Wir sind nicht am Strand in Ri­mi­ni

Wer die ak­tu­el­le De­bat­te um den Ret­tungs­schirm für Strom­un­ter­neh­men ver­folgt, wähnt sich schnell im fal­schen Film: Da wer­den Strom­un­ter­neh­men vom Bund 10 Mil­li­ar­den Fran­ken Si­cher­heit an­ge­bo­ten – und ei­ni­ge davon weh­ren sich gegen den staat­li­chen Ret­tungs­schirm. Aber warum?

Strom­un­ter­neh­men ver­kau­fen auf En­er­gie­märk­ten einen Teil ihrer Ka­pa­zi­tä­ten. Das ist in der Bran­che so üb­lich. Käu­fer ver­lan­gen dafür Si­cher­heits­leis­tun­gen – so wie eine Bank bei einer Hy­po­thek eine Si­cher­heit in der Form des Hau­ses be­kommt. Da die En­er­gie­prei­se mo­men­tan ver­rückt spie­len, be­steht ein Ri­si­ko, dass die Strom­un­ter­neh­men die Si­cher­heits­leis­tun­gen auf­sto­cken müss­ten und in Li­qui­di­täts­eng­päs­se ge­trie­ben wür­den. Der Bund will nun si­cher­heits­hal­ber einen ver­pflich­ten­den Ret­tungs­schirm für Strom­un­ter­neh­men auf­span­nen – als eine Art Zwangs­ri­si­ko­ver­si­che­rung.

Be­din­gun­gen für Un­ter­neh­men sind un­ver­hält­nis­mäs­sig

In der Tat weckt eine mög­li­che En­er­gie­kri­se un­gu­te Er­in­ne­run­gen an die Fi­nanz­kri­se, in der Bund und Na­tio­nal­bank der UBS mit rund 60 Mil­li­ar­den Fran­ken unter die Arme grei­fen muss­ten. Wenn der Bund hin­sicht­lich der Strom­ver­sor­gung nun prä­ven­tiv aktiv wird, ist das grund­sätz­lich sinn­voll. Aus Sicht der Wirt­schaft gibt es aber wich­ti­ge Punk­te zu be­den­ken:

  • Die vom Bund ge­stell­ten Be­din­gun­gen an die Un­ter­neh­men über­span­nen den Bogen. Un­ter­stel­lungs­ver­pflich­tung, er­zwun­ge­ne Teil­nah­me, Be­reit­stel­lungs­pau­scha­le in zwei­stel­li­ger Mil­lio­nen­hö­he, Ein­sichts­rech­te der Be­hör­den und ex­or­bi­tan­te Ri­si­ko­zu­schlä­ge sind nur ei­ni­ge Bei­spie­le, wes­halb eine «Ret­tung durch den Bund» Strom­un­ter­neh­men be­sorgt. Su­zan­ne Thoma, CEO BKW En­er­gie AG, sprach im Zu­sam­men­hang mit dem ers­ten Vor­schlag sogar von einer «Ent­eig­nung». Der Bun­des­rat hat seit­her zwar zu­rück­buch­sta­biert, aber noch immer sehen viele in den Be­din­gun­gen des Ret­tungs­schirms Ri­si­ken für die Wirt­schafts­frei­heit.
  • Ein po­ten­zi­el­ler Kon­kurs von Strom­un­ter­neh­men könn­te zu nicht ab­schätz­ba­ren Do­mi­no­ef­fek­ten füh­ren und stellt ein be­trächt­li­ches Ri­si­ko für un­se­re Volks­wirt­schaft dar. Je­doch be­kräf­ti­gen Strom­un­ter­neh­men, gut auf­ge­stellt zu sein. Zudem ba­siert Strom­pro­duk­ti­on auf phy­si­schen In­fra­struk­tu­ren, was eine an­de­re Aus­gangs­si­tua­ti­on im Ver­gleich zu Ban­ken ist, wo ein ein­mal ver­lo­re­nes Ver­mö­gen für die An­le­ger eben ver­lo­ren ist. Bei zah­lungs­un­fä­hi­gen Strom­un­ter­neh­men wür­den sich deren Kraft­wer­ke nicht ein­fach in Luft auf­lö­sen und könn­ten durch­aus wei­ter Strom lie­fern. Die Si­tua­ti­on ist also nicht ein­deu­tig, was hohe An­for­de­run­gen an staat­li­ches Tä­tig­wer­den und die Ver­hält­nis­mäs­sig­keit der Be­din­gun­gen stellt.
  • Der Staat könn­te ver­lei­tet sein, durch wei­te­re Ret­tungs­schir­me ver­mehrt Kon­trol­le über wich­ti­ge Wirt­schafts­zwei­ge wie bei­spiels­wei­se die Phar­ma­bran­che, die Nah­rungs­mit­tel­in­dus­trie oder die Bau­wirt­schaft aus­zu­üben. Ein Spries­sen sol­cher Schir­me würde lange Schat­ten auf die Wirt­schafts­frei­heit wer­fen. Mehr Schir­me und mehr Schat­ten sind nicht gut – wir sind nicht am Strand in Ri­mi­ni.

Wich­ti­ge Fra­gen der Strom­ver­sor­gung wer­den ver­drängt

Der Ret­tungs­schirm ist daher zu be­für­wor­ten, aber es ist gros­se Vor­sicht ge­bo­ten. Zudem bringt er un­ge­woll­te Ne­ben­ef­fek­te mit sich: Auf­grund des Ver­suchs, den Ret­tungs­schirm dring­lich durch das Par­la­ment zu brin­gen, wurde die Be­hand­lung des Man­tel­erlas­ses für das Strom- und En­er­gie­ge­setz in den Herbst, oder sogar Win­ter, ver­scho­ben. Die­ser Man­tel­erlass hätte zen­tra­le Punk­te für eine si­che­re, kli­ma­neu­tra­le und wirt­schaft­li­che Strom­ver­sor­gung be­inhal­tet, zum Bei­spiel die Bil­dung einer En­er­gie­re­ser­ve oder den Aus­bau er­neu­er­ba­rer En­er­gi­en. Es ist sehr zu be­dau­ern, dass nun zen­tra­le Fra­gen der Strom­ver­sor­gung das Nach­se­hen haben.

Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Tex­tes er­folg­te auf han­dels­zei­tung.ch am 14. Juni 2022.