Roche Tower à Bâle

Schwei­zer Un­ter­neh­men unter Ge­ne­ral­ver­dacht

Jede un­ter­neh­me­ri­sche Tä­tig­keit birgt Ri­si­ken. Es ist des­halb auch der Um­gang mit Un­si­cher­hei­ten, der bei Fir­men über Er­folg oder Miss­er­folg ent­schei­det. Wie gross die Ri­si­ken für die Un­ter­neh­men sind, hängt ganz we­sent­lich von den po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen ab. Ge­ra­de des­halb setzt sich eco­no­mie­su­is­se seit Jah­ren für ver­läss­li­che Rah­men­be­din­gun­gen ein. Staat­li­che Re­geln müs­sen Ori­en­tie­rung bie­ten, dür­fen aber die wirt­schaft­li­che Un­si­cher­heit nicht ste­tig ver­grös­sern.

Doch genau dies tut die Volks­in­itia­ti­ve «für ver­ant­wor­tungs­vol­le Un­ter­neh­men – zum Schutz von Mensch und Um­welt». Sie ver­viel­facht die Ri­si­ken für Un­ter­neh­men, die von der Schweiz aus grenz­über­schrei­tend, ob im Ex­port oder im Im­port, tätig sind. Des­halb ist es nicht er­staun­lich, dass der Bun­des­rat die In­itia­ti­ve ab­lehnt. Die Lan­des­re­gie­rung legt die Schwä­chen der In­itia­ti­ve offen und un­ter­streicht, dass das Volks­be­geh­ren die Schwei­zer Wirt­schaft schwächt. Sie führt zu einem in­ter­na­tio­na­len Al­lein­gang. Denn nir­gend­wo auf der Welt wür­den so dras­ti­sche Haf­tungs­re­geln gel­ten, wie die In­itia­ti­ve es ver­langt.

Zu­nächst mag das ein­deu­ti­ge Ur­teil von Bun­des­rat und Wirt­schaft er­stau­nen. Denn grund­sätz­lich tei­len beide das Ziel der In­itia­ti­ve: Der Re­spekt vor Men­schen­rech­ten und die Ein­hal­tung von Um­welt­stan­dards müs­sen welt­weit ver­bes­sert wer­den. Zwei­fel­los ste­hen die Un­ter­neh­men in der Pflicht, ihrer Ver­ant­wor­tung nach­zu­kom­men. Die Kri­tik an der In­itia­ti­ve rich­tet sich je­doch nicht gegen die Ziele, son­dern gegen die fal­schen In­stru­men­te und den grund­sätz­lich fal­schen An­satz. Denn die Lö­sung liegt in einer ver­stärk­ten Zu­sam­men­ar­beit der Be­trof­fe­nen, nicht in einer Flut von ju­ris­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen An­wäl­ten.

Wie der Ori­gi­nal­ti­tel der Volks­in­itia­ti­ve rich­tig klar­stellt, rich­tet sich die Un­ter­neh­mens-Ver­ant­wor­tungs-In­itia­ti­ve nicht nur an Kon­zer­ne, son­dern sie be­trifft di­rekt und in­di­rekt auch KMU. Auch wenn der In­itia­tiv­text be­sagt, dass der Ge­setz­ge­ber bei der Re­ge­lung der Sorg­falts­pflicht Rück­sicht auf die Be­dürf­nis­se klei­ner und mitt­le­rer Un­ter­neh­men neh­men muss. So sind die KMU bei der ent­schei­den­den, weit­rei­chen­den Haf­tungs­re­gel nicht aus­ge­nom­men. Ge­ra­de für KMU ist dies be­son­ders ein­schnei­dend.

Worum geht es genau? Die Un­ter­neh­mens-Ver­ant­wor­tungs-In­itia­ti­ve ver­langt zu­sätz­li­che Haf­tungs­be­stim­mun­gen für alle Un­ter­neh­men, damit Men­schen­rech­te und in­ter­na­tio­na­le Um­welt­stan­dards bes­ser ein­ge­hal­ten wer­den. Die auf einer zi­vil­recht­li­chen Haf­tung auf­bau­en­den Be­stim­mun­gen wären welt­weit ein­zig­ar­tig. Sie füh­ren zu einer kon­tra­pro­duk­ti­ven Ver­recht­li­chung der Dis­kus­si­on um Men­schen­rech­te und Um­welt­schutz. So ver­langt die In­itia­ti­ve von den Un­ter­neh­men die Prü­fung und Über­wa­chung von Men­schen­rech­ten und Um­welt­stan­dards in allen Zu­lie­fer­fir­men ent­lang der ge­sam­ten Lie­fer­ket­te im In- und Aus­land.

Geschäftsleute in Tagungsraum

Sorg­falt ge­hört schon aus Ei­gen­in­ter­es­se zum un­ter­neh­me­ri­schen Re­per­toire. Doch wenn Un­ter­neh­men Hun­dert­tau­sen­de von Zu­lie­fer­fir­men in Be­rich­ten akri­bisch unter die Lupe neh­men und die Un­be­denk­lich­keit jedes Zu­lie­fe­rers zu jedem Zeit­punkt einer Lie­fe­rung schrift­lich do­ku­men­tie­ren müs­sen, dann ent­steht eine gren­zen­lo­se Bü­ro­kra­tie. Nicht nur der Auf­wand, son­dern auch die damit ver­bun­de­nen Kos­ten wären hor­rend.

Noch um eine Po­tenz ge­fähr­li­cher sind die Haf­tungs­be­stim­mun­gen. Schwei­zer Un­ter­neh­men wür­den mit der Un­ter­neh­mens-Ver­ant­wor­tungs-In­itia­ti­ve für Ver­feh­lun­gen im Aus­land ein­klag­bar, auch wenn diese durch ihre Lie­fe­ran­ten im Aus­land ver­ur­sacht wor­den sind. Die­ser welt­weit ein­ma­li­ge Durch­set­zungs­me­cha­nis­mus würde zu einer au­to­ma­ti­schen Haf­tung ohne Ver­schul­den füh­ren. Be­son­ders tü­ckisch wäre die vor­ge­se­he­ne Um­kehr der Be­weis­last: Um kei­nen Scha­den­er­satz für Vor­gän­ge weit aus­ser­halb ihres Ein­fluss­be­reichs be­zah­len zu müs­sen, müss­ten Schwei­zer Un­ter­neh­men vor einem Ge­richt in der Schweiz stets den Be­weis er­brin­gen kön­nen, dass sie in ihrer Ge­schäfts­tä­tig­keit ent­lang der welt­wei­ten Lie­fer­ket­te – also auch bei Lie­fe­ran­ten in Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­dern – alle ge­bo­te­ne Sorg­falt an­ge­wen­det und er­kann­te Miss­stän­de be­ho­ben haben. Die­sen Be­weis zu er­brin­gen, dürf­te in der Pra­xis fak­tisch un­mög­lich sein.

Doch damit ist das grund­sätz­li­che Pro­blem noch nicht ein­mal adres­siert: Denn die In­itia­ti­ve stellt letzt­lich alle Un­ter­neh­men, ob gross oder klein, unter Ge­ne­ral­ver­dacht. Sie ver­kennt die Tat­sa­che, dass Schwei­zer Un­ter­neh­men durch ihre Ge­schäf­te und ihr En­ga­ge­ment einen gros­sen Bei­trag zu Ent­wick­lung und Fort­schritt in der Welt leis­ten. Klar, bes­ser wer­den geht immer! Darum ar­bei­ten immer mehr Un­ter­neh­men er­folg­reich mit Staa­ten und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen zu­sam­men, um mit den Be­trof­fe­nen vor Ort kon­kre­te Ver­bes­se­run­gen zum Schutz von Mensch und Um­welt zu er­zie­len. Doch genau die­ser Weg der lö­sungs­ori­en­tier­ten Ko­ope­ra­ti­on wird durch die In­itia­ti­ve be­droht. Denn die In­itia­ti­ve re­du­ziert die un­ter­neh­me­ri­sche Ver­ant­wor­tung auf recht­li­che Fra­gen und wird damit den tat­säch­li­chen Ver­hält­nis­sen in et­li­chen Län­dern nicht ge­recht. Die In­itia­ti­ve er­weist damit dem ei­ge­nen An­lie­gen einen Bä­ren­dienst. Darum NEIN zu die­sem fal­schen Weg.

Die­ser Bei­trag er­schien am 28. Ok­to­ber 2017 als Mei­nungs­bei­trag in der «Aar­gau­er Zei­tung».