Zah­len be­le­gen: Per­so­nen­frei­zü­gig­keit führt nicht zu mehr Kri­mi­na­li­tät

Die Schweiz ist ein Land mit tie­fer Kri­mi­na­li­täts­ra­te. Den­noch be­haup­ten die In­iti­an­ten der Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve, dass die Per­so­nen­frei­zü­gig­keit unser Land un­si­che­rer macht. Die Fak­ten zei­gen aber klar ein an­de­res Bild. Der freie Per­so­nen­ver­kehr hat nicht zu einer hö­he­ren Kri­mi­na­li­tät in der Schweiz ge­führt. Viel­mehr führt eine gute grenz­über­schrei­ten­de Zu­sam­men­ar­beit zu einer bes­se­ren Er­folgs­ra­te bei der Ver­fol­gung und Be­kämp­fung von Straf­ta­ten. Er­fah­ren Sie, warum es sich für die Be­für­wor­ter der In­itia­ti­ve trotz­dem lohnt, mun­ter das Ge­gen­teil zu be­haup­ten.

Kri­mi­na­li­tät in un­se­rer Ge­sell­schaft leh­nen wir alle ab. Da sind wir uns wohl einig. Die­ses Grund­ge­fühl ver­su­chen nun die In­iti­an­ten der Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve unter dem Deck­man­tel «Be­gren­zungs­in­itia­ti­ve» sich ge­zielt zu­nut­ze zu ma­chen. Immer wie­der wird fel­sen­fest be­haup­tet, die Schweiz habe wegen der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit mit der Eu­ro­päi­schen Union (EU) eine hö­he­re Kri­mi­na­li­tät und sei ge­ne­rell un­si­che­rer ge­wor­den. Es braucht nicht viel, um zu mer­ken, dass dies Unfug ist. Ein Blick auf ak­tu­el­le Sta­tis­ti­ken ent­kräf­tet die­ses Ar­gu­ment ziem­lich rasch. Denn die Fak­ten zei­gen das Ge­gen­teil. Es las­sen sich keine Hin­wei­se fin­den, dass es in den letz­ten Jah­ren zu einer Zu­nah­me der Kri­mi­na­li­tät auf­grund des frei­en Per­so­nen­ver­kehrs ge­kom­men ist. Ge­mäss Bun­des­amt für Sta­tis­tik blie­ben schwe­re Ge­walt­ak­te in ab­so­lu­ten Zah­len seit 2009 etwa kon­stant und Fälle min­de­rer Ge­walt sind sogar rück­läu­fig.

Die Ge­waltstraf­ta­ten pro 1000 Ein­woh­ner sind in der Schweiz seit 2009 rück­läu­fig.

Dies zeigt sich auch darin, dass die An­zahl der Ge­waltstraf­ta­ten pro 1000 Ein­woh­ner in fast allen Ka­te­go­ri­en ge­sun­ken ist. Gab es bei­spiels­wei­se 2009 gegen 1,4 Kör­per­ver­let­zun­gen auf 1000 Ein­woh­ner, waren es 2019 noch knapp unter einer. Auch das lässt sich beim Bun­des­amt für Sta­tis­tik nach­le­sen.

Wie kri­mi­nell sind nun aber Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der in der Schweiz tat­säch­lich? Hier lohnt sich ein Blick auf den Straf­voll­zug: 2017 stellt die stän­di­ge aus­län­di­sche Wohn­be­völ­ke­rung 22,3 Pro­zent aller In­haf­tier­ten dar, 11,7 Pro­zent Asyl­su­chen­de und 29 Pro­zent die üb­ri­gen Aus­län­der. Ich finde das be­mer­kens­wert: Der An­teil der stän­di­gen aus­län­di­schen Wohn­be­völ­ke­rung an den In­haf­tier­ten ent­spricht in etwa ihrem Be­völ­ke­rungs­an­teil.

Das Pro­blem sind nicht eu­ro­päi­sche Zu­wan­de­rer, son­dern aus­län­di­sche Kri­mi­nal­tou­ris­ten.

Den gröss­ten An­teil an den In­haf­tier­ten haben Aus­län­der ohne Wohn­sitz in der Schweiz, das heisst Kri­mi­nal­tou­ris­ten. Die haben nun aber mit der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit mit der EU gar nichts am Hut, denn dort geht es um Nie­der­ge­las­se­ne und Grenz­gän­ger. Ich möch­te hier noch kurz er­wäh­nen, dass die Schwei­zer Po­li­zei­kräf­te dank des Schen­ge­ner Ab­kom­mens mit Eu­ro­pa Zu­gang zu einem grenz­über­schrei­ten­den Si­cher­heits- und In­for­ma­ti­ons­sys­tem (SIS) haben – eine ge­samt­eu­ro­päi­sche Da­ten­bank. Un­se­re Po­li­zei kann bei­spiels­wei­se dank des SIS Ver­däch­ti­ge oder ge­stoh­le­ne Fahr­zeu­ge aus dem Aus­land in­nert kür­zes­ter Zeit iden­ti­fi­zie­ren und die Straf­ta­ten ver­fol­gen.

Auch die Zahl der er­fass­ten Opfer von Straf­ta­ten ist ge­sun­ken – um einen Drit­tel seit 2012.

Bli­cken wir noch auf die Ent­wick­lung der Opfer von Straf­ta­ten. Hier ist mir auf­ge­fal­len, dass in der Schweiz die Zahl der Ge­schä­dig­ten zu­rück­ge­gan­gen ist. Seit 2009 hat­ten wir im Jahr 2012 mit 342'580 Fäl­len die höchs­te Op­fer­zahl. Bis 2019 sank die An­zahl Ge­schä­dig­ter auf 237'971. Somit hat­ten wir letz­tes Jahr über 100'000 we­ni­ger Opfer von Straf­ta­ten in der Schweiz als noch vor sie­ben Jah­ren. Ich finde die­sen Rück­gang um rund einen Drit­tel po­si­tiv. Somit ist es ein­fach nur falsch zu be­haup­ten, dass wegen der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit die Kri­mi­na­li­tät bei uns an­ge­stie­gen ist.

Selbst die stark um­strit­te­ne SVP-Stu­die über die Ef­fek­te der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit kommt zum Schluss: «Die Kri­mi­na­li­täts­ra­te der Ein­wan­de­rer aus den wich­tigs­ten Her­kunfts­län­dern ist nicht we­sent­lich höher als jene der Schwei­zer Bür­ger.»

Die In­iti­an­ten der Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve füh­ren das Stimm­volk mit dif­fu­ser Angst­ma­che­rei be­wusst in die Irre.

Da die Fak­ten auf­zei­gen, dass die Per­so­nen­frei­zü­gig­keit die Kri­mi­na­li­tät in der Schweiz nicht er­höht, warum be­haup­ten denn die In­iti­an­ten lau­fend das Ge­gen­teil? Liegt es viel­leicht daran, dass bei Mei­nungs­um­fra­gen die Be­frag­ten je­weils mehr­heit­lich ant­wor­ten, sie füh­len sich je län­ger je un­si­che­rer? Die In­iti­an­ten ver­su­chen also mit ihren Be­haup­tun­gen dif­fu­se Ängs­te zu be­wirt­schaf­ten. Damit kön­nen sie nur punk­ten, wenn in der brei­ten Öf­fent­lich­keit nicht über die Fak­ten ge­spro­chen wird.

Hin­weis: Die Aus­sa­gen in die­sem Blog stüt­zen sich auf fol­gen­de Quel­len: Bun­des­amt für Sta­tis­tik, Dirk Baier («Mi­gra­ti­on und Kri­mi­na­li­tät in der Schweiz», Zür­cher Hoch­schu­le für An­ge­wand­te Wis­sen­schaf­ten (ZHAW), April 2020, u.a. S. 25, S. 28), «Wirt­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen der Bi­la­te­ra­len I auf Schwei­zer Bür­ger» (Eu­ro­pe Eco­no­mics, April 2020, S. 88).