Co­ro­na-Schul­den müs­sen ab­ge­baut wer­den

Der Bund häuft im Zuge der Be­wäl­ti­gung der Co­ro­na­kri­se wie­der enor­me Schul­den an. Es ist mit Blick auf kom­men­de Ge­ne­ra­tio­nen ge­bo­ten und ent­spricht der Schul­den­brem­se, sie ab­zu­tra­gen.

Der Bun­des­rat plan­te Ende Jahr, einen Ab­bau­plan für die Co­ro­na-Schul­den in die Ver­nehm­las­sung zu geben. An­ge­sichts der an­hal­ten­den Un­si­cher­heit und er­wei­ter­ter Hilfs­pa­ke­te hat er vor­läu­fig dar­auf ver­zich­tet. Aber sol­len die Co­ro­na-Schul­den über­haupt ab­ge­baut wer­den?

Die Ge­set­zes­la­ge ist klar. Die Schul­den sind in­nert sechs Jah­ren ab­zu­tra­gen. Die Frist kann aber er­streckt wer­den. Einen un­kom­pen­sier­ten Schul­den­an­stieg er­laubt die Schul­den­brem­se nicht, weder im or­dent­li­chen noch im aus­ser­or­dent­li­chen Haus­halt, wo das Gros der Co­ro­na-Schul­den an­fällt. 

Ar­gu­men­tiert wird teil­wei­se, dass der Bund seit Ein­füh­rung der Schul­den­brem­se vor 15 Jah­ren Schul­den im Um­fang von 30 Mil­li­ar­den Fran­ken ab­ge­baut hat. Die Co­ro­na-Schul­den wer­den am Ende wohl ähn­lich hoch sein. Sie könn­ten des­halb mit dem Schul­den­ab­bau ver­rech­net wer­den. Die Schul­den­brem­se habe nie zum Ziel ge­habt, Schul­den ab­zu­bau­en, son­dern sie le­dig­lich zu sta­bi­li­sie­ren. Das «Wie­der­auf­fül­len» sei des­halb le­gi­tim. 

Mehr Hand­lungs­spiel­raum ist hilf­reich.

Dem ist Fol­gen­des ent­ge­gen­zu­hal­ten: Ers­tens war der Schul­den­ab­bau tat­säch­lich nicht das er­klär­te Ziel der Schul­den­brem­se, weil der Bun­des­rat die­ses Ziel als nicht rea­lis­tisch er­ach­te­te. Wünsch­bar war der Schul­den­ab­bau den­noch. So er­klär­te Bun­des­rat Vil­li­ger in der Ein­tre­tens­de­bat­te im März 2001: «Soll­te aber trotz­dem ein Abbau ge­lin­gen, wäre das na­tür­lich umso bes­ser, weil wir dann in der Re­zes­si­on wie­der mehr Hand­lungs­spiel­raum hät­ten. Mit der Aus­nah­me­re­gel kön­nen wir in der Re­zes­si­on sogar die Schul­den­quo­te wie­der er­hö­hen und damit die Sta­bi­li­sie­rung durch­bre­chen.»

Das Par­la­ment hatte zwei­tens selbst die Wei­chen in Rich­tung Schul­den­ab­bau ge­stellt, indem es die Schul­den­brem­se ab­än­der­te. Es führ­te die so­ge­nann­te Asym­me­trie ein, die be­sagt, dass ver­bo­te­ne De­fi­zi­te zu kom­pen­sie­ren sind, un­ge­plan­te Über­schüs­se aber zu kei­nen neuen Aus­ga­ben füh­ren dür­fen, son­dern le­dig­lich für den Schul­den­ab­bau zu ver­wen­den sind. Der Kom­mis­si­ons­spre­cher alt Stän­de­rat In­der­kum, sagte dazu: «Die Kom­mis­si­on be­an­tragt Ihnen hier aber, auf die Ab­tra­gung von Über­schüs­sen zu ver­zich­ten, damit […] die Op­ti­on Schul­den­ab­bau mög­lich ist.»

Drit­tens gab es für den Schul­den­ab­bau gute Grün­de. Die Bun­des­schul­den ver­zeich­ne­ten in den 1990er-Jah­ren den stärks­ten An­stieg seit dem Zwei­ten Welt­krieg. War der Schul­den­stand 1990 knapp 40 Mil­li­ar­den Fran­ken, er­reich­te er 2005 den Re­kord von 130 Mil­li­ar­den Fran­ken. Die Schul­den­quo­te stieg um mehr als das Dop­pel­te von 11,8 Pro­zent auf 28,5 Pro­zent an. Die­ses auch im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich enor­me Schul­den­wachs­tum war zu 40 Pro­zent durch Haus­halts­de­fi­zi­te be­dingt, das heisst durch den Über­kon­sum einer nicht nach­hal­ti­gen Aus­ga­ben­po­li­tik im Um­fang von 35 Mil­li­ar­den Fran­ken in 15 Jah­ren. Dies wies der Bun­des­rat im Schul­den­be­richt von 2006 nach, in wel­chem er von einer «gra­vie­ren­den Ver­schlech­te­rung der Fi­nanz­la­ge» und «be­rech­tig­ter Be­sorg­nis» sprach (der üb­ri­ge Schul­den­an­stieg ging auf die Be­rei­ni­gung von «Alt­las­ten» wie der Sa­nie­rung der SBB zu­rück).

Damit wird klar: Der Schul­den­ab­bau der letz­ten 15 Jahre dien­te dazu, den prä­ze­denz­lo­sen Schul­den­an­stieg der vor­an­ge­gan­ge­nen 15 Jahre zu kom­pen­sie­ren. Der Schul­den­ab­bau war durch die Aus­ge­stal­tung der Schul­den­brem­se vor­ge­spurt wor­den, aber den­noch in die­sem Um­fang nicht ab­seh­bar, weil die Wir­kungs­wei­se der Schul­den­brem­se zu wenig be­kannt war, na­ment­lich das re­gel­mäs­si­ge An­fal­len von Kre­dit­res­ten, die kon­se­quent in den Schul­den­ab­bau ge­lei­tet wer­den konn­ten. Zudem hat die Schweiz im Ge­gen­satz zu den 1990er-Jah­ren eine ins­ge­samt star­ke Wirt­schafts­ent­wick­lung er­lebt, die zu hohen Über­schüs­sen führ­te. 

In einer Ge­ne­ra­ti­on soll­te Co­ro­na fi­nanz­po­li­tisch kein Thema mehr sein.

Ist es nun le­gi­tim, die Schul­den des Bun­des wie­der auf den Stand von 2005 «auf­zu­fül­len» und dort ste­hen zu las­sen, weil das der Stand war, auf dem die Schul­den­brem­se an­setz­te, dem höchs­ten Schul­den­stand der letz­ten 70 Jah­ren?

Bun­des­rat Vil­li­ger er­klär­te auch Fol­gen­des:  «Aber wenn die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on Schul­den be­zah­len muss für Kon­sum, den wir ge­tä­tigt haben, […] dann be­kommt diese Ge­ne­ra­ti­on vom Staat keine ad­äqua­te Ge­gen­leis­tung für ihre Steu­er­gel­der. Das dür­fen wir der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­on nicht antun! […] Mit die­sen Me­cha­nis­men si­chern wir den Hand­lungs­spiel­raum der nächs­ten Ge­ne­ra­tio­nen, hier gilt die Nach­hal­tig­keit ge­nau­so wie etwa bei der Öko­lo­gie oder in an­de­ren Be­rei­chen.»

Die­ses Votum gilt un­ver­än­dert. Die Co­ro­na-Aus­ga­ben des Staa­tes wer­den von kaum je­man­den grund­sätz­lich be­strit­ten. Eben­so un­be­strit­ten soll­te aber sein, dass wir auf­kom­men für das, was wir heute zu­sätz­lich aus­ge­ben, weil es un­se­re Kri­sen­hil­fen sind und nicht die un­se­rer Kin­der und Enkel. Sie wer­den mit ihren ei­ge­nen Kri­sen zu kämp­fen haben und sol­len nicht an un­se­re Pro­blem­be­wäl­ti­gung zah­len müs­sen. Der in­ter­na­tio­na­le Wäh­rungs­fonds, so Vil­li­ger, hätte die Schweiz aus­drück­lich dazu er­mun­tert, Schul­den ab­zu­bau­en. Die Schweiz werde wegen der de­mo­gra­fi­schen Ver­än­de­rung bei der Kran­ken­ver­si­che­rung und der Al­ters­vor­sor­ge unter Druck kom­men. Es gelte jetzt, Re­ser­ven zu schaf­fen. Die Schul­den der Schweiz sind heute, 20 Jahre spä­ter, ver­hält­nis­mäs­sig tie­fer, auch mit Co­ro­na. Aber die Pro­ble­me der Zu­kunft sind die­sel­ben. Und neue wer­den da­zu­kom­men.

Der Abbau ist mög­lich.

Die Fehl­be­trä­ge im Zu­sam­men­hang mit Co­ro­na sind des­halb ab­zu­tra­gen. Der Bund kann selbst hohe Be­trä­ge ohne «Stress» für den lau­fen­den Haus­halt über die Zeit kom­pen­sie­ren. Die ge­nann­ten Kre­dit­res­te sind eine Amor­ti­sa­ti­ons­quel­le. Eine an­de­re sind die jähr­li­chen Aus­schüt­tun­gen der Schwei­ze­ri­schen Na­tio­nal­bank (SNB). Ge­mäss Usanz ver­wen­det sie der Bund für den lau­fen­den Haus­halt. In den letz­ten zehn Jah­ren be­trug die SNB-Di­vi­den­de durch­schnitt­lich 600 Mil­lio­nen Fran­ken, nie aber mehr als 830 Mil­lio­nen. Erst seit 2020 rech­net der Bund als Folge der stark ge­wach­se­nen SNB-Bi­lanz mit einer hö­he­ren Aus­schüt­tung von jähr­lich bis zu 2 Mil­li­ar­den Fran­ken (die Kan­to­ne er­hal­ten das Dop­pel­te). Min­des­tens ein Teil des über dem lang­jäh­ri­gen Durch­schnitt lie­gen­den Be­trags soll­te dem Schul­den­ab­bau zu­kom­men. Dass so un­er­wünsch­te Ab­hän­gig­kei­ten ge­schaf­fen wür­den, ist kaum stich­hal­tig. Sind die Mit­tel erst ein­mal im Haus­halt, wer­den erst recht An­sprü­che ge­schaf­fen. Sin­ken die Di­vi­den­den wie­der und dau­ert die Schul­den­til­gung etwas län­ger, wäre das hin­ge­gen kein Welt­un­ter­gang. Spä­tes­tens in einer Ge­ne­ra­ti­on je­doch soll­te Co­ro­na fi­nanz­po­li­tisch kein Thema mehr sein. Es würfe ein mi­se­ra­bles Licht auf uns, müss­ten un­se­re Kin­der dann den Kopf schüt­teln und sagen: lei­der nein.

Die­ser Ar­ti­kel wurde am 3. Fe­bru­ar 2021 in der «Fi­nanz & Wirt­schaft» in leicht ver­än­der­ter Form ver­öf­fent­licht.