Schüler sitzen in Klassenzimmer vor Lehrer

Gym­na­sia­le Ma­tu­ri­tät: An­for­de­run­gen mo­der­ni­sie­ren, nicht ver­wäs­sern

Ak­tu­ell fin­den in ver­schie­de­nen Kan­to­nen Auf­nah­me­prü­fun­gen für die Gym­na­si­en statt, und ent­spre­chend wer­den auch wie­der Stim­men laut, die Ma­tu­ri­täts­quo­te sei schweiz­weit an­zu­he­ben, um die Chan­cen­gleich­heit zu ver­bes­sern. Dies und die lau­fen­den Be­mü­hun­gen zur Re­form der gym­na­sia­len Ma­tu­ri­tät nimmt eco­no­mie­su­is­se zum An­lass, zwei Dos­sier­po­li­tik vor­zu­le­gen, die das Thema um­fas­send auf­grei­fen.

Vor über 25 Jah­ren wur­den die na­tio­nal gel­ten­den Rah­men­be­din­gun­gen für die Gym­na­si­en das letz­te Mal um­fas­send re­for­miert. Der uni­ver­si­tä­re All­tag der Erst­se­mes­ter-Stu­die­ren­den war da­mals ein an­de­rer als heute. Sie hat­ten oft­mals noch kei­nen E-Mail-Ac­count, und die Uni­ver­si­tät kom­mu­ni­zier­te nur in sel­te­nen Fäl­len über die­sen Kanal. Die Vor­le­sungs­un­ter­la­gen muss­ten im Stu­den­ten­la­den in aus­ge­druck­ter Form ge­kauft wer­den oder in extra ein­ge­rich­te­ten Ko­pier­zim­mern ver­viel­fäl­tigt wer­den. Für Se­mi­nar­ar­bei­ten und Ähn­li­ches wurde vor allem vor Ort in ver­schie­de­nen Bi­blio­the­ken re­cher­chiert. Re­cher­chie­ren von zu Hause aus im In­ter­net, das heute in den meis­ten Stu­di­en­gän­gen der Nor­mal­fall ist, war die Aus­nah­me. 

Nicht nur im Stu­di­um, son­dern auch im All­tag hat die Di­gi­ta­li­sie­rung in den letz­ten 25 Jah­ren zu mas­si­ven Ver­än­de­run­gen ge­führt. Es ist höchs­te Zeit, dass die Re­gle­men­te und Lehr­plä­ne der Gym­na­si­en an die heu­ti­gen Le­bens­rea­li­tä­ten an­ge­passt wer­den, damit die bei­den Bil­dungs­zie­le der Gym­na­si­en – die «all­ge­mei­ne Stu­dier­fä­hig­keit» und die «ver­tief­te Ge­sell­schafts­rei­fe» – wei­ter­hin er­reicht wer­den kön­nen. 

Den prü­fungs­frei­en Hoch­schul­zu­gang si­cher­stel­len

Das gel­ten­de Ma­tu­ri­tätsa­n­er­ken­nungs­re­gle­ment (MAR / MAV) und der Rah­men­lehr­plan wer­den mo­men­tan von der Schwei­ze­ri­schen Kon­fe­renz der Er­zie­hungs­di­rek­to­ren (EDK) und dem Staats­se­kre­ta­ri­at für Bil­dung, For­schung und In­no­va­ti­on (SBFI) re­for­miert. eco­no­mie­su­is­se be­grüsst, dass die Ma­tu­ra an die heu­ti­gen An­for­de­run­gen an­ge­passt wird. Nur so kann der prü­fungs­freie Zu­gang aus den Gym­na­si­en zu den Hoch­schu­len er­hal­ten blei­ben. Die­ser Be­son­der­heit des schwei­ze­ri­schen Bil­dungs­sys­tems muss Sorge ge­tra­gen wer­den. 

Im heute pu­bli­zier­ten Dos­sier­po­li­tik zur Ma­tu­ri­täts­re­form  for­dert der Wirt­schafts­dach­ver­band unter an­de­rem, dass der Stu­di­en- und Be­rufs­wahl­un­ter­richt in allen Gym­na­si­en ver­bind­lich Ein­zug hal­ten soll. Zudem soll In­for­ma­tik ein Grund­la­gen­fach wer­den. Aber auch auf eine Stär­kung der Pflicht­fä­cher legt die Wirt­schaft gros­sen Wert, damit die Ba­sis­fä­hig­kei­ten gründ­lich er­lernt wer­den. Dem­ge­gen­über sind zum Ende der gym­na­sia­len Aus­bil­dung hin mehr Frei­hei­ten im Un­ter­richt an­zu­stre­ben, damit auch die Selbst- und So­zi­al­kom­pe­ten­zen und in­ter­dis­zi­pli­nä­res Ar­bei­ten op­ti­mal ge­för­dert wer­den kön­nen. eco­no­mie­su­is­se for­dert aus­ser­dem schweiz­weit ver­gleich­ba­re Ab­schlüs­se mit ein­heit­li­chen Grund­struk­tu­ren und ver­bind­li­chen Zie­len. 

Hö­he­re Ma­tu­ri­täts­quo­te schwächt die duale Be­rufs­bil­dung 

Die ge­nann­ten Re­for­men soll­ten nicht zum Ziel haben, die Ma­tu­ri­täts­quo­te zu er­hö­hen, wie das immer wie­der ge­for­dert wird. Denn nicht nur der prü­fungs­freie Zu­gang von den Gym­na­si­en an die Hoch­schu­len ist eine er­hal­tens­wer­te Be­son­der­heit des Schwei­zer Bil­dungs­sys­tems, son­dern auch die brei­te Aus­wahl an Be­rufs­leh­ren dank der dua­len Be­rufs­bil­dung. Eine Er­hö­hung der Ma­tu­ri­täts­quo­te wäre keine gute Ant­wort auf die immer höher wer­den­den An­for­de­run­gen in der Be­rufs­welt. Die ex­zel­len­te Qua­li­tät der Be­rufs­bil­dung und der wei­ter­füh­ren­den Aus­bil­dun­gen (bei­spiels­wei­se an Hö­he­ren Fach­schu­len und Fach­hoch­schu­len) ist eine zen­tra­le Stüt­ze der In­no­va­ti­ons­kraft und Leis­tungs­fä­hig­keit der Schwei­zer Wirt­schaft, die die Ver­sor­gung mit qua­li­fi­zier­ten und ar­beits­markt­nah aus­ge­bil­de­ten Fach- und Füh­rungs­kräf­ten si­cher­stellt.

Diese Stär­ke muss mit­tels einer ste­ti­gen Wei­ter­ent­wick­lung der Be­rufs­leh­ren und der wei­ter­füh­ren­den Aus- und Wei­ter­bil­dun­gen bei­be­hal­ten wer­den. Dazu soll unter an­de­rem die Durch­läs­sig­keit zwi­schen den Bil­dungs­we­gen wei­ter ge­för­dert wer­den. Aus­ser­dem müs­sen die El­tern un­be­dingt stär­ker in den ob­li­ga­to­ri­schen Be­rufs­wahl­un­ter­richt mit­ein­be­zo­gen wer­den, so­wohl an den Se­kun­dar­schu­len wie auch an den Lang­zeit­gym­na­si­en. Mit die­sen und wei­te­ren im neu ver­öf­fent­lich­ten Dos­sier­po­li­tik «Duale Be­rufs­bil­dung stär­ken statt Gym­na­si­um ver­wäs­sern» vor­ge­stell­ten Mass­nah­men kann für die Qua­li­tät des Schwei­zer Bil­dungs­sys­tems mehr getan wer­den als mit einer Ver­wäs­se­rung der An­for­de­run­gen an den Gym­na­si­en, die schliess­lich den prü­fungs­frei­en Zu­gang zu den Uni­ver­si­tä­ten in­fra­ge stel­len.

Zum Dos­sier­po­li­tik über die Ma­tu­ri­täts­re­form

Zum Dos­sier­po­li­tik über die duale Be­rufs­bil­dung