Riyad

Weitreichende Reformvorhaben in Saudi-Arabien

Unter der Leitung von Seco-Botschafterin Livia Leu ist diese Woche eine Schweizer Wirtschaftsdelegation nach Saudi-Arabien gereist. Kern des Besuchs war die Sitzung der Gemischten Wirtschaftskommission, bei welcher die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen erörtert und Verbesserungen aufgegleist wurden. Nicht nur die  Bestrebungen zur Transformation der Wirtschaft, sondern auch gesellschaftspolitische Reformen wurden diskutiert.

Die saudische Wirtschaft – die grösste der arabischen Länder – wurde vom Einbruch des Ölpreises stark getroffen. Fast zeitgleich übernahm der neue König Salman die Regierungsgeschäfte und liess ein weitreichendes Reformprogramm ausarbeiten. Der Staat macht rund 60 Prozent des saudischen Bruttoinlandprodukts (BIP) aus, Grundlage der Wirtschaft sind die Einnahmen aus dem Erdölexport. Der Staat ist der mit Abstand grösste Arbeitgeber, die Staatsunternehmen dominieren die Wirtschaft und die Bevölkerung erhält in fast allen Bereichen Subventionen.

Der Preissturz des Erdöls halbierte die Staatseinnahmen, das Wirtschaftswachstum ging auf 1,2 Prozent (2016) zurück. Das kostete das Land rund eine Million Arbeitsplätze. Betroffen waren nicht allein ausländische Arbeitskräfte, die das Land wieder verliessen, sondern auch die Saudis direkt: Die Arbeitslosigkeit ist auf elf Prozent gestiegen.  

Zweitwichtigster Handelspartner im Mittleren Osten

Auch die Schweizer Exporte in das Land gingen von 4,8 Milliarden (2015) auf 2,8 Milliarden Franken im vergangenen Jahr zurück. Saudi-Arabien ist der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz im Mittleren Osten, denn die Kaufkraft der über 30 Millionen Einwohner ist vergleichsweise hoch. Gefragt sind vor allem Gold, Pharmaprodukte, Maschinen und Uhren aus der Schweiz.

An der 10. Sitzung der Gemischten Wirtschaftskommission Saudi-Arabien/Schweiz wurden Verbesserungen bei der Anwendung des bestehenden Freihandelsabkommens, der Visaerteilung, technischen Handelshemmnissen, der Medikamentenzulassung und bei den zum Teil massiven Zahlungsrückständen behandelt. Ein bilaterales Doppelbesteuerungsabkommen ist in Griffweite – auch wenn hier noch nicht alle Fragen geklärt werden konnten. Beim Investitionsschutzabkommen strebt das Königreich eine Revision an.

Saudische Wirtschaft soll sich vom Öl emanzipieren

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes als Folge der Ölpreisentwicklung haben die Dringlichkeit von Wirtschaftsreformen deutlich gemacht. Die Stützung der Binnennachfrage durch eine Ausweitung der Staatsausgaben liess die Verschuldung innert dreier Jahre von fünf Prozent des BIP (2015) auf 25 Prozent (Schätzung für 2017) emporschnellen. Ein langfristig ausgerichteter Transformationsplan soll hier die Wirtschaft von den Öleinnahmen unabhängig machen. Dazu soll der Privatsektor stark wachsen. Gleichzeitig soll ein Zurückfahren der Subventionen für die Privathaushalte die Staatsausgaben wieder ins Lot bringen und starke Anreize für den Eintritt in den Arbeitsmarkt schaffen.

Nicht nur wegen der starken Ölabhängigkeit befindet sich Saudi-Arabien vor grossen strukturellen Herausforderungen. So ist beinahe die Hälfte der Bevölkerung jünger als 30 Jahre – allein im letzten Jahr wurden 700‘000 Kinder eingeschult. Saudi-Arabien muss mehr Arbeitsplätze für die rasch wachsende Bevölkerung schaffen. Mit der «Saudization» des Arbeitsmarkts soll die Erwerbsquote der einheimischen Bevölkerung erhöht werden: Ausländische Unternehmen sind verpflichtet, eine bestimmte Quote an Saudis anzustellen. Diese Quote schwankt je nach Branche zwischen zehn bis 40 Prozent und wird kontinuierlich erhöht. Ausnahmen sind möglich – zum Beispiel bei einem Mangel an ausreichend qualifizierten Einheimischen. Hier eine wirtschaftsverträgliche Balance zu finden, wird nicht einfach sein.

Langfristige gesellschaftliche Reformen

Saudi-Arabien hat erkannt, dass es den Fachkräftemangel anpacken muss und schickt heute mittels Stipendien über 100‘000 Studierende ins Ausland, darunter auch Frauen. Und was im Westen noch kaum wahrgenommen wird: Die Reformen beschränken sich nicht auf die Wirtschaft, sondern gehen viel weiter. Die Erwerbsquote der Frauen soll bis ins Jahr 2030 auf 30 Prozent erhöht werden. Der Tourismus soll gefördert werden, insbesondere der Binnentourismus. Es wurde eine Behörde für Unterhaltung ins Leben gerufen – erstmals seit langer Zeit werden wieder Kulturveranstaltungen wie Konzerte durchgeführt. Im Privaten ist man hier schon weiter: Kein anderes Land hat eine so hohe Dichte an Satellitenschüsseln, und Social Media werden intensiv genutzt.   

Die Gesprächspartner auf Regierungs- und Unternehmensebene sprachen die vielfältigen Herausforderungen an. Geopolitisch befindet sich das Land in einer Region mit vielen ungelösten Konflikten, gesellschaftspolitische Reformen müssen langfristig ausgerichtet werden, um keine konservative Gegenreaktion auszulösen. Nicht alle angekündigten Reformen werden in den kommenden 14 Jahren wie angedacht auch umgesetzt werden können. Ein Hauptrisiko für die Reformen stelle eine Erholung des Ölpreises dar, so ein erfolgreicher Industrieller. Steige der Ölpreis jetzt wieder, würde sich der Reformdruck verflüchtigen und das Land in die bisherige Bequemlichkeit zurückfallen. So gesehen hat der jüngste Rückgang des Ölpreises auf ein Fünfmonatstief auch Vorteile für den weltweit wichtigsten Erdölexporteur.