpflichtung (Zielvereinbarung) eingehen, mittels dieser definierte Reduktionsmassnahmen umsetzen und erhält im Gegenzug die CO₂-Abgabe auf Brennstoffen zurückerstattet. Die dritte Möglichkeit für Unternehmen besteht darin, nichts zu unternehmen und somit die CO₂-Abgabe auf ihre Brennstoffemissionen zu bezahlen. Dabei hat sich das System der Zielvereinbarungen bewährt und viele Unternehmen haben sich demzufolge auf eine Reduktion ihrer Emissionen verpflichtet.

Es gibt aber auch Unternehmen, die über das Gesetz hinaus noch weitere Massnahmen freiwillig umsetzen wollen. Sie setzen sich ambitionierte Teilziele oder ein Netto-Null-Ziel und starten Umsetzungsprogramme zu deren Erreichung. Dieser freiwillige Ansatz wird von der Wirtschaft unterstützt, weil er ein enormes Potenzial in sich birgt. Umsetzungsorganisationen der Wirtschaft (z.B. Energie-Agentur der Wirtschaft) stehen dabei den Unternehmen mit individueller Beratung zur Seite.

Ein gutes Beispiel für diese Freiwilligkeit ist der Nahrungsmittelkonzern Nestlé. Dieser will in den nächsten fünf Jahren für die Senkung seiner globalen CO₂-Emissionen über drei Milliarden Franken ausgeben. Das Netto-Null-Ziel soll entlang der gesamten Lieferkette bis 2050 erreicht werden. Bereits bis 2030 will Nestlé zudem seinen CO₂-Ausstoss auf die Hälfte reduzieren.

Mit dem neu geschaffenen Klimafonds im CO₂-Gesetz wird ein Subventionstopf mit über einer Milliarde Schweizer Franken pro Jahr geäufnet. Damit sollen klimawirksame Massnahmen unterstützt werden. Für Unternehmen oder Branchen, die freiwillig mehr Emissionen einsparen möchten als durch die Zielvereinbarung verpflichtet, sollten Mittel aus diesem Klimafonds zur Verfügung gestellt werden. Mit relativ wenig finanzieller Unterstützung könnten dabei grosse Investitionsbeiträge zugunsten des Klimas ausgelöst werden. Unternehmen oder ganze Branchen könnten mit einem Teilbeitrag an den Kosten der Massnahmen umfangreiche Dekarbonisierungsprogramme starten. Dabei sollten marktwirtschaftliche Prinzipien zum Tragen kommen, das heisst die Beiträge könnte man mittels Auktionen vergeben, um so eine möglichst hohe Kostenwirksamkeit zu erhalten. Ein solcher Beitrag aus dem Klimafonds wäre für die Unternehmen wie auch für das Klima wichtig und richtig.

  1. Transparenz schaffen
    Die Schweizer Wirtschaft leistet bereits heute einen grossen Beitrag zur Energieeffizienz und Emissionsreduktion. Sie ist in vielen Bereichen international führend. Diese Beiträge an die Reduktion der Treibhausgase werden künftig noch besser und transparenter aufgezeigt – unter anderem durch eine verstärkte Kommunikation von Fallbeispielen oder der Einordnung von aktuellen Klimazahlen.