Schweizer Erfolgsfaktoren gelten auch in der digitalen Zukunft
- Introduction Executive summary | Positions of economiesuisse
- Chapter 1 Der digitale Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft
- Chapter 2 Bisherige Erfolgsgaranten für die Schweiz
- Chapter 3 Warum diese Erfolgsfaktoren auch in Zukunft den richtigen Orientierungsrahmen bilden
- Chapter 4 Fazit und Leitlinien für die Zukunft
Der digitale Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft
Chancen und Unsicherheit bei Unternehmen und Menschen
Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist seit einiger Zeit in aller Munde. Denn der rasche technologische Fortschritt verändert das Verhalten von Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten sowie Arbeitnehmenden. Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen sowie Jobprofile wandeln sich.
Diese Veränderungen eröffnen unzählige neue Möglichkeiten. Sie erzeugen aber auch Unsicherheit bei Unternehmen und Menschen bezüglich ihrer Wettbewerbsfähigkeit, respektive ihrer Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig eröffnet der technologische Fortschritt uns allen als Konsumentinnen und Konsumenten erfreuliche neue Perspektiven in Form von günstigeren, transparenteren und bequemeren Angeboten. Viele Unternehmen und Staaten streben danach, sich in diesem wandelnden digitalen Umfeld an die Spitze zu setzen. Gleichzeitig tauchen neue Herausforderer auf, die die etablierten Akteure konkurrenzieren.
Es ist offensichtlich: Mit dem technologischen Fortschritt geht ein struktureller Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft einher, der Chancen und Herausforderungen mit sich bringt und damit auch Fragen aufwirft. So erstaunt es nicht, dass einige politische Akteure den digitalen Wandel mittels Regulierungen in eine bestimmte Bahn lenken wollen. Andere versuchen, die Verunsicherung auszunutzen und altbekannte und bislang nicht mehrheitsfähige politische Forderungen unter neuen Vorzeichen wieder aufs Tapet zu bringen.
Schweiz muss auf ihren heutigen Stärken aufbauen
Bei Regulierungen in diesem hoch dynamischen Umfeld ist grosse Vorsicht geboten. Die Schweiz gehört derzeit zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt. Ihr Erfolg beruht auf grundlegenden Erfolgsfaktoren, die nicht leichtsinnig durch voreilige regulatorische Eingriffe aufs Spiel gesetzt werden dürfen. Vielmehr geht es darum, die Chancen der Digitalisierung optimal zu nutzen. Und dafür braucht es nicht Regulierung, sondern exakt das Gegenteil, nämlich möglichst viel unternehmerischen Freiraum. Die Entwicklung neuer Geschäftsideen, neuer Produkte und Dienstleistungen und die optimale Ausnutzung der digitalen Chancen erfolgen in den Unternehmen und nicht auf dem Reissbrett der Politik. Die Schweiz wird dann als Digitalisierungsgewinnerin dastehen, wenn sie auf ihren Stärken aufbaut und den Unternehmen durch gute Rahmenbedingungen erlaubt, die sich bietenden Chancen zu packen.
Mit anderen Worten: Bei regulatorischen Eingriffen dürfte sich «Eile mit Weile» auch im Rennen um die besten Plätze im digitalen Zeitalter ausbezahlen.
Digitale Transformation: Was ändert sich?
Die digitale Entwicklung wird oft als grundsätzlicher technologischer Umbruch mit revolutionärem Charakter dargestellt. Sie wird in eine Reihe gestellt mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts durch die Erfindung der Dampfmaschine (erste industrielle Revolution), der Einführung der arbeitsteiligen Fliessbandproduktion dank elektrischer Energie zu Beginn des 20. Jahrhunderts (zweite industrielle Revolution) und der Automatisierung der Produktion durch den Einsatz von Computern in den 1970er-Jahren (dritte industrielle Revolution).
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Viele beschreiben die Digitalisierung als vierte industrielle Revolution. Doch im Unterschied zur ersten und zweiten industriellen Revolution findet die Entwicklung heute viel fliessender statt.
Elemente der digitalen Transformation
Der digitale Wandel ist umfassend, er betrifft alle und alles. Deshalb ist es auch schwierig, dieses Phänomen einzugrenzen und eindeutig zu definieren. Rechtfertigt es sich, von einer vierten industriellen Revolution zu sprechen? Welche Entwicklungen kennzeichnen den digitalen Wandel? (In Anlehnung an BDI/Roland Berger):
- Automatisierung: Roboter und selbstfahrende Fahrzeuge sind die prominentesten Beispiele für die Automatisierung verschiedener Prozesse. Durch die intelligente Kombination klassischer Technologien mit künstlicher Intelligenz entstehen autonom arbeitende Maschinen und Systeme. Diese sind dank höherer Produktivität bei gleichzeitig tieferen Kosten effizienzsteigernd.
- Vernetzung: Die digitale Entwicklung ermöglicht dank dem Einsatz leistungsstarker Rechner und Netzinfrastrukturen die unternehmensübergreifende, digitale Vernetzung von Produktionsprozessen. Alle Bereiche des Wirtschaftens können durchgängig und in Echtzeit miteinander vernetzt werden. Die reale Welt und die virtuelle Welt verschmelzen im Internet der Dinge. Beispielsweise, indem die Logistiksysteme einer Firma selbstständig mit den Produktionsanlagen kommunizieren (Smart Factory) oder die Kaffeemaschine selbstständig neuen Kaffee bestellt (Internet der Dinge).
- Datenverarbeitung: Die Vernetzung von Produkten, Prozessen, Maschinen und Menschen generiert Daten. Diese bilden eine wichtige Grundlage für erfolgreiches unternehmerisches Handeln. Daten werden zur Optimierung bestehender Geschäftsmodelle genutzt (Big Data/Smart Data). Daten bilden aber auch die Grundlage für bisher ungenutzte Wertschöpfungspotenziale. Neue, branchenfremde Akteure treten auf den Markt und fordern bestehende Wertschöpfungsprozesse mit neuen, datenbasierten Geschäftsmodellen heraus. Am Anfang dieser Entwicklung standen einfache datenbasierte Empfehlungssysteme (Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, kauften auch …). Aus der Verknüpfung und Analyse von Daten lassen sich aber auch präzise Prognosen ableiten und etwa vorausschauend Reparaturen von Maschinen oder der Austausch von Ersatzteilen planen (Predictive Maintenance).
- Kundenzugang: Durch den Einsatz moderner und mobiler Kommunikationsmöglichkeiten, beispielsweise über Apps oder soziale Medien, wird einerseits ein direkter Zugang zum Kunden möglich, klassische Intermediäre fallen weg. Andererseits entstehen digitale Plattformen, deren Rolle in der Zusammenführung der Marktakteure liegt. So bieten heute diverse Hersteller ihren Kunden die Möglichkeit, direkt online ein individuelles Produkt zu bestellen (Farben, Materialien, Grösse). Sie umgehen so für einen Teil ihrer Produktion den Einzelhandel und treten in direkten Kontakt mit ihren Kunden. Hersteller erhalten dadurch ganz unmittelbar von ihren Kunden Rückmeldungen über das verkaufte Produkt und können es entsprechend verbessern.
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Im Kern wirkt die Digitalisierung über diese vier Hebel, die durch neue Basistechnologien und Infrastrukturen (Enabler) und neue Geschäftsmodelle (Propositionen) gestützt werden.
Entwicklungen haben evolutiven und revolutionären Charakter
Diese Entwicklungen zeigen auf, dass der technologische Fortschritt Evolution und Revolution zugleich ist. Einerseits ermöglicht er es, die Effizienz durch die Automatisierung von Prozessen zu steigern und dadurch Produkte und Dienstleistungen laufend zu verbessern (Evolution). Andererseits können durch die exponentiell gestiegenen Möglichkeiten in der digitalen Datenverarbeitung gänzlich neue Geschäftsmodelle entstehen, die sich oftmals durch dynamische Wertschöpfungsnetzwerke kennzeichnen. Bekannte Beispiele sind die 3D-Drucktechnologie, Plattformanbieter wie der Unterkunftsvermittler Airbnb oder der Fahrvermittler Uber. Ein wichtiger Treiber solcher Entwicklungen sind die tiefen Kommunikations- und Transaktionskosten, die es erlauben, ein neues Geschäftsmodell schnell und insbesondere länderübergreifend zu skalieren.
Der Übergang zwischen Evolution und Revolution kann dabei fliessend sein, wie beispielsweise das Smartphone zeigt. Vor zehn Jahren stellte Apple mit dem iPhone ein weiterentwickeltes Smartphone vor. Aus den Wechselwirkungen zwischen Produkt, Konkurrenzprodukten und Umfeld (Apps, mobiles Breitband, mobile Zahlungssysteme) entwickelte sich schliesslich ein ganzes wirtschaftliches Ökosystem, das heute einen wesentlichen Wachstumstreiber darstellt.
Technologische Entwicklung und gesellschaftlicher Wertewandel gehen Hand in Hand
Viele der neuen Geschäftsmodelle, beispielsweise in der sharing economy, wurden erst möglich, weil sich parallel zum technischen Fortschritt (Datenverarbeitung, digitale Infrastrukturen) auch soziale Werte verändert haben. Bestes Beispiel ist wiederum Airbnb – oder konnten sich unsere Grosseltern vorstellen, ihre Wohnung für einige Tage einem Wildfremden zu überlassen? Zwischen dem Wertewandel und der Entwicklung besteht eine Wechselwirkung. Eine technologische Entwicklung kann sich ohne Akzeptanz nicht durchsetzen, gleichzeitig wird die Akzeptanz durch die Entwicklung beeinflusst.
Gesamthaft können wir davon ausgehen, dass die Veränderungen durch die technologische Entwicklung weiterhin massiv ausfallen werden. Dies führt aber nicht dazu, dass sich die grundlegenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Spielregeln ändern.
Technologischer Fortschritt als Strukturwandel
Zwar geht mit dem technologischen Fortschritt zwangsläufig ein wirtschaftlicher Strukturwandel einher. Doch das war früher nicht anders. Wie sich in der Vergangenheit die Zusammensetzung der volkswirtschaftlichen Strukturen stark verändert hat, wird es auch in Zukunft zu Umwälzungen der Wirtschaftssektoren und Branchen kommen. Die Frage ist nicht, ob der wirtschaftliche Wandel gut oder schlecht ist: Er wird einfach stattfinden. Ob wir wollen oder nicht. Die Erfahrungen der Geschichte zeigen nur allzu deutlich, dass sich die Entwicklung nicht aufhalten lässt. Länder, die mit protektionistischen Massnahmen die bestehenden Industrien oder überholte Geschäftsmodelle schützen wollten, scheiterten langfristig kläglich. Die Strukturanpassung würde einfach verzögert, aber dann umso radikaler erfolgen.
Die Schweizer Wirtschaft war schon in der Vergangenheit konstantem Strukturwandel ausgesetzt. Eine Stärke unserer Volkswirtschaft war dabei, dass sie sich stets erfolgreich an die Veränderungen anpassen konnte. So war beispielsweise um 1900 noch fast ein Drittel der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. Heute sind es weniger als vier Prozent und dennoch herrscht in der Schweiz nahezu Vollbeschäftigung.