Fokus In­fla­ti­on VIII: Der per­fek­te Sturm – so ent­steht eine Hy­per­in­fla­ti­on

In den USA ist die In­fla­ti­ons­ra­te jüngst auf 8,5 Pro­zent ge­stie­gen. Und auch in Eu­ro­pa liegt sie weit höher als die an­vi­sier­ten 2 Pro­zent. Hie und da taucht das Ge­spenst der Hy­per­in­fla­ti­on auf. Eine sol­che tritt dann ein, wenn die Prei­se un­kon­trol­liert da­von­ga­lop­pie­ren. Müs­sen wir uns Sor­gen ma­chen, dass ein sol­ches Ex­tremsze­na­rio auch in hoch ent­wi­ckel­ten Län­dern Rea­li­tät wer­den könn­te?

Eine Hy­per­in­fla­ti­on ist schreck­lich. Sie rui­niert ein Land und des­sen Ein­woh­ner in­nert kür­zes­ter Zeit. Wäh­rend eine In­fla­ti­on von 5 bis 10 Pro­zent pro Jahr be­reits ganz schön fies ist, wirkt eine Hy­per­in­fla­ti­on von 1000 Pro­zent und mehr pro Jahr de­sas­trös. Wie kann es aber so weit kom­men? Um eine aus­ge­wach­se­ne Hy­per­in­fla­ti­on zu pro­du­zie­ren, braucht es ver­schie­de­ne «Zu­ta­ten». Aus­gangs­punkt ist dabei immer die Ein­fluss­nah­me der Po­li­tik auf die No­ten­bank. In den bis­he­ri­gen Hy­per­in­fla­tio­nen be­dien­te sich die Po­li­tik am ver­meint­lich bil­li­gen Geld der No­ten­bank. Diese ist in der Lage, jede ge­wünsch­te Geld­men­ge zur Ver­fü­gung zu stel­len. Sie rei­ben sich jetzt viel­leicht die Augen. Aber es stimmt: No­ten­ban­ken kön­nen Geld ohne Ende pro­du­zie­ren. Es gibt kein Limit nach oben, seit eine Gold- oder Sil­ber­de­ckung auf­ge­ho­ben wor­den ist. Eine No­ten­bank kann also per Knopf­druck so viele Mil­li­ar­den «dru­cken», wie es ihr ge­ra­de be­liebt. Heut­zu­ta­ge druckt sie na­tür­lich nicht Bank­no­ten, son­dern er­höht die Geld­men­ge durch den Kauf etwa von De­vi­sen, Sach­wer­ten, Ak­ti­en oder Staats­an­lei­hen.

Dies mag zwar un­ge­heu­er­lich tönen, ist aber kor­rekt und ge­ra­de des­we­gen Aus­gangs­punkt des Pro­blems: Die Po­li­tik schielt nach die­ser Ka­no­ne, die sie für ihre An­lie­gen ein­set­zen will. Üb­ri­gens, das war nicht nur in der Wei­ma­rer Re­pu­blik oder in Ar­gen­ti­ni­en so. Auch in der Schweiz wol­len Po­li­ti­ker die No­ten­bank für ihre An­lie­gen miss­brau­chen. Sie ver­ges­sen dabei, dass das Geld der No­ten­bank kein Ei­gen­ka­pi­tal dar­stellt. Viel­mehr ver­län­gert der Kauf zum Bei­spiel von De­vi­sen deren Bi­lanz. Die Na­tio­nal­bank muss in der Lage sein, diese Bi­lanz auch wie­der zu ver­kür­zen und Fran­ken dem Markt zu ent­zie­hen, soll­ten die Prei­se stei­gen. Aber genau dies wol­len Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­ker oft nicht wahr­ha­ben. Ganz nach dem Motto «nach mir die Sint­flut». Wenn es ge­lingt, die No­ten­bank für po­li­ti­sche An­lie­gen zu in­stru­men­ta­li­sie­ren, dann – so lehrt uns die Ge­schich­te – nimmt dies oft ein böses Ende. Und es funk­tio­niert meis­tens so: Die Po­li­tik macht Schul­den und «ver­kauft» diese der No­ten­bank. Das Geld, das die Po­li­tik im Ge­gen­zug für den Schuld­schein (Staats­an­lei­he) er­hält, kann sie für nütz­li­che oder we­ni­ger nütz­li­che Dinge ein­set­zen wie Be­am­ten­löh­ne, Wind­rä­der oder Pan­zer. Damit ist das Geld im Um­lauf. Der Staat muss diese Aus­ga­ben ent­spre­chend nicht durch Steu­er­ein­nah­men fi­nan­zie­ren. Da die No­ten­bank den Schuld­schein in ihrer Bi­lanz führt, braucht es auch keine Pri­vat­in­ves­to­ren, wel­che die Schuld­schei­ne kau­fen. Ein Per­pe­tu­um mo­bi­le für die Po­li­tik! Gra­tis­geld ohne Ende.

Eine Va­ri­an­te der wun­der­sa­men Geld­druck­ma­schi­ne kann auch darin be­ste­hen, dass die No­ten­bank die Zin­sen viel zu tief be­lässt und ent­spre­chend das Kre­dit­vo­lu­men der Ban­ken mehr und mehr an­schwillt. Auch dann ist das Geld in Zir­ku­la­ti­on.

Zu­nächst sind alle happy mit einer sol­chen Po­li­tik. Geld strömt in die Wirt­schaft, die durch den Im­puls sti­mu­liert wird. Die Men­schen kön­nen sich mehr leis­ten. Doch lei­der zei­gen sich die Fol­gen bald in Form von stei­gen­den Prei­sen. Weil mehr Geld im Um­lauf ist, ver­liert es an Wert. Der Weg zu einer Hy­per­in­fla­ti­on ist aber noch lang. So­lan­ge das Ver­trau­en in die In­sti­tu­tio­nen er­hal­ten bleibt, kann die In­fla­ti­on durch eine straf­fe­re Geld­po­li­tik unter Kon­trol­le ge­bracht wer­den. Die Zen­tral­bank muss dabei aber über ein aus­rei­chen­des Mass an Un­ab­hän­gig­keit ver­fü­gen, denn eine re­strik­ti­ve­re Geld­po­li­tik ist un­po­pu­lär, weil sie oft ein­her­geht mit einer Re­zes­si­on. Wenn die Re­gie­rung nun wie­der ein­greift, um die un­be­lieb­ten Mass­nah­men zu un­ter­bin­den, ist der Mist ge­führt.

Wie die Hy­per­in­fla­ti­ons­zei­ten in Ar­gen­ti­ni­en, in der Wei­ma­rer Re­pu­blik oder in an­de­ren Län­dern zei­gen, scheint es einen «Point of no re­turn» zu geben: Ab einer ge­wis­sen In­fla­ti­ons­hö­he flüch­ten alle, die es kön­nen, aus der Wäh­rung. Weder im In­land noch im Aus­land ver­traut man den Ver­laut­ba­run­gen der Po­li­tik noch. Die ein­hei­mi­sche Wäh­rung wird wie eine heis­se Kar­tof­fel fal­len­ge­las­sen und so rasch als mög­lich in reale Werte oder in aus­län­di­sche Wäh­rung um­ge­tauscht. Der Wech­sel­kurs schmiert ab und ver­teu­ert die im­por­tier­ten Güter zu­sätz­lich. Um die Funk­ti­ons­fä­hig­keit des Staa­tes si­cher­stel­len zu kön­nen, muss immer noch mehr Geld ins Sys­tem ge­pumpt wer­den. Die Prei­se ex­plo­die­ren.

Fas­sen wir also kurz zu­sam­men. Es braucht ver­schie­de­ne «Zu­ta­ten» für eine Hy­per­in­fla­ti­on. 1: Die Zen­tral­bank ist von der Po­li­tik ab­hän­gig. 2: Die Zen­tral­ban­ken kau­fen Staats­schul­den auf oder las­sen die Zin­sen so tief, dass es zu einer Kre­dit­schwem­me kommt. 3: Das Ver­trau­en in die In­sti­tu­tio­nen ero­diert. 4: Ein «Point-of-no-re­turn» ist er­reicht, die Wäh­rung ist im frei­en Fall.


FOKUS IN­FLA­TI­ON

Folge I: Ach­tung Gel­dil­lu­si­on – Der Fran­ken ist nicht mehr so stark wie 2015 

Folge II: Vier Grün­de für die re­kord­ho­he In­fla­ti­ons­ra­te in den USA

Folge III: «This time is dif­fe­rent» – wirk­lich?

Folge IV: Nicht neu­tral, son­dern ganz schön fies

Folge V: Die un­ab­hän­gi­ge SNB schlägt zu­rück

Folge VI: Wieso schlägt der Öl­preis­an­stieg nicht stär­ker auf die Schweiz durch?

Folge VII: Der Ukrai­ne-Krieg heizt die In­fla­ti­on an

Folge VIII: Der per­fek­te Sturm – so ent­steht eine Hy­per­in­fla­ti­on

Folge IX: Die Geld­po­li­tik der USA und der EZB – ein Spiel mit dem Feuer

Folge X: Ist die Tür­kei auf dem Weg zur Hy­per­in­fla­ti­on?

Fokus XI: Eine Zen­tral­bank muss die Märk­te über­ra­schen dür­fen

Fokus XII: «For­ward Gui­dance» – eine Me­di­zin mit Ne­ben­wir­kun­gen

Fokus XIII: Staats­prei­se ma­chen alles nur schlim­mer

Folge XIV: Rei­chen die Zins­er­hö­hun­gen zur Zäh­mung der Teue­rung?

Folge XV: Ist in den USA ein «Soft Lan­ding» mög­lich?

Folge XVI: Miet­zins­re­ge­lung er­schwert der SNB die Ar­beit