Ukraine-Krieg: Rohstoffknappheit und -preise schaden der Industrie
Der Krieg legt offen, wie abhängig Europa von russischem Gas ist und wie wichtig die Ukraine und Russland für die weltweite Weizen- und Sonnenblumenölproduktion sind. Noch wenig beachtet wird, dass beide Länder auch bei etlichen anderen Rohstoffen wichtige Lieferanten für den Weltmarkt sind. Der Krieg verschärft die bereits vorhandenen Lieferengpässe: Die Produktion von Chips, Autos, elektronischen Geräten oder Baumaterialien wird dadurch erschwert und verteuert.
Die Ukraine und Russland machen gemeinsam weniger als zwei Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Man könnte also davon ausgehen, dass der Krieg keine grösseren Auswirkungen auf die Weltkonjunktur haben sollte. Die Bedeutung beider Länder für die Weltwirtschaft ist aber deutlich grösser, als das die reinen BIP-Zahlen erahnen lassen. Denn die Ukraine und Russland sind nicht nur wichtige Energie- und Lebensmittelexporteure. Beide Länder produzieren auch wichtige Inputfaktoren für die Industrie.
Chip-Angebot unter Druck
Wer ein Auto oder eine Videospielkonsole kaufen möchte, kennt es bestens: Mangelnde Verfügbarkeit oder lange Lieferzeiten sind keine Seltenheit, insbesondere seit Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020. Der Grund ist häufig der Mangel an Halbleitern. Es konnte erwartet werden, dass sich die Lage ab Sommer 2022 wieder etwas entspannt. Doch nun sind mit der Ukraine und Russland zwei Länder im Kriegszustand, die für Chips wichtige Inputfaktoren produzieren. Drei Rohstoffe sind für Halbleiter von zentraler Bedeutung: Russland gehört zu den wichtigsten Nickel- und Palladium-Exporteuren. Die Ukraine ist der weltweit grösste Neon-Produzent. Das Gas wird vornehmlich von zwei Unternehmen in Mariupol und Odessa hergestellt. Seit Kriegsbeginn stockt die Produktion, und die Reserven reichen wohl nur noch für wenige Monate. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die globale Chip-Produktion ins Stottern gerät. Längere Wartefristen und steigende Preise scheinen unvermeidlich.
Wichtige Rohstoffe aus Russland und der Ukraine und ihre Anteile an der Weltproduktion im Jahr 2020
Russland |
|
Nickel |
11% |
Roheisen- und Rohstahl |
4% |
Palladium |
43% |
Schnittholz |
9% |
Platin |
14% |
Industrieholz |
11% |
Titan |
14% |
Aluminium |
6% |
Ukraine |
|
Neon |
45-54 % |
Roheisen |
2% |
Eisenerz |
3% |
Titan |
2% |
Quelle: U.S. Geological Survey 2022, Reuters, BizVibe
Industriemetalle haben sich drastisch verteuert
Nicht nur die Chipindustrie steht vor unsicheren Zeiten. Russland und die Ukraine produzieren auch andere wichtige Metalle, die in der Industrie eingesetzt werden wie Eisen, Stahl, Aluminium, Kupfer, Platin oder Titan. Diese werden in Autos und Smartphones, in Flugzeugen, Maschinen oder im Bauwesen eingesetzt. Die Preise für viele Rohstoffe sind bereits stark gestiegen. Grosse Verwerfungen gab es im Nickel-Markt, wo sich der Preis binnen Stunden vervielfachte. Der Handel musste für einige Zeit unterbrochen werden. Die Volatilität der Preise macht die Planung und Preissetzung für Industriebetriebe schwer. Es herrscht Planungsunsicherheit. So musste zum Beispiel Volkswagen in mehreren Werken die Produktion stoppen, weil Kabelstränge fehlten, die aus der Ukraine kommen sollten.
Lieferschwierigkeiten und Rohstoffpreissteigerungen dämpfen derzeit die Konjunktur und verhindern, dass die Weltwirtschaft nach der Pandemie wieder stark Fahrt aufnimmt. Die sowieso schon hohe Inflation steigt weiter an. Es droht Stagflation, also die Kombination von schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Inflation.