Bahnausbau: Legitime Anliegen der Wirtschaft diskutieren
Die Bahninfrastruktur der Schweiz ist Spitzenklasse und der externe Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft ist unbestritten. Die Schiene bringt Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen, verbindet Unternehmen mit Kunden und Absatzmärkten und ist ein Rückgrat der Tourismusdestination Schweiz. Solche Überlegungen und die Alltagsbilder überfüllter Pendlerzüge haben den Ständerat dazu bewogen, die Vorlage zu Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI), die der Nationalrat kommende Woche als Zweitrat behandeln wird, von 3,5 Milliarden auf 6,4 Milliarden Franken aufzustocken.
Auch die Beratungen in der nationalrätlichen Verkehrskommission deuten nicht auf einen Richtungswechsel hin. Regionalinteressen und vermeintlich einfache Finanzierungslösungen sind Hauptgründe, die den Entscheid für zusätzliche Ausbauten gefördert haben. Dabei war die Ausgangslage klar: Der vom Bund überwiegend mit Bundesgeldern finanzierte Bahnausbau muss einer nationalen Prioritätenordnung folgen. Der Bundesrat war mit seinem Vorschlag dieser Maxime grundsätzlich gefolgt.
Eine Diskussion zu anderen zentralen Punkten der Vorlage hat bislang kaum stattgefunden. Dies trotz der inhaltlichen und zeitlichen Bedeutung der Vorlage – die vorgeschlagene Finanzierungslösung soll in der Verfassung verankert werden und für die Zukunft unbefristet gelten. Aus Sicht von economiesuisse sind folgende Punkte nochmals ernsthaft zu prüfen:
Erstmalige Zweckbindung der direkten Bundessteuer wäre ein Sündenfall: Die direkte Bundessteuer soll für die Schienenfinanzierung erstmals zweckgebunden werden. Die Zweckbindung erfolgt über die Begrenzung des Fahrkostenabzugs bei der Einkommenssteuer (Pendlerabzug). Die direkte Bundessteuer ist nach der Mehrwertsteuer die Haupteinnahmequelle des Bundes. Sie finanziert den allgemeinen Bundeshaushalt und steht für sämtliche Bundesaufgaben zur Verfügung. Würden Anteile der direkten Bundessteuer zweckgebunden, ginge dies zulasten der übrigen Aufgaben, die über kein solches Privileg verfügen. Wie das Beispiel der Mehrwertsteuer zeigt, öffnen Zweckbindungen zudem Steuererhöhungen Tür und Tor. Wo immer Wünsche für zusätzliche Finanzmittel bestehen, laufen diese heute über die Mehrwertsteuer – auch im Fall der FABI-Zusatzausbauten. Die direkte Bundessteuer muss vor diesem Druck geschützt werden. Ein Paradigmenwechsel hätte absehbar schädliche Konsequenzen. Die Begrenzung des Pendlerabzugs und die damit einhergehende Steuererhöhung ist zudem steuersystematisch willkürlich und geht einseitig zulasten der Autopendler.
Scheinlösung bei der Mineralölsteuer – NEAT-Viertel gehört zurück in die Strassenkasse: Für die geplante Weiterverwendung von Mitteln aus der Mineralölsteuer für die Schienenfinanzierung (300 Millionen Franken, heute befristet für den NEAT-Bau reserviert) gibt es aus einer verkehrsträgerübergreifenden Perspektive keine Grundlage. Die Strasse selbst steht bei der Finanzierung vor grossen Problemen und eine Erhöhung der Mineralölsteuer ist absehbar. In dieser Lage ist eine weitere Zweckentfremdung von Mitteln sachlich nicht plausibel und gefährdet die künftige Strassenfinanzierung. Die Politik ist deshalb angehalten, Wort zu halten und den Mineralölsteueranteil nach Beendigung der NEAT-Projekte wieder der Strasse zur Verfügung stellen.
Regionale Projekte erfordern stärkeres Engagement der Kantone: Ein Minderheitsantrag im Nationalrat verlangt, dass der Beitrag der Kantone an die künftige Schienenfinanzierung von 500 Millionen auf 800 Millionen Franken erhöht wird. Denn die von der Politik zusätzlich geplanten Ausbauten sind besonders stark von regionalem Nutzen. Die Kantone müssen deshalb verstärkt auch in die Finanzierungspflicht genommen werden. Bei der Bestellung des Regionalverkehrs bestehen heute Fehlanreize. Diese sollen zumindest beim künftigen Infrastrukturausbau entschärft werden.
Befristung des Bahninfrastrukturfonds auf 2030: Mit dem neuen Bahninfrastrukturfonds (BIF) soll der Finanzierungsmechanismus für den Bahnausbau auf Verfassungsebene verbindlich festgeschrieben werden. Eine Befristung des Fonds bis 2030, wie es ein Minderheitsantrag verlangt, würde es Parlament und Volk ermöglichen, die Zweckmässigkeit der gewählten Finanzierungsformel periodisch zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Dieses System der periodischen Erneuerung gilt heute für die grossen Steuern des Bundes und funktioniert problemlos.
Wenn der Nationalrat nächste Woche über FABI entscheidet, gilt es dabei auch die Konsequenzen zu berücksichtigen. Der avisierte Ausbauschritt von 6,4 Milliarden Franken wird Folgekosten verursachen, die den Bahninfrastrukturfonds in Zukunft vor Probleme stellen wird. So werden die zusätzlichen Unterhalts- und Betriebskosten die Möglichkeiten für künftige dringende Engpassbeseitigungen und Ausbauten einschränken. (Zu) rasch gefällte Ausbauentscheide sind keine neue Erscheinung. Dass die vor wenigen Jahren beschlossenen Ausbauten beim Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) zurückhaltender hätten ausfallen sollen und heute nicht mehr so geplant würden, ist eine breit geteilte Meinung.
Wenn die Politik am regionalpolitisch motivierten überhöhten ersten Ausbauschritt festhalten sollte, muss dem Volk wenigstens eine Vorlage präsentiert werden, die den vollen Preis des angedachten Projekts inklusive aller notwendigen Steuererhöhungen und Folgekosten transparent wiedergibt – ohne Sündenfälle und Scheinlösungen.