Augenmass statt Abrissbirne: Ja zum Covid-19-Gesetz
Jede erfahrene Feuerwehr besitzt eine Vielzahl von erprobten Geräten und Werkzeugen, um erfolgreich Brände bekämpfen und Menschenleben retten zu können: vom Tanklöschfahrzeug über den Feuerlöscher bis hin zur Kübelspritze steht ihr permanent ein breites Arsenal an Ausrüstungsgegenständen zur Verfügung. Für jede Situation das passende Mittel – damit das Feuer möglichst rasch und mit möglichst geringem Schaden gelöscht werden kann.
Mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie verhält es sich ganz ähnlich: Auch hier hilft ein breites Arsenal an Instrumenten und Werkzeugen. Allerdings war dieses Arsenal zu Beginn der Krise sehr bescheiden – weltweit und auch in der Schweiz, wo es sogar an Masken und Desinfektionsmitteln mangelte. Die einzigen Mittel vor anderthalb Jahren waren Lockdowns und Quarantänen, verbunden mit massiven Einschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens.
Heute stehen uns für die Pandemiebekämpfung neben den üblichen Hygieneregeln zahlreiche Instrumente zur Verfügung, die zwar viel feiner sind als jeder Lockdown, aber ebenfalls sehr wirksam: Testen, Contact Tracing, Impfen, Covid-App und das Covid-Zertifikat. Mit dem gezielten Einsatz dieses Instrumentariums können wir ohne weitere Lockdowns über die Runden kommen. Betriebsschliessungen und -verbote gilt es unbedingt zu verhindern, denn die Kosten dafür sind unverhältnismässig hoch und belasten unser Land noch während vieler Jahre.
Das Covid-Zertifikat ermöglicht uns ein Stück Normalität im Alltag.
Vor allem ein Instrument sorgt im Vorfeld der Volksabstimmung über das Covid-19-Gesetz für emotionale Debatten: das Covid-Zertifikat. Ein Impf-, Genesungs- oder Testnachweis als Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben lässt insbesondere jene auf die Barrikaden steigen, die sich partout nicht impfen lassen wollen und die nicht bereit sind, die Kosten für ihre Covid-Tests selbst zu tragen.
Die Referendumsführer gegen das Covid-19-Gesetz greifen nun zur Abrissbirne: Sie wollen dem Covid-Zertifikat die gesetzliche Grundlage entziehen. Aus Sicht der Wirtschaft ist dieses Ansinnen problematisch, weil es eine geregelte Normalisierung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in der Schweiz massiv erschwert. Das Covid-Zertifikat besticht nämlich durch den enormen Vorteil, dass es immer grösser werdenden Teilen der Bevölkerung trotz anhaltender Pandemie ein Stück Normalität im Alltag ermöglicht. Das Zertifikat ist ein ausserordentlich praktisches, wirksames und effizientes Instrument. Seine Nutzung hinterlässt keine Spuren, ist einfach und verständlich und vor allem: Es funktioniert nicht nur in der Schweiz, sondern auch im europäischen Ausland und wohl bald auch in anderen Ländern ausserhalb Europas.
In Zeiten der Pandemie braucht der internationale Tourismus ein Zertifikat. Ohne eine international anerkannte Schweizer Zertifikatslösung würden viele Gäste die Schweiz wohl meiden. Touristen wären verunsichert, ob sie sich mit ihren Zertifikaten aus ihrem Heimatland auch in der Schweiz frei bewegen könnten. Zudem würden sich viele die Frage stellen, ob die Schweiz ihre Gäste ausreichend vor Corona-Infektionen schützt. Auch für Kongresse und Symposien ist das Zertifikat wichtig: Unternehmen und Institutionen würden ihre Mitarbeitenden dafür kaum mehr in die Schweiz reisen lassen wollen, wenn sie nicht sicher sein können, dass hier alle Anwesenden geimpft, genesen oder wenigstens getestet sind.
Beweisen wir helvetisches Augenmass und sagen JA zum Covid-19-Gesetz.
Das Covid-Zertifikat ermöglicht auch grenzüberschreitende Geschäftsreisen: Sowohl für Schweizer, die im Ausland ihre Kunden oder ihre Niederlassungen besuchen, wie auch für ausländische Fachkräfte oder Kunden, die in der Schweiz Maschinen reparieren, besichtigen oder kaufen wollen. Das Zertifikat ermöglicht ein einfaches und europaweit standardisiertes Verfahren. Auch wenn die Schweiz kein Zertifikat mehr hätte, wird man im Ausland vorderhand weiterhin auf dieses probate Mittel setzen.
Wenn das Covid-Zertifikat in der Schweiz wegfällt, würden auch Ferienreisen von hier aus in EU-Länder erheblich erschwert werden. Dort ist nämlich vorerst bis Juli 2022 das Zertifikat für Reisen obligatorisch.
Zertifikatskontrollen bei Anlässen, in Hotels und in Restaurants verursachen deutlich geringere Kosten als Betriebsschliessungen. Eine Zertifikatspflicht ist also – etwa im Gegensatz zu einem Betriebsverbot – aus unternehmerischer Sicht eine verhältnismässige Einschränkung. Verglichen mit den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und psychischen Folgen von Lockdowns und Quarantänen ist die Zertifikatspflicht leichter zu verkraften.
Der Einsatz des Covid-Zertifikats ist eine Massnahme mit Augenmass, eine Massnahme, die hilft, weitere Lockdowns mit gravierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen zu verhindern. Von einer Ablehnung des Covid-Gesetzes wäre indes nicht nur das Zertifikat betroffen, sondern auch die finanziellen Unterstützungsbeiträge für wirtschaftlich Geschädigte. Das ist nicht im Sinne der Wirtschaft, sie braucht möglichst weitgehende Rechtssicherheit – auch und gerade in der Krise. Warum also gleich das ganze Haus abreissen, wenn das Feuer leicht mit anderen Mitteln eingedämmt werden kann?
Der Bundesrat, eine grosse Mehrheit des Parlaments und die Wirtschaft unterstützen die Vorlage, weil das Gesetz bei der weiteren Bekämpfung der Corona-Pandemie hilfreich ist. Beweisen wir also unser typisch helvetisches Augenmass und sagen wir Ja zum Covid-19-Gesetz.
Die Erstpublikation dieses Textes erfolgte in leicht gekürzter Form in der «NZZ» vom 27. Oktober 2021.