Fokus In­fla­ti­on VI: Wieso schlägt der Öl­preis­an­stieg nicht stär­ker auf die Schweiz durch?

Der Ukrai­ne-Krieg sorgt für einen star­ken Preis­an­stieg bei den Roh­stof­fen. Die Prei­se für Öl und Gas schnel­len in die Höhe, nach­dem be­reits der Auf­ho­lef­fekt nach den Co­ro­na-Ein­schrän­kun­gen die Prei­se deut­lich hat stei­gen las­sen. Dies wird di­rek­te Aus­wir­kun­gen auf die In­fla­ti­ons­ra­ten welt­weit haben. In der Schweiz je­doch stie­gen die all­ge­mei­nen Prei­se bis­her viel we­ni­ger stark als im Aus­land. Woher kommt das?

Bli­cken wir zu­rück: Wäh­rend die Prei­se im Euro-Raum im Ja­nu­ar 2022 im Ver­gleich zum Vor­jah­res­mo­nat um 5,1 Pro­zent und in den USA gar um 7,5 Pro­zent an­ge­stie­gen sind, be­trug die In­fla­ti­ons­ra­te in der Schweiz ver­gleichs­wei­se harm­lo­se 1,6 Pro­zent. Für die USA haben wir vier Grün­de für den In­fla­ti­ons­schub aus­ge­macht: Roh­stoff­preis­an­stieg, Lie­fer­eng­päs­se, ultra-ex­pan­si­ve Geld­po­li­tik und staat­li­che Sti­mu­li. Kon­zen­trie­ren wir uns auf den ers­ten Grund: den An­stieg der Roh­stoff- und ins­be­son­de­re der Erd­öl­prei­se. Wieso be­feu­ert er die In­fla­ti­on in der Schweiz we­ni­ger stark als im Aus­land?

Fünf Grün­de sind im We­sent­li­chen ver­ant­wort­lich dafür, dass sich die No­tie­run­gen an den in­ter­na­tio­na­len Erd­öl­bör­sen nicht tel quel auf die Schwei­zer In­fla­ti­ons­ra­te aus­wir­ken:

Grund 1: Der Fran­ken ist re­la­tiv stark. Dies hat zur Folge, dass wir we­ni­ger für Im­por­te be­zah­len müs­sen, als wenn un­se­re Wäh­rung schwach wäre. Bei einem Wech­sel­kurs von 1.70 zum Dol­lar – wie im Jahre 2001 – würde der Preis­an­stieg von 30 auf 120 Dol­lar für ein Fass Erdöl die Schweiz um­ge­rech­net 153 Fran­ken kos­ten. Bei einem Kurs von 0.92 hin­ge­gen kos­tet er um­ge­rech­net «nur» 83 Fran­ken. Oder an­ders aus­ge­drückt: Ein star­ker Fran­ken ver­hilft uns in­ter­na­tio­nal zu einer hohen Kauf­kraft. (Auf­ge­passt, diese Zah­len sind no­mi­nal, also nicht in­fla­ti­ons­be­rei­nigt. Real ist der Fran­ken nicht so stark.)

Grund 2: Die Schwei­zer Volks­wirt­schaft hat eine hö­he­re En­er­gie­ef­fi­zi­enz als etwa die USA oder Deutsch­land. Wir be­nö­ti­gen ent­spre­chend we­ni­ger En­er­gie zur Pro­duk­ti­on von Gü­tern und Dienst­leis­tun­gen. Ein Ver­gleich mit dem nörd­li­chen Nach­barn zeigt, dass zur Her­stel­lung von Gü­tern und Dienst­leis­tun­gen in Deutsch­land mehr als dop­pelt so viel En­er­gie be­nö­tigt wird wie in der Schweiz:

Einen gros­sen An­teil am En­er­gie­kon­sum ma­chen nach wie vor die fos­si­len En­er­gie­trä­ger aus. Die Prei­se für Erdöl, Gas oder Kohle sind zu­min­dest der­zeit stark kor­re­liert. Die Pro­du­zen­ten­prei­se re­agie­ren daher in der Schweiz we­ni­ger stark auf einen An­stieg der Erd­öl­prei­se als in Deutsch­land. Ein An­stieg der Pro­du­zen­ten­prei­se wie­der­um schlägt sich ver­zö­gert schliess­lich in hö­he­ren Kon­su­men­ten­prei­sen nie­der.

Grund 3: Die Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten geben in der Schweiz we­ni­ger für fos­si­le En­er­gi­en aus als Per­so­nen in Deutsch­land oder USA. Hohe Löhne und auch die Grün­de 1 und 2 (star­ker Fran­ken und eine hö­he­re En­er­gie­ef­fi­zi­enz) sind im We­sent­li­chen dafür ver­ant­wort­lich, dass von allen ge­kauf­ten Gü­tern und Dienst­leis­tun­gen nur ein re­la­tiv klei­ner Teil auf fos­si­le En­er­gi­en ent­fällt. Das Ge­wicht von fos­si­len Treib- und Heiz­stof­fen im Schwei­zer Lan­des­in­dex der Kon­su­men­ten­prei­se be­trägt le­dig­lich 3,03 Pro­zent. In Deutsch­land liegt die­ser An­teil bei 7,11 Pro­zent, in den USA bei 4,97 Pro­zent.

Grund 4: Fos­si­le En­er­gi­en wer­den in der Schweiz mit hohen Ab­ga­ben be­las­tet. Die In­fla­ti­on be­misst sich aber als pro­zen­tua­le Stei­ge­rung des End­ver­kaufs­prei­ses. Wenn die in­ter­na­tio­na­len Erd­öl­prei­se stei­gen, steigt der Heiz­öl- oder Die­sel­preis in der Schweiz we­ni­ger stark an. Bei­spiel: Der Liter Die­sel wird der­zeit mit Ab­ga­ben von ins­ge­samt 76,32 Rap­pen be­las­tet. Bei einem Preis von 50 Rap­pen pro Liter Die­sel be­trägt der End­ver­kaufs­preis in­klu­si­ve Mehr­wert­steu­er von 7,7 Pro­zent 1,36 Fran­ken (1,077*1,2632). Steigt der Erd­öl­preis um 100 Pro­zent von 0,5 auf 1,0 Fran­ken, steigt der Zapf­säu­len­preis für einen Liter Die­sel auf 1,90 Fran­ken (1,077*1,7632). Der Preis, der in den Lan­des­in­dex der Kon­su­men­ten­prei­se ein­geht, steigt ent­spre­chend «nur» um 40 Pro­zent (1,90/1,36-1).

Grund 5: Der Strom­preis re­agiert ver­zö­gert auf Preis­er­hö­hun­gen bei Gas und Erdöl. Viele Schwei­zer Strom­kun­den kön­nen sich den An­bie­ter nicht aus­su­chen und be­zah­len die so­ge­nann­ten Ge­ste­hungs­kos­ten und nicht den Markt­preis. Wäh­rend die Ge­ste­hungs­kos­ten in den letz­ten Jah­ren über dem Markt­preis lagen, ist es nun um­ge­kehrt. Denn die Ta­ri­fe fürs lau­fen­de Jahr wur­den be­reits im Sep­tem­ber 2021 fest­ge­legt. Es ver­geht also eine ge­wis­se Zeit, bis sich ein hö­he­rer Strom­markt­preis, der in Eu­ro­pa stark durch den Gas­preis be­stimmt wird, beim Schwei­zer End­kon­su­men­ten be­merk­bar macht.

Preis­er­hö­hun­gen für Erdöl und Gas schla­gen in der Schweiz also we­ni­ger stark auf die In­fla­ti­ons­ra­te durch als in an­de­ren Län­dern. Über kurz oder lang ma­chen sie sich aber trotz­dem be­merk­bar. Der Ukrai­ne-Krieg wird auch bei uns einen Teue­rungs­schub zur Folge haben. Man soll­te sich also nicht in fal­scher Si­cher­heit wie­gen. Das schwar­ze Gold, wie es frü­her ein­mal ge­nannt wurde, bleibt für die Welt­wirt­schaft in den nächs­ten Jah­ren wich­tig.


FOKUS IN­FLA­TI­ON

Folge I: Ach­tung Gel­dil­lu­si­on – Der Fran­ken ist nicht mehr so stark wie 2015 

Folge II: Vier Grün­de für die re­kord­ho­he In­fla­ti­ons­ra­te in den USA

Folge III: «This time is dif­fe­rent» – wirk­lich?

Folge IV: Nicht neu­tral, son­dern ganz schön fies

Folge V: Die un­ab­hän­gi­ge SNB schlägt zu­rück

Folge VI: Wieso schlägt der Öl­preis­an­stieg nicht stär­ker auf die Schweiz durch?

Folge VII: Der Ukrai­ne-Krieg heizt die In­fla­ti­on an

Folge VIII: Der per­fek­te Sturm – so ent­steht eine Hy­per­in­fla­ti­on

Folge IX: Die Geld­po­li­tik der USA und der EZB – ein Spiel mit dem Feuer

Folge X: Ist die Tür­kei auf dem Weg zur Hy­per­in­fla­ti­on?

Fokus XI: Eine Zen­tral­bank muss die Märk­te über­ra­schen dür­fen

Fokus XII: «For­ward Gui­dance» – eine Me­di­zin mit Ne­ben­wir­kun­gen

Fokus XIII: Staats­prei­se ma­chen alles nur schlim­mer

Folge XIV: Rei­chen die Zins­er­hö­hun­gen zur Zäh­mung der Teue­rung?

Folge XV: Ist in den USA ein «Soft Lan­ding» mög­lich?

Folge XVI: Miet­zins­re­ge­lung er­schwert der SNB die Ar­beit