Was ist die güns­tigs­te Strom­er­zeu­gung?

Emis­si­ons­ar­me Tech­no­lo­gi­en wie Wind-, Was­ser-, Solar- und Kern­kraft wei­sen ge­ne­rell das beste Kos­ten-Nut­zen-Ver­hält­nis für den Aus­bau der Strom­pro­duk­ti­on auf. Wel­che Tech­no­lo­gie genau wel­chen Bei­trag zur Ver­sor­gungs­si­cher­heit leis­ten kann ist hoch­kom­plex und ab­hän­gig vom Ein­zel­fall. Die Po­li­tik soll­te sich dar­auf fo­kus­sie­ren, gute Rah­men­be­din­gun­gen zu schaf­fen und Kos­ten­ef­fi­zi­enz si­cher­zu­stel­len, nicht spe­zi­fi­sche Tech­no­lo­gi­en zu för­dern.

Die Frage nach den Kos­ten sowie Vor- und Nach­tei­len der ver­schie­de­nen En­er­gie­quel­len treibt mo­men­tan die Ge­mü­ter um. Spä­tes­tens seit es klar ist, dass wir in der Schweiz die Strom­ver­sor­gung mit Er­neu­er­ba­ren fast ver­dop­peln müs­sen, über­bie­ten sich die Für­spre­che­rIn­nen ver­schie­de­ner Tech­no­lo­gi­en damit, die Vor­tei­le der je­wei­li­gen Tech­no­lo­gie in den Vor­der­grund zu rü­cken und die Ri­si­ken und Kos­ten an­de­rer Tech­no­lo­gi­en zu be­to­nen. Doch was sagt die Wis­sen­schaft? Und was be­deu­tet das für die Po­li­tik?

Wind, Sonne, Was­ser und Kern­kraft schnei­den am bes­ten ab

Die ge­läu­figs­te Art, die Kos­ten von Strom­pro­duk­ti­on zu be­mes­sen, sind die so­ge­nann­ten «Strom­ge­ste­hungs­kos­ten» (Le­ve­li­zed Cost of En­er­gy LCOE). Ver­ein­facht ge­sagt han­delt es sich dabei um die Ge­samt­kos­ten der Pro­duk­ti­on di­vi­diert durch die Pro­duk­ti­ons­men­ge über den gan­zen Le­bens­zy­klus einer An­la­ge. Wenn bei­spiels­wei­se ein So­lar­pa­nel 1000 Fran­ken zur Pro­duk­ti­on, In­stal­la­ti­on, War­tung und Rück­bau braucht und über zehn Jahre dabei 1000 kWh pro Jahr pro­du­ziert, wären die Strom­ge­ste­hungs­kos­ten 0.1 CHF pro Jahr und kWh.

Eine der um­fas­sends­ten Be­rech­nun­gen hier­zu hat die In­ter­na­tio­na­le En­er­gie Agen­tur (IEA) im Jahr 2020 ge­macht und kam zu fol­gen­dem Er­geb­nis (vgl. auch hier):

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Der Re­port macht zwei Haupt­aus­sa­gen: Ers­tens sind die güns­tigs­ten Tech­no­lo­gi­en Wind­kraft (auf dem Land), Lauf­zeit­ver­län­ge­run­gen der Kern­kraft­wer­ke, gros­se So­lar­an­la­gen und Stau­was­ser­kraft. Auch der Neu­bau von Kern­kraft­wer­ken, Wind­parks zu See und Lauf­was­ser­kraft schnei­den nicht schlecht ab. Für die Schweiz sind die Im­pli­ka­tio­nen si­gni­fi­kant: Die glo­ba­len Er­fah­rungs­wer­te sug­ge­rie­ren, dass die Schweiz mit einer Lauf­zeit­ver­län­ge­rung von KKW pro Jahr meh­re­re Hun­dert Mil­lio­nen Fran­ken spa­ren könn­te. Diese Rech­nung ist stark ver­ein­facht und nicht auf die Schweiz zu­ge­schnit­ten, aber die Grös­sen­ord­nung ist doch be­ein­dru­ckend, könn­te man damit doch die Strom­rech­nun­gen aller Haus­hal­te in der Schweiz für min­des­tens einen Monat zah­len.

Zwei­tens wer­den emis­si­ons­ar­me Tech­no­lo­gi­en (vor­nehm­lich Er­neu­er­ba­re und Kern­kraft) im Ver­gleich zu fos­si­len En­er­gi­en immer kos­ten­güns­ti­ger. Die­ser Ef­fekt könn­te sich durch einen stei­gen­den CO₂-Preis und die ra­pi­de stei­gen­de Ef­fi­zi­enz die­ser Tech­no­lo­gi­en noch ver­stär­ken. Ba­sie­rend auf den glo­ba­len Er­fah­rungs­wer­ten be­deu­tet das bei­spiels­wei­se, dass wir pro zehn Ter­ra­watt­stun­den Zubau mit Gross­so­lar­kraft statt fos­si­len Gas­kraft­wer­ken min­des­tens 140 Mil­lio­nen Fran­ken spa­ren – pro Jahr.

Der Ein­zel­fall machts aus

Bevor nun gleich die Bau­be­wil­li­gun­gen ein­ge­reicht wer­den oder um­ge­kehrt die Ver­fech­te­rIn­nen einer Tech­no­lo­gie, die in die­ser Be­trach­tung schlecht ab­schnei­det, em­pört zur Ge­gen­re­de aus­ho­len: Es ist in der Tat etwas kom­pli­zier­ter. Die Ge­ste­hungs­kos­ten sind eine sehr nütz­li­che Mess­me­tho­de, um die ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gi­en zu ver­glei­chen, aber sie sind nicht der Weis­heit letz­ter Schluss:

  • Die Ge­ste­hungs­kos­ten sind stark ab­hän­gig von lo­ka­len Be­din­gun­gen (To­po­gra­fie, Klima, ge­setz­li­che Rah­men­be­din­gun­gen usw.). So un­ter­schei­den sich bei­spiels­wei­se die LCOE für So­lar­gross­an­la­gen zwi­schen Japan und In­di­en um den Fak­tor fünf. Der Grund für aus­ein­an­der­fal­len­de Ge­ste­hungs­kos­ten kön­nen auf der Kos­ten­sei­te (z.B. lange, kom­ple­xe Ver­fah­ren, hohe Ar­beits­kos­ten), aber auch auf der Nut­zen­sei­te lie­gen (z.B. Son­nen­ein­strah­lung, Wind­häu­fig­keit).
  • Die Ge­ste­hungs­kos­ten be­rück­sich­ti­gen die «ex­ter­nen Ef­fek­te» nur teil­wei­se. Jede Tech­no­lo­gie ver­ur­sacht Kos­ten und Nut­zen, die nicht di­rekt im Markt­preis ab­ge­bil­det sind und damit das Bild ver­zer­ren. Zwar nimmt die IEA zum Bei­spiel einen CO₂-Preis an, um die Kli­ma­wir­kung mit­zu­be­rück­sich­ti­gen, aber al­lein das ist schon mit er­heb­li­chen An­nah­men ver­bun­den. Nicht oder nur teil­wei­se be­rück­sich­tigt wer­den auch Ef­fek­te wie die geo­po­li­ti­sche Ab­hän­gig­keit von Zu­lie­fe­rern (z.B. So­lar­ener­gie mit China) oder ein sehr un­wahr­schein­li­cher, aber po­ten­zi­ell gra­vie­ren­der Un­fall bei einem KKW. Dabei ist es oft schwie­rig bis un­mög­lich, diese ex­ter­nen Ef­fek­te mit einem Preis­schild zu ver­se­hen: Wie viel ist Un­ab­hän­gig­keit vom Aus­land wert? Oder wel­cher Scha­dens­wert und wel­che Wahr­schein­lich­keit soll­ten einem ato­ma­ren GAU zu­ge­mes­sen wer­den? Es er­klärt sich von selbst, dass der Un­fall von Tscher­no­byl im kor­rup­ten Sys­tem der So­wjet­uni­on oder der Tsu­na­mi in Fu­kus­hi­ma nicht zwin­gend sinn­vol­le Re­fe­renz­sze­na­ri­en für die Schweiz sind. Nimmt man bei­spiels­wei­se Kli­ma­wir­kung (Emis­sio­nen) und Si­cher­heit (Un­fäl­le und Luft­ver­schmut­zung) als Mass­stab, sind Solar-, Kern-, Wind- und Was­ser­kraft die klar zu be­vor­zu­gen­den Tech­no­lo­gi­en.
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  • Der ef­fek­ti­ve «Wert für das Sys­tem» ist nicht um­fas­send ab­ge­bil­det. Die Ge­ste­hungs­kos­ten stel­len auf die Ge­samt­pro­duk­ti­on ab. Nun haben wir für die Schweiz aber ein Win­ter­strom­pro­blem – Strom ist zu ge­wis­sen Zei­ten «wert­vol­ler» als zu an­de­ren. Damit sind al­pi­ne So­lar­kraft oder Kern­kraft mit si­gni­fi­kan­ter Win­ter­pro­duk­ti­on zum Bei­spiel wert­vol­ler als So­lar­pa­nel im neb­li­gen Mit­tel­land. Zwar bil­det sich diese Tat­sa­che auch in den Strom­prei­sen ab, aber die Ge­ste­hungs­kos­ten ver­mö­gen den «Wert für das Sys­tem» nicht be­frie­di­gend zu be­mes­sen. Auch Fak­to­ren wie Sys­tem­sta­bi­li­tät oder Netz­kos­ten (eine So­lar­an­la­ge nahe an be­ste­hen­den Strom­net­zen ist kos­ten­ef­fi­zi­en­ter als eine mit­ten im Nir­gend­wo, die erst er­schlos­sen wer­den muss) sind nicht ge­nü­gend ab­ge­bil­det.

In an­de­ren Wor­ten kann man den Be­fund so zu­sam­men­fas­sen: Die emis­si­ons­ar­men Tech­no­lo­gi­en sind auf dem Vor­marsch, auch wirt­schaft­lich, aber es gibt nicht eine Tech­no­lo­gie für alle Be­dürf­nis­se.

Der Markt und eine Prise Demut rich­ten es

Das Bei­spiel der Kos­ten-Nut­zen-Ana­ly­se zeigt es wie­der ein­mal: Der En­er­gie­markt ist hoch kom­plex – zu kom­plex, um eine Lö­sung auf dem Reiss­brett zu zeich­nen. Po­li­ti­sche Ziele, lo­ka­le Ge­ge­ben­hei­ten und ein­zel­fall­spe­zi­fi­sche An­for­de­run­gen ver­un­mög­li­chen eine ein­fa­che Ant­wort auf die Frage, wel­che Tech­no­lo­gie wel­chen Bei­trag zu Ver­sor­gungs­si­cher­heit und En­er­gie­wen­de leis­ten soll. Am bes­ten eig­nen sich des­halb nicht Road­maps oder En­er­gie­stra­te­gi­en, um einen ge­sun­den En­er­gie­mix zu er­rei­chen, son­dern der Markt. Die bes­ten Ent­schei­de tref­fen all die In­ves­to­ren, die im Ein­zel­fall eine sorg­fäl­ti­ge, um­sich­ti­ge Prü­fung wahr­neh­men und ihr ei­ge­nes Porte­mon­naie für ein kon­kre­tes Pro­jekt unter den rea­len Ge­ge­ben­hei­ten öff­nen. Die Po­li­tik soll­te sich eine Prise Demut auf­er­le­gen und sich dar­auf kon­zen­trie­ren, för­der­li­che, tech­no­lo­gie­of­fe­ne Rah­men­be­din­gun­gen, un­bü­ro­kra­ti­sche Pro­zes­se und eine mög­lichst kos­ten­wah­re In­ter­na­li­sie­rung ex­ter­ner Ef­fek­te zu ge­währ­leis­ten. För­der­mass­nah­men sind nicht auf spe­zi­fi­sche Tech­no­lo­gi­en, son­dern auf kos­ten­ef­fi­zi­en­ten Zubau von Er­zeu­gungs­ka­pa­zi­tät aus­zu­le­gen. Eine kon­kre­te Op­por­tu­ni­tät dazu er­gibt sich in der Früh­jahrses­si­on, wenn das Par­la­ment den Man­tel­erlass berät und Ak­zen­te set­zen kann.

Di­ver­si­tät ist auch in der En­er­gie­ver­sor­gung ge­fragt

Das Er­geb­nis wird wahr­schein­lich ein bun­ter En­er­gie­mix sein. Die Si­tua­ti­on ist ver­gleich­bar mit dem In­ves­tie­ren: Wäh­rend ei­ni­ge Hob­by­an­le­ger auf Gold schwö­ren, an­de­re Feuer und Flam­me für Im­mo­bi­li­en sind, wie­der an­de­re für Ak­ti­en bren­nen und wei­te­re sich in struk­tu­rier­te Pro­duk­te wagen, wer­den die meis­ten pro­fes­sio­nel­len In­ves­to­ren emp­feh­len, das Port­fo­lio um­sich­tig zu di­ver­si­fi­zie­ren. Auch gibt es Be­rech­nun­gen, die zei­gen, dass die Ge­samt­kos­ten eines di­ver­si­fi­zier­ten Strom­mi­xes güns­ti­ger sind als en­er­gie­po­li­ti­sche Mo­no­kul­tu­ren, da sich die Ri­si­ken und Nach­tei­le der ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gi­en aus­glei­chen. Wahr­schein­lich wird es auch gar nicht an­ders gehen, als breit auf­ge­stellt zu sein. Denn der En­er­gie­hun­ger un­se­rer mo­der­nen Ge­sell­schaft und der Dekar­bo­ni­sie­rung ist so im­mens, dass wir viel von allem brau­chen.